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Kekulé: An weiterführenden Schulen gibt es schwerste Ausbrüche – „Jugendliche Schüler sind ganz starke Treiber der Pandemie“

BERLIN. Schulen, das beteuern die Kultusminister in Deutschland seit Monaten, sind keine Treiber der Pandemie. Offenbar stimmt das aber gar nicht. Immer mehr Virologen melden sich zu Wort, die den Schulen – genauer: den weiterführenden Schulen – eine zentrale Rolle im Infektionsgeschehen zuschreiben. Aktuell sagt der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, Prof. Alexander S. Kekulé: An weiterführenden Schulen gebe es schwerste Ausbrüche. Jugendliche Schüler seien „ganz starke Treiber der Pandemie.  Das ist ohne Wenn und Aber erwiesen.“ Auch die prominenten Virologen Prof. Christian Drosten und Prof. Sandra Ciesek haben sich zum Thema Schule wieder öffentlich geäußert.

Jugendliche Schüler verbreiten das Coronavirus offenbar weit stärker als Angehörige anderer Altersgruppen. Foto: Shutterstock

Sind die Schulen Treiber der Pandemie? „Da muss man nach Altersklassen unterscheiden“, so antwortet Kekulé in einem Interview mit dem Sender Phoenix. „Für den Virologen ist es überraschend, muss ich ehrlich sagen, dass wir bei den Kitas und bei den Grundschulen, also so im Alter bis zu zehn, zwölf Jahren, da sehen wir ganz wenige Ausbrüche, und zwar weltweit, das ist nicht nur in Deutschland so. Da zerbrechen sich alle den Kopf, weil wir genau wissen, dass diese Kinder trotzdem genauso ansteckend sind, also genauso leicht angesteckt werden können wie die Erwachsenen. Aber offensichtlich geben sie das Virus aus irgendwelchen Gründen nicht so leicht weiter. Da geht die Virologie von der Epidemiologie ein bisschen auseinander.“

Kekulé plädiert für Wechselunterricht in den weiterführenden Schulen – sofort

Weiter sagt der Wissenschaftler: „Aber bei den älteren Schülern, also bei uns Gymnasium, weiterführende Schule, da ist es ganz klar, da sehen wir das Gleiche auf der ganzen Welt, dass es schwerste Ausbrüche gibt. Die Jugendlichen, ich sag mal so 15, 16, 17 Jahre alt, sind ganz starke Treiber der Pandemie.  Das ist ohne Wenn und Aber erwiesen. Deshalb müsste man darauf ein größeres Augenmerk legen.“ Kekulé plädiert dafür, in den weiterführenden Schulen umgehend auf Wechselunterricht umzustellen, um die Abstandsregel in den Klassenräumen einführen zu können. Auch das Robert-Koch-Institut empfiehlt, in Risikogebieten ab einem Inzidenzwert von 50 Neuinfizierten innerhalb von einer Woche auf 100.000 Einwohner die Schulen in den Wechselunterricht zu nehmen. Kein Bundesland hält sich daran.

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Aber was ist mit der Behauptung von Kinderärzten, Kinder seien von Corona kaum betroffen? „Schulen sind keine Infektionstreiber – Entwarnung“ – „Corona-Gefahr an Schulen wird überschätzt“ – „Infektionsrisiko auf SARS-CoV-2 in Kitas und Schulen gering“: So lauteten Schlagzeilen im Vorfeld des jüngsten Bund-Länder-Gipfels, der über den Schulbetrieb entscheiden sollte (und dann tatsächlich die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts verwarf). Anlass der Berichterstattung: Die Süddeutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin hatte mit einer Datensammlung, die angeblich belegen soll, dass es nur relativ wenige infizierte Kinder gibt, massiv Stimmung gegen Einschränkungen beim Schulbetrieb gemacht. Eine Dunkelziffer von infizierten Kindern halten die Kinderärzte aufgrund der erhobenen Stichprobe für unwahrscheinlich.

News4teachers hat die Veröffentlichung und die Interpretation der Daten bereits kritisch analysiert. Nun legte Prof. Christian Drosten, Chef-Virologe der Berliner Charité, nach – und zerlegte in einem aktuellen NDR-Podcast die vermeintlichen Befunde mit wenigen Sätzen. „Da heißt es: Kinder sind nur wenig betroffen, es gibt keine Dunkelziffer. 0,53 Prozent der untersuchten Kinder waren positiv”, so führte er aus. „Dann sind das 530 auf 100.000. Das müsste man herunterbrechen auf 24 Wochen, den Beobachtungszeitraum. Wir rechnen hier einfach grob. Das wären dann im gesamten Beobachtungszeitraum, im Prinzip das ganze Sommerhalbjahr, 22 auf 100.000 pro Woche. Bei der deutschen Bevölkerungsinzidenz liegen wir aber deutlich darunter. So hätten wir eine erhebliche Dunkelziffer bei Kindern mit dieser Studie nachgewiesen – im Gegensatz zu dem, was in den Pressemitteilungen verkündet wird.“

Drosten sagte weiter: „Im Moment ist das in den Schulen so: Jeder weiß das aus dem eigenen Umfeld, aus dem Bekanntenkreis, es gibt Fälle in Schulen und die werden mehr.“

“‚Kinder stecken keine Lehrer an, das sind immer nur die Lehrer‘ – das ist Quatsch”

Seine Kollegin Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität, die im Wechsel mit Drosten im NDR-Podcast auftritt, hatte in der Folge zuvor bereits in eine ähnliche Kerbe geschlagen. „Schulen spielen eine Rolle, klar“, sagte sie. „Was wir wissen, ist: Kinder können natürlich eine Infektion bekommen. Sie können daran auch schwer erkranken und sie können das Virus weitergeben, auch an Lehrer und Mitschüler. Eine Aussage, wie ich sie in der letzten Woche gehört habe: ‚Kinder stecken keine Lehrer an, das sind immer nur die Lehrer‘ (auch diese These wird von Kinderärzten vertreten – News4teachers berichtete darüber), die ist Quatsch. Das muss man klar sagen.“

Auch Ciesek betonte, dass die Bedeutung von Kitas und Schulen in der Pandemie vom Alter der dort betreuten Kinder abhängt. „Kleine Kinder haben überall in Europa einfach eine niedrigere Inzidenz im Vergleich zu anderen Altersgruppen, das zieht sich wirklich durch ganz Europa“, sagte sie. Andererseits: Jugendliche und junge Erwachsene hätten eine weit überdurchschnittliche Ansteckungsquote. „Mit jedem Lebensjahr steigt die Inzidenz bei Kindern“, sagte Ciesek.

Sie äußerte ihr Unverständnis darüber, dass die Politik auf diese Erkenntnisse nicht reagiert – und die Bundesländer weiterhin praktisch uneingeschränkt am Präsenzunterricht für alle Altersgruppen festhalten. So sei es keine gute Idee, das Kurs-System in den Schulen aufrechtzuerhalten. „Warum gibt es keine festen Lerngruppen von Kindern?“, fragte Ciesek. Die Bundesländer setzen auf „Kohorten“, also meist ganze Jahrgänge, in denen sich die Schüler untereinander mischen. Ciesek: „Man sollte genau schauen, wann macht hybrides Lernen Sinn. Das können Pädagogen deutlich besser beurteilen als ich. Ich verstehe aber nicht, dass damit nicht mal langsam angefangen wird. (…) Der Winter ist noch lang. Da passiert im Moment einfach zu wenig.“

Die Behauptung, Schulen sind keine Treiber der Pandemie, “ist nicht mehr haltbar”

Die bisherige Haltung der Kultusminister, dass Schulen generell keine Treiber der Pandemie seien, sei „nicht mehr haltbar“, hatte unlängst auch der Direktor des virologischen Universitätsinstituts in Düsseldorf, Prof. Dr. Jörg Timm, festgestellt. Kleinere Kinder steckten sich zwar seltener mit dem Virus an, könnten es aber weitergeben. Kinder ab zwölf seien „genauso ansteckungsfähig wie Erwachsene.“ Timm: „Daher spielen Schulkinder definitiv eine Rolle.“ News4teachers

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