STUTTGART. Sieben Monate Coronavirus, das sorgt für dicke Luft auch in den Lehrerzimmern. Denn wo es bereits vor der Krise viel zu tun gab und der Nachwuchs fehlte, häufen sich nun die Aufgaben. Das größte Problem: die Zeit. Helfen könnten neue Lehrer. Aber die fehlen. Ein aktuelles Stimmungsbild liefert eine Umfrage des VBE, die der Verband anlässlich des Deutschen Schulleiterkongresses – der aktuell läuft – hat durchführen lassen.

Fragt man Gerhard Brand nach der Laune in den Lehrerzimmern, verdunkelt sich seine Miene schlagartig. Im Frühjahr, da zogen die Kollegien noch an einem Strang, erinnert er sich, da waren alle zuversichtlich und zeigten Verständnis für die Corona-Auflagen. Das habe sich nach sieben Monaten Ausnahmezustand verändert. «Die Aggressivität ist gewachsen», sagt Brand. «Und die anfängliche Rationalität ist emotionalen Empfindungen gewichen.»
Als baden-württembergischer Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) spricht der frühere Hauptschulrektor viel mit den Pädagogen an den 4200 Schulen im Land. Nun wird sein Eindruck zur Stimmungslage gestärkt durch die jüngste Umfrage des Lehrerverbands, die dieser aus Anlass des Deutschen Schulleiterkongresses in Auftrag gegeben hatte. Demnach herrscht ziemlich dicke Luft in den Kollegien.
Die anfängliche Zuversicht ist in vielen Schulen einer wachsenden Wut gewichen
Die Stimmung sei so schlecht wie lange nicht mehr, sagt Brand bei der Präsentation der Ergebnisse für Baden-Württemberg (News4teachers berichtet ausführlich über die Umfrage des VBE und die bundesweiten Resultate). Die anfängliche Zuversicht und das Verständnis für die Einschränkungen durch die Pandemie seien in vielen Schulen einer steigenden Aggressivität und Emotionalität gewichen. Schuld daran trage vor allem das Virus, sagt Brand. Schulleitungen benötigten aber vor allem mehr Zeit. «Und hier ist die Politik gefragt», sagt er.
In der Digitalisierung der Schulen sehen viele Schulleiter laut VBE die größte Baustelle im Schulalltag während der Corona-Krise. Fast jeder zweite befragte Schulleiter gab fehlende Geräte und Schwierigkeiten beim Online-Unterricht als größte Probleme an. Derzeit verfügten nur vier Prozent der Schulen über Endgeräte für die Schüler, etwa jede zehnte biete Fortbildungen für den Einsatz digitaler Medien an, und nur in vier von zehn Schulen gebe es ein schuleigenes WLAN in allen Räumen. «Statt eines echten Digitalschubs hat es eher einen kleinen Digitalschubser gegeben», meint Brand.
Die Vereinigung von Schulleiterinnen und Schulleitern sieht zwar den Bedarf an Hardware. Für den Landesvorsitzenden Werner Weber, Rektor einer Schule in Heidenheim, ist es aber wichtiger, zunächst eine einheitliche Lernplattform anzubieten. Die Geräte könne man dann im Laufe des Prozesses bestellen und einrichten. Die Unzufriedenheit unter den Kolleginnen und Kollegen nimmt er nicht so stark wahr, wie es die Umfrage darstellt.
Nach dieser Befragung bemängelt jede dritte Schulleitung zudem fehlendes Personal. Große Probleme bereiten demnach auch die Hygienevorschriften, die höhere Arbeitsbelastung – und zunehmend auch uneinsichtige und aufgebrachte Eltern. «Aus dem Lager der Maskengegner befreien Eltern immer öfter ihre Kinder vom Präsenzunterricht», kritisiert Brand. Das Land müsse schärfer formulieren, unter welchen Umständen die Schulpflicht aufgehoben werden darf.
Die Politik habe zwar gute Ausstattungsprogramme auf den Weg gebracht. Die weitere Umsetzung des Konzeptes zur Entlastung der Schulleitungen dürfe nun aber nicht wie angekündigt auf das Schuljahr 2022/2023 verschoben werden. «Uns brennt jetzt der Kittel, und deshalb brauchen wir auch jetzt die Stellen und nicht erst in zwei Jahren.»
Nach den Plänen des Kultusministeriums sollen Schulleiter mehr Geld für ihre Aufgaben bekommen. Grund für das Konzept war vor allem das Problem, für solche Stellen überhaupt Bewerber zu finden. Größere Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe I sollen zudem einen Konrektor bekommen. Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will den Schulleitern auf längere Sicht vor allem mehr Zeit für ihre Leitungsfunktionen geben und ihre Pflicht, Unterricht zu erteilen, herunterfahren.
Hilferuf der Schulleitungen – Kultusministerin äußert Verständnis
Sie zeigt auch Verständnis für den Hilferuf der Schulleitungen: «Wir wissen, dass es dringenden Handlungsbedarf bei der Leitungszeit und beim allgemeinen Entlastungskontingent der Schulen gibt», sagt Eisenmann. Die Leitungszeit könne aber erst in einem zweiten Schritt umgesetzt werden, weil Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden müssten, «die aktuell leider noch Mangelware sind». Die Teile des Konzepts, die sich schon umsetzen ließen – also die höhere Besoldung für die Leitungen kleiner Grundschulen und eine Zulage für kommissarische Schulleitungen – seien wie geplant in Gang gekommen.
Das lässt die Gewerkschaft nicht gelten. Die Schulleitungen fühlten sich von der Landesregierung im Stich gelassen, sagte Monika Stein von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Es sei absehbar, dass viele in diesem Dauerstress nicht das ganze Schuljahr durchhalten könnten. Sie schlägt vor, mehr Lehramtsstudierende in Schularten mit Lehrkräftemangel einzusetzen und arbeitslose Gymnasiallehrkräfte zu beschäftigen. News4teachers/ mit Material der dpa
