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Mit der Fähre zur (Privat-)Schule: Erhaltenswertes Bildungs-Idyll – oder ein Beitrag zur sozialen Spaltung Deutschlands?

MAINZ. Der Anteil der Privatschulen ist in Deutschland gestiegen. Eine Lehrergewerkschaft sieht diesen Schultyp bundesweit kritisch. In Rheinland-Pfalz jedoch weniger. Das hat mit einer besonderen Regelung zu tun.

Das Hauptgebäude des Klosters Nonnenwerth, zu dem auch die Schule gehört. Foto: Günter Ruch / Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

Nur mit zwei Fähren gelangen die Mädchen und Jungen zu ihrer Schule: Ihr Gymnasium Nonnenwerth liegt bei Remagen auf einer Rheininsel. Ganz selten haben die Schüler sogar hochwasser- oder niedrigwasserfrei – die Boote fahren nicht mehr. 166 Jahre lang haben Nonnen das Gymnasium geführt – nun hat es die gemeinnützige Gesellschaft «International School of the Rhine» (ISR) übernommen. Nonnenwerth ist eine von rund 135 Privatschulen in Rheinland-Pfalz. Bundesweit ist dieser Schultyp im Trend. Sinnvolle Bereicherung oder soziale Spaltung der Schullandschaft? Privatschulen sorgen mit oft betuchteren Eltern für Debatten. In Rheinland-Pfalz allerdings weniger: Hier dürfen sie laut Gesetz kein Schulgeld von Eltern verlangen. Das ist im Länderreigen eher die Ausnahme.

VDP: Privatschul-Initiativen haben es in Rheinland-Pfalz besonders schwer

Der Anteil von Privatschulen an allen Schulen ist in Rheinland-Pfalz laut dem Statistischen Landesamt von 6,7 Prozent im Jahr 2003 auf 8,4 Prozent im Jahr 2019 gestiegen. Nach Mitteilung des Bildungsministeriums in Mainz besuchten im Schuljahr 2019/20 landesweit 41.160 Mädchen und Jungen Privatschulen. Das waren knapp acht Prozent der insgesamt rund 522.000 Schüler in Rheinland-Pfalz.

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Privatschulen werden von den beiden großen Kirchen getragen – in Rheinland-Pfalz vor allem von der katholischen – oder sind zum Beispiel Waldorf- oder Montessori-Schulen. Sie alle müssen staatlich genehmigt werden. Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium teilt mit: «Bei den Schulen in freier Trägerschaft zahlt das Land Pauschalen zu den Personalkosten, für Sachkosten und Baukostenzuschüsse.» Darüber hinaus finanzieren sich Privatschulen beispielsweise über mehr oder minder freiwillige Mitgliederbeiträge von Fördervereinen, Spenden und Sponsoren.

Der Verband Deutscher Privatschulverbände (VDP) ist mit der rheinland-pfälzischen Regelung unzufrieden. Der Geschäftsführer des VDP-Landesverbands Rheinland-Pfalz/Saarland, Falk Raschke, sagt, das Privatschulgesetz stamme bereits aus dem Jahr 1970 und orientiere sich an der damaligen Situation. So habe etwa die katholische Kirche inzwischen weniger Kirchensteuereinnahmen. Privatschulen anderer Träger hätten es schwer, es gebe auch verschuldete Fördervereine. Die Zahl der Privatschulen sei im Ländervergleich gering.

Private Schulen mit zweisprachigem Unterricht gibt es kaum

«Rheinland-Pfalz hat mit Abstand die geringste Vielfalt von Privatschulen», kritisierte Raschke. Private Schulen mit zweisprachigem Unterricht gebe es kaum – und mit einer besonderen Ausrichtung etwa auf drogenabhängige oder suizidgefährdete Jugendliche wie beispielsweise in Hessen gar nicht.

Die Schule auf der Rheininsel Nonnenwerth haben Franziskanerinnen schon seit 1854 geführt. Bis sie ihr hohes Alter und der Mangel an Ordensnachwuchs dazu bewogen haben, das Gymnasium im August 2020 der ISR zu übereignen. Der Geschäftsführer des Schulträgers, Daniel Euler, betont das besondere Sicherheits- und Gemeinschaftsgefühl der rund 600 Schüler auf dem Eiland: «Es gibt nur zwei Zugänge, die zwei Fähren. Jeden Tag messen wir bei allen Schülern und Lehrern mit einem kontaktlosen Thermometer Fieber.» Bislang habe es keinen Corona-Fall gegeben. Es ist eine Ganztagsschule mit besonderen Förderangeboten und Hausaufgabenbetreuung. «Wenn die Schüler nach Hause kommen, haben sie keine Hausaufgaben mehr», sagt Euler.

2019 hat Carsten Linnemann, Unionsfraktionsvize im Bundestag, mit einem Satz in einem Interview für Wirbel gesorgt: «Bis tief hinein in die Mittelschicht erlebe ich Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil das Niveau an staatlichen Schulen sinkt.» Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat damals kritisiert, der Zustand vieler öffentlicher Schulen in Deutschland habe zur Steigerung der Nachfrage nach Privatschulen beigetragen.

GEW: Verbot von Schulgeld ist richtig

Der GEW-Chef in Rheinland-Pfalz, Klaus-Peter Hammer, sagt: «Ich bin froh, dass das Privatschulwesen hier nicht so stark ausgeprägt ist wie in östlichen Bundesländern.» In Rheinland-Pfalz gebe es nur «ganz wenige elitäre Privatschulen». Das Verbot von Schulgeld finde die GEW gut: «Bildung soll nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein. Wir wollen keine Elitebildung.» Hammer erkennt an, dass es «hier auch gute Privatschulen gibt, zum Beispiel Montessori-Schulen». Dort sollen Kinder mit ihrem eigenen Rhythmus lernen können. (Aktuell zum 150. Geburtstag von Maria Montessori: Was Eltern und Lehrer antreibt, eine Montessori-Schule zu gründen – hier geht es zum Beitrag.)

Zurück zum Gymnasium Nonnenwerth: Der 26-jährige Ex-Schüler Sebastian, der seinen Nachnamen nicht nennen will, sagt, die Insellage im Rhein mit Fähren und Uferwanderweg habe er als idyllisch empfunden. Nonnenwerth sei «eine der renommiertesten Schulen der Region». Viele Schüler seien zu seiner Zeit Akademikerkinder gewesen – es habe aber beispielsweise auch Bauernkinder gegeben. Als Jugendlichen hat es Sebastian auf der Flussinsel nach eigenen Worten gelegentlich genervt, «dass wir nicht einfach wie Schüler an anderen Schulen in der Pause schnell einen Döner kaufen konnten». Von Jens Albes, dpa

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