BERLIN. Heftige Kritik am Lob und der Unterstützung zahlreicher Politiker, darunter der Bundeskanzlerin, für die während der Unterrichtszeit stattfindenden Freitagsdemos hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, in Berlin geübt. „Es ist nicht akzeptabel, dass Politiker durch ihre Unterstützung der Fridays-for-future-Demos die allgemeine Schulpflicht am Freitagvormittag praktisch für außer Kraft gesetzt erklären und Lehrkräfte und Schulleitungen an den Pranger gestellt werden, die diese Schulpflicht von ihren Schülern noch einfordern“, so erklärte Meidinger. Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Deutschen Realschullehrerverbands (VDR), schlug nach einer Vorstandssitzung seines Verbands in die gleiche Kerbe.
Es sei jedoch geradezu widersinnig, so Meidinger, dass sich einerseits fast alle Bundesländer in der Vergangenheit weigerten, der politischen Bildung an Schulen mehr Unterrichtsstunden einzuräumen, weil der Stundenplan so voll sei, andererseits es aber jetzt viele Politiker nicht störe, wenn Zehntausende von Unterrichtsstunden wegen der Freitagsdemos ausfielen. „Ich fürchte, darin spiegelt sich eine generelle mangelnde Wertschätzung des Werts von Unterricht durch die Politik, die ja auch dem massiven Unterrichtsausfall an allen Schularten wegen des Lehrermangels und fehlender Unterrichtsreserven seit Jahren weitgehend tatenlos zusieht“, fügte Meidinger an. Letztendlich habe aber der Fachunterricht die enorm wichtige Aufgabe, das für mündige Bürger und politisches Engagement notwendige grundlegende Wissen zu vermitteln.
Politikern, die sich ohne Wenn oder Aber hinter die Freitagsvormittags-Demos gestellt hätten, warf Meidinger Heuchelei vor: „Da gibt es junge Leute, die kritisieren: ‚Ihr macht zu wenig für Klimaschutz!‘ – und die Bundeskanzlerin, die letztendlich die Klimapolitik der Bundesrepublik verantwortet, klatscht zu dieser Kritik an der eigenen Politik Beifall. Ich werde den Verdacht nicht los, der Politik- und Medienhype um die Freitagsdemos dient vielfach als willkommenes Ablenkungsmanöver von den eigentlich zu lösenden, sehr schwierigen Sachfragen!“
Keinerlei Hinweise zum Umgang mit “dauerstreikenden” Schülern
Auch der Mehrheit der Schulminister in den Bundesländern warf Meidinger vor, in der Frage der Priorität der Schulpflicht „wohlfeiles Abtauchen“ vor. Zahlreiche Schulleitungen hätten zwar in den letzten Monaten vielseitige Schreiben erhalten, wie mit streikenden Lehrkräften zu verfahren sei, die dem Unterricht fernblieben, aber keinerlei Hinweise zum Umgang mit dauerhaft „streikenden“ Schülern bei Freitagsdemos.
Der Deutsche Lehrerverband stellt deshalb folgende Fragen an die Politik: „Wie sollen Schulen verfahren, wenn demnächst der Montagvormittag zum Aktionstag gegen die drohende weltweite Aufrüstung erklärt wird oder Schüler beantragen, zur „Legalize Cannabis“-Demo gehen zu dürfen bzw. Eltern ihre Sprösslinge für einen Protest gegen das örtliche Ankerzentrum befreien wollen? Bekommen die Schulleitungen künftig Listen mit politisch korrekten, befreiungsfähigen politischen Aktionen und den nicht genehmigungsfähigen? Macht eine gesetzliche Regelung zur Schulpflicht noch Sinn, wenn diese Regel nicht mehr eingefordert wird?“
Den Fridays-for-Future-Aktivisten unter den Schülern riet Meidinger, sich nicht vom Medienhype um die Freitagsdemos benebeln zu lassen: „Eine Protestform, die dazu führt, dass diejenigen Beifall klatschen, die man unter Druck setzen will, wird keinen Effekt haben. Wenn sich Jugendliche wirklich nachhaltig für Klimaschutz und ihre Zukunft engagieren wollen, führt an einem langfristigen Engagement in Verbänden, bei Umweltgruppen und in den Jugendorganisationen der Parteien kein Weg vorbei, auch wenn man damit nicht so häufig in die Presse kommt. Nur wenn die Fridays-for-future-Bewegung dazu einen Beitrag leistet, wird sie tatsächlich Nachhaltigkeit und positive Änderungen erreichen und bewirken können!“
„Als Interessensverband für Lehrkräfte begrüßen wir das Engagement der jungen Leute für den Umweltschutz“, so meint auch VDR-Chef Jürgen Böhm. „Es ist wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler ihre demokratischen Rechte kennen und auch wahrnehmen.“ Aber: Im Hinblick auf die derzeit diskutierte Schulpflicht fordert Böhm von den Verantwortlichen in der Politik nicht nur relativierende und frei interpretierbare Empfehlungen, sondern endlich eine klare Linie für die Schulen vor Ort: „Den Lehrkräften im Hinblick auf die Handhabung von Fehlzeiten den Buhmann zuzuschieben ist ein Verhalten, das wir als Verband nicht akzeptieren können und eines demokratischen Staates nicht würdig ist!“
Zur Erziehung der jungen Menschen zu mündigen Bürgern gehöre natürlich, dass sie ihre Meinung frei äußern und dass sie auch das Demonstrationsrecht umsetzen können. Mitbestimmung sei ausdrücklich erwünscht. Allerdings liege genau hierin die Krux: Denn zu den freiheitlichen Rechten des Grundgesetzes gehöre auch, dass die Jugendlichen nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Pflichten wahrnehmen. Böhm: „Zu den Pflichten der jungen Menschen zählt natürlich die Schulpflicht. Wenn die Schülerinnen und Schüler ein Zeichen für ihre Belange setzen wollen, dann haben sie in einem demokratischen Gemeinwesen alle Möglichkeiten.
Es reiche nicht, nur medienwirksam auf den Klimaschutz aufmerksam zu machen. Vielmehr wäre doch wichtig, dass die heranwachsende Generation lernt, was sie selbst für den Umwelt- und Klimaschutz tun kann und realistische Ziele zu formulieren. Böhm fordert in der gesamten Diskussion einen Neuansatz: „Jugendliche müssen verstehen, dass jeder für sich aktiv werden muss und jeder dazu beitragen kann, dass sich tatsächlich etwas ändert. Nur die Straße zu gehen, reicht nicht“. Es wäre wichtig, dass konkrete Ziele gesetzt werden. Die Umweltschutzthemen sollten gemeinsam mit Lehrkräften an der Schule angegangen werden. In vielen Schulen gibt es bereits hervorragende und nachhaltige Projekte und Initiativen.
Abschließend betont Böhm – wie zuvor schon Meidinger –, dass Jugendliche verschiedenste Möglichkeiten hätten, sich in der Politik und in Verbänden zu engagieren, um etwas zu bewegen.
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