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PISA-Datenauswertung: Auch bei Bildungsnachteilen von Migranten greifen vor allem soziale Faktoren

MANNHEIM. Kinder mit Migrationshintergrund – seien sie selbst Zuwanderer oder Zuwandererkinder – liegen in der Lesekompetenz teilweise bis zu zwei Schuljahren hinter ihren Mitschüler ohne Zuwanderungserfahrung zurück. Wissenschaftler aus Mannheim und Leipzig haben nun die Entwicklung über 15 Jahre untersucht. Der Rückstand hängt demnach stark mit dem sozialen Hintergrund und dem Sprachgebrauch zu Hause zusammen.

Die große gesellschaftliche Debatte um die „Flüchtlingswelle“ ist abgeebt. Weitgehend ohne mediale Begleitung läuft die langfristige Integrationsarbeit für die Millionen Neubürger weiter. Wesentliche Teile obliegen dabei naturgemäß der Schule. Dafür, dass sich Migranten in einer Gesellschaft zurecht finden, stellt etwa die Lesekompetenz eine entscheidende Voraussetzung dar.

Die Lesekompetenz von Migranten hängt stärker am sozialen Status als an der Herkunft. Foto: DFID – UK Department for International Development / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Historisch betrachtet stellt die Fluchtmigration neben der EU-Binnenmigration die aktuell bedeutsamste Form des Migrationsgeschehens in Deutschland dar, das zuvor vor allem durch Gastarbeitermigration und die Migration von (Spät-)aussiedlern geprägt war. So lässt sich im Wesentlichen der geschichtliche Abriss zusammenfassen, den Reinhard Schunck und Janna Teltemann ihrer Untersuchung voranstellen. Gemeinsam untersuchten die beiden Wissenschaftler die Entwicklung der Lesekompetenz von 15-jährigen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund von 200 bis 2015. Dazu werteten sie insbesondere entsprechende PISA-Daten aus.

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Die Ergebnisse zeigen, dass Schüler, die selbst zugewandert sind, in ihren Lesefähigkeiten durchschnittlich zwei Schuljahre hinter gleichaltrigen Schülern ohne Migrationshintergrund zurückliegen. Schüler der sogenannten „zweiten Generation“ – Kinder von Zuwanderern – liegen demnach bei der Lesekompetenz durchschnittlich ein Schuljahr hinter dem Leistungsniveau von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund zurück.

Für die Zeit von 2000 bis 2015 zeigte sich bei Schülern der ersten Migrantengeneration zunächst eine leichte Verringerung des Kompetenzunterschieds, allerdings hätten ihre Leseleistungen seit 2006 wieder abgenommen. Insgesamt sei der Abstand zu Schülern ohne Migrationshintergrund 2015 sogar größer als 2000.

Die 15-jährigen Schüler mit zugewanderten Eltern konnten in den betrachteten 15 Jahren ihre Leseleistungsscores etwas stärker verbessern, als die Jugendlichen ohne Migrationshintergrund, die sich leicht (um 13 Punkte) verbessert hatten. Der Abstand zwischen beiden Gruppen hat sich dementsprechend insgesamt leicht verringert.

Zur Erklärung der Kompetenzdifferenzen zwischen Migranten und Nichtmigranten sind Schunck und Teltemann besonders sozioökonomischen Faktoren auf den Grund gegangen. Neben seltenerem Gebrauch der deutschen Sprache zu Hause, sei zumindest ein Teil der beobachtbaren Kompetenzunterschiede auf den unterschiedlichen sozialen Hintergrund zurückzuführen.

Mit einer niedrigeren sozioökonomischen Position ginge nahezu zwangsläufig eine geringere Ressourcenausstattung einher. Betroffene Eltern könnten ihre Kinder weniger gut beim Kompetenzerwerb unterstützen als andere, etwa wegen mangelnder Fähigkeiten bei den Hausaufgaben zu helfen – ein von PISA hinlänglich bekannter Befund. Auch indirekte Faktoren wie Wohnort und Schulwahl spielten eine Rolle.

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In einer zweiten Auswertung rechneten die Forscher daher Faktoren wie den Bildungsabschluss der Eltern, sowie die Ausstattung der Haushalte mit bestimmten Besitztümern aus den Daten heraus. Ebenso kontrollierten sie die besuchte Klassenstufe, da Kinder mit Migrationshintergrund häufiger eine Klasse wiederholen müssten oder schon zu Beginn ihrer Schulkarriere in eine niedrigere Klasse einstiegen als altersgemäß wäre.

Unter diesen Voraussetzungen zeigte sich ein anderes Bild: Die Lese-Kompetenzen der Schüler mit Migrationshintergrund wichen nur noch wenig von denjenigen der Schüler deutscher Herkunft ab, in einem Jahr ergaben sich für die Schüler der zweiten Migrantengeneration sogar höhere PISA-Scores.

Nach 2012 allerdings nahm die „Kompetenzlücke“ zwischen Schülern ohne Migrationshintergrund und Schülern mit eigener Migrationserfahrung, also der ersten Generation wieder zu. Eine mögliche Ursache könnte laut der Studie eine Veränderung der Zusammensetzung der ersten Generation hinsichtlich der Herkunftsländer und deren kultureller Nähe zu Deutschland sein. Schunck und Teltemann weisen jedoch explizit darauf hin, dass auch die „Ausgestaltung des Bildungssystems“ Gruppenunterschiede verstärken oder verringern könne.

Insgesamt sei das Forschungsdesign nicht dazu geeignet, spezifische Mechanismen auf kausale Zusammenhänge hin zu analysieren. Dennoch deuteten die Befunde nach Ansicht der Studienautoren darauf hin, dass die migrationsspezifische Bildungsungleichheit in Deutschland vornehmlich auf die gleichen Mechanismen wie die soziale Bildungsungleichheit zurückzuführen sei.

Auch im Hinblick auf die Kompetenzen von Migranten bestätigte sich so der sattsam bekannte enge Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund des Elternhauses und dem Bildungserfolg der Kinder. Bezüglich der Lesekompetenzen der Migranten legten die Daten sogar nah, schließen Schunck und Teltemann, dass die beobachtbaren Unterschiede nahezu vollständig auf sozioökonomische Unterschiede und den Sprachgebrauch zu Hause zurückzuführen seien.

• Die Studie ist zum kostenlosen Download im Informationsdienst Soziale Indikatoren (ISI) des GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften veröffentlicht: ISI 61: Befunde aus der Migrationsforschung

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