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Bemerkenswerte Studie räumt mit Vorurteilen auf: Bei Gewalt unter Schülern entstammen Täter und Opfer meist demselben Kulturkreis

KÖLN. Einfache Erklärungen zur Jugendkriminalität haben Politiker von Rechtsaußen meist schnell parat. Die Zahl der Gewalttaten steigt, so heißt es – und die Rollen sind klar verteilt: Als Täter werden von ihnen meist Schüler mit Migrationshintergrund, gerne Asylbewerber, ausgemacht. Als Opfer gelten vor allem deutschstämmige Schüler. Zwei aktuelle Meldungen zeigen allerdings auf, dass das Phänomen komplexer ist, als es Populisten wahrhaben möchten. An Nordrhein-Westfalens Schulen ist die Zahl der Straftaten im vergangenen Jahr deutlich gesunken. Und eine Studie kommt zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass Gewaltakte nur höchst selten zwischen Schülern unterschiedlicher ethnischer Herkunft vorkommen  –  Täter und Opfer stammen meist aus demselben Kulturkreis.

Was sind die Ursachen für Konflikte in der Schule? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Es ist erschreckend, wie kriminell und gewalttätig es mittlerweile bereits in der ersten bis vierten Klasse zugeht“, meint Karin Wilke, bildungspolitische Sprecherin der AfD im sächsischen Landtag. Die Rollen sind für die Partei klar verteilt: Migranten – vor allem Asylbewerber – sind meist Täter, deutsche Schüler Opfer. „Um deutsche Schulkinder zu schützen und den Lehrermangel zu beheben, hatte die AfD-Fraktion den Antrag gestellt, Kinder von Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive gesondert und in Landessprache zu unterrichten. Nun zeigt sich, wie sinnvoll dieser Antrag war“, sagt Wilke mit Blick auf Zahlen unklarer Quelle, die angeblich belegen, dass in Dresden  „Asylbewerber bei den Tätern deutlich überrepräsentiert und die Opfer sind vor allem deutsche Schüler“ seien.

Grundsätzlich stimmt das jedenfalls nicht, wie eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Universität Köln aufzeigt. „Einzelne Vorfälle oder Anstiege von Schulgewalt werden häufig als Folge ethnischer Vielfalt und inter-ethnischer Spannungen gedeutet – je nach politischer Orientierung werden dabei Schüler mit Migrationshintergrund vermehrt als Täter oder aber als Opfer von Gewalt vermutet. Unsere Analysen zeigen, dass Gewalt zwischen Schülern unterschiedlicher ethnischer Herkunft eher die Ausnahme ist. Vor allem in Schulen, in denen ethnische Gruppen überwiegend unter sich bleiben, also untereinander befreundet sind, findet Gewalt eher innerhalb als zwischen diesen Gruppen statt“, sagt Professor Dr. Clemens Kroneberg, Leiter des Projekts „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des European Research Council Projekts SOCIALBOND.

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Eine Hauptursache für diesen Zusammenhang sei schlicht die, dass Schülerinnen und Schüler, die befreundet sind oder gemeinsame Freunde haben, mehr Freizeit miteinander verbringen. Sie befinden sich daher öfter in Situationen, in denen es zu Provokationen, Statuskämpfen und physischen Auseinandersetzungen kommen kann. Das Ergebnis der Studie macht das sogenannte „Integrationsparadox“ anschaulich: Ein Mehr an Auseinandersetzungen ist häufig Folge einer voranschreitenden Integration. Schulen, in denen physische Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen unterschiedlicher ethnischer Herkunft besonders selten sind, sind eher durch ethnisch getrennte Freundesgruppen und Antipathie zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft gekennzeichnet.

Generell wird Gewalt umso wahrscheinlicher, je näher sich Jugendliche im Freundschaftsnetzwerk einer Jahrgangsstufe sind. Antipathie – eine Mitschülerin oder einen Mitschüler nicht zu mögen – wird dagegen umso wahrscheinlicher, je weiter entfernt voneinander sie im Freundschaftsnetzwerk sind. Generell ist physische Gewalt in den untersuchten 7. Jahrgangsstufen noch relativ weit verbreitet: Knapp die Hälfte der Befragten werden als Täter genannt. Allerdings sind knapp 40 Prozent weder als Täter noch als Opfer involviert. Zudem nimmt die Gewaltbelastung im Befragungszeitraum (2013 bis 2016) kontinuierlich bis zur 10. Jahrgangsstufe ab. Die Datenbasis der Studie bildet eine Befragung von über 2.500 Schülerinnen und Schülern von 39 Gesamt-, Real- und Hauptschulen in fünf Städten des Ruhrgebiets.

An den Schulen in NRW ging es deutlich friedlicher zu

Ohnehin ist ein Trend hin zu mehr Jugendgewalt nicht eindeutig auszumachen. An den nordrhein-westfälischen Schulen ist es im vergangenen Jahr offenbar deutlich friedlicher zugegangen als im Vorjahr, wie aktuelle Daten zeigen. Die Polizei registrierte einen Rückgang der Straftaten um fast zehn Prozent. 20.690 Straftaten wurden im vergangenen Jahr an den NRW-Schulen bekannt. Das waren gut 2200 Taten weniger als im Vorjahr, wie aus der Kriminalstatistik des Landes hervorgeht. Ein Jahr zuvor waren es 22.900 Taten – bei einer Zunahme von 4,9 Prozent. Das Niveau sank somit 2018 unter das der Vorjahre 2017 und 2016.

Die Zahl der Körperverletzungen ging um 130 oder 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf gut 3000 zurück. Die Zahl der Diebstähle sank deutlich um 11,8 Prozent auf 8950. Im Vorjahr hatte die Zahl noch über 10.150 gelegen. News4teachers / mit Material der dpa

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