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Fernunterricht: Bildungsforscher kritisiert, dass zu oft nur Arbeitsblätter verschickt werden

DÜSSELDORF. “… dann frage ich mich, ob eigentlich die gesamte Bildungsforschung der letzten Jahrzehnte und sämtliche Lehrerbildungskurse nur Selbstzweck gewesen sind – denn offenbar geht Schule auch ganz ohne all das.” Der bekannte Erziehungswissenschaftler Heiner Barz weist pointiert auf grundlegende Probleme beim Homeschooling hin.

Millionen von Kindern lernen in diesen Tagen weitgehend zu Hause. Foto: Shutterstock

„Elektronisch verschickte Lückentexte und Arbeitsblätter, mit denen Eltern, Schülerinnen und Schüler alleine gelassen werden – das ist kein Homeschooling, das ist noch nicht einmal Fernunterricht. Das ist eine bildungspolitische Bankrotterklärung und eine pädagogische Zumutung!“ Mit deutlichen Worten hat der Düsseldorfer Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Heiner Barz auf Probleme beim Homeschooling hingewiesen.

Schule ist eine wichtige Sozialisationsinstanz

Barz, der seit vielen Jahren zu Bildungsinnovation forscht, sieht aber nicht nur aus Sicht der Lehre mit zunehmender Sorge, wie schnell Eltern plötzlich zu Heimunterricht wechseln mussten, einer Beschulungsart, die noch bis vor einem halben Jahr an der Grenze zur Illegalität gestanden habe. Schule und die Gemeinschaft der Gleichaltrigen stellten außerdem wichtige Sozialisationsinstanzen dar, die kein noch so gut gemachtes Online-Tutorial je ersetzen könne.

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Die heimische Überforderung treffe Eltern wie Kinder gleichermaßen: „Selbst, wenn die Mütter oder Väter nichts Anderes zu tun hätten, als ihre Kinder in den eigenen vier Wänden zu unterrichten“, so Barz, „wäre es eine Überforderung – denn dafür sind sie weder fachlich noch didaktisch ausgebildet. Und wenn dann in den höheren Klassen auch noch erwartet wird, dass die Schülerinnen und Schüler sich die Inhalte im Selbststudium erarbeiten, sie übend anwenden und dann das Problemlösen und den Lerntransfer selbstständig hinbekommen – um anschließend über entsprechende fachliche und überfachliche Kompetenzen zu verfügen … dann frage ich mich, ob eigentlich die gesamte Bildungsforschung der letzten Jahrzehnte und sämtliche Lehrerbildungskurse nur Selbstzweck gewesen sind – denn offenbar geht Schule auch ganz ohne all das.“

Wurden die Angebote der Schüler kaum genutzt?

Diverse Untersuchungen belegten, Barz zufolge, dass zudem die Angebote, die die Schulen machen, nur von einem sehr begrenzten Teil der Schüler überhaupt genutzt würden. Nur etwa sieben Prozent der Kinder nähmen nach einer Studie der Vodafone Stiftung im April täglich an digitalem Unterricht teil, so Barz. Wie auch? Die Schulen sind für interaktiven digitalen Unterricht weder ausgestattet noch ausgerüstet.

Zu der Studie – über die News4teachers ausführlich berichtet hat (hier geht es zu dem Bericht) – gehört allerdings auch der Befund, dass die meisten Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler per Mail, Homepage oder Lernplattform mit Unterrichtsmaterialien versorgt haben. Und: Mehr als die Hälfte der Eltern (57 Prozent) waren mit der Art und Weise, wie die Schule ihrer Kinder das schulische Arbeiten zu Hause organisiert, grundsätzlich zufrieden oder sogar sehr zufrieden.

Andererseits: 88 Prozent der befragten Eltern stimmen „voll und ganz“ oder zumindest „eher“ der Aussage zu: Meinem Kind fehlt der persönliche Austausch mit Klassenkameraden und Lehrkräften.

“Schule ist ein sozialer Organismus”

Und hier hakt Barz ein. „Jenseits der Bewertung eventueller gesundheitlicher Gefahren, denen Kinder oder ihre Angehörigen laut Virologen im normalen Schulbetrieb möglicherweise ausgesetzt sind, kommt eine Dimension in der aktuellen Diskussion zu kurz: Schule ist mehr als die Wissensvermittlung, von der man glaubt, dass sie durch digitale Endgeräte übernommen werden könnte”, sagt er und betont: “Aus Sicht der Bildungssoziologie ist sonnenklar, dass die Schule eben nicht nur ein Ort des Kenntniserwerbs ist, sondern ein sozialer Organismus, der in der Gesellschaft aber auch für die einzelnen Heranwachsenden ganz bestimmte Funktionen erfüllt, die weit darüber hinaus gehen.“ News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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