WIESBADEN. Um alle Lehrerstellen besetzen zu können, brauchen die Länder nach Einschätzung des Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz (KMK) auch in den kommenden Jahren Quereinsteiger. «In dem Maß, wie wir dieses Instrument im Moment nutzen, ist es natürlich eine Übergangslösung. Man muss aber ehrlicherweise sagen, es ist eine Übergangslösung, die wir noch einige Jahre brauchen werden», sagte Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU). In Berlin, so berichtet aktuell der „Tagesspiegel“, werden allerdings auch schon die Quereinsteiger knapp – mittlerweile kämen deshalb sogar Menschen ohne Studienabschluss oder sogar ohne Abitur in den Schuldienst.
Lorz rechnet damit, dass Lehrer weiter fehlen werden. «Auch im neuen Schuljahr wird die Lage angespannt sein.» Im vergangenen Jahr hatte der Bedarf laut einer KMK-Studie um 11.510 Lehrer über dem Angebot an Bewerbern gelegen. Die Ressortchefs der Länder trafen sich von Donnerstag an für zwei Tage in Wiesbaden, auch um über den Lehrermangel zu sprechen. Grundsätzlich sprach sich Lorz dafür aus, den Weg des Quereinstiegs in den Lehrerberuf auch künftig zu ermöglichen. «Man findet so durchaus hervorragende Leute. Deswegen wünsche ich mir, dieses Tor offen zu halten.» In Hessen beispielsweise stünden keine Grundschullehrer mehr auf der sogenannten Rangliste, sagte Lorz. Nach dieser Liste wurden früher ausgelernte Lehrer nach dem Referendariat je nach Leistung eingeordnet und eingestellt. «Wer heute seine zweite Staatsprüfung im Grundschullehramt absolviert, hat quasi eine Einstellungsgarantie.»
“LovL” – Lehrer ohne volle Lehrbefähigung
Allein in Berlin, so berichtet der „Tagesspiegel“, könnten zum kommenden Schuljahr wohl 600 Stellen nicht besetzt werden – es sei denn mit Quereinsteigern und sogenannten „LovL“, wie Lehrer ohne volle Lehrbefähigung genannt werden. Einige davon hätten ein Lehramtsstudium nach den ersten Semestern abgebrochen, andere den Abschluss des Referendariats nicht geschafft. Die Zeitung zitiert den Vizevorsitzende des Gesamtpersonalrats, der davon ausgeht, dass schon jetzt rund 1000 solcher „LovL“ im Berliner Schulsystem arbeiten – darunter mehrere Dutzend ohne Studium, einzelne sogar ohne Abitur. Als Beispiel genannt wird eine Reisekauffrau, die Geografie unterrichtet.
Astrid-Sabine Busse, die Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen (IBS), sieht es kritisch, dass zunehmend Quereinsteiger und „LovL“ an den Schulen arbeiten. Im Moment gehe es nicht anders, weil es nicht genügend Laufbahnbewerber gebe. Allerdings müssten die Einsteiger gut betreut werden. „Wenn es zehn Prozent des Kollegiums sind, kann man das gut schaffen“, sagt Busse dem Bericht zufolge. Aber wenn die Hälfte des Kollegiums aus Nicht-Lehrern bestehe, könne das ihrer Meinung nach kaum gutgehen. „Ich achte genau darauf, wen ich einstelle“, sagt Busse.
Das Problem allerdings wächst sich aus – landauf, landab. Bei einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des VBE unter Schulleitungen in Deutschland anlässlich des Deutschen Schulleiterkongresses im März gaben bereits 45 Prozent der Befragten an, Seiteneinsteiger zu beschäftigen. Zwei von drei dieser Schulleitungen gaben wiederum an, dass die Seiteneinsteigenden nicht angemessen vorqualifiziert werden. Der VBE fordert eine mindestens halbjährige Vorqualifizierung. Aktuelle Studien zeigten zudem, dass sie überproportional häufig in Schulen in schwierigen sozialen Lagen eingesetzt werden (News4teachers berichtete).
VBE-Vorsitzender Beckmann erklärte seinerzeit: „Kinder, die auf Lehrkräfte angewiesen sind, die mit besonders viel pädagogischem Geschick bilden und erziehen, wird besonders viel Unterricht durch dafür nicht angemessen qualifizierte Seiteneinsteigende gegeben. Hier setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang, die bald nicht mehr aufzuhalten ist. Und es gibt sogar eine „doppelte Abwärtsspirale“, denn die originär ausgebildeten Lehrkräfte werden in Zeiten des Lehrermangels immer stärker beansprucht. Jede dritte Schulleitung gibt an, dass die Zahl der langfristig aufgrund psychischer Erkrankungen Ausfallenden zunimmt. So produziert der Lehrermangel eine Verschärfung des Lehrermangels. Die jahrelange Fehlplanung und das maßlose ‚Draufsatteln‘ von Aufgaben rächen sich jetzt.“ News4teachers / mit Material der dpa
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