DORTMUND. Deutsche Grundschüler schneiden im internationalen Vergleich in Mathematik und Naturwissenschaften eher mittelmäßig ab. Das zeigen die Ergebnisse der alle vier Jahre durchgeführten Vergleichsstudie TIMSS, die am Dienstag vorgestellt wurden. Die Unterrichtsqualität hatte begleitend ein Team vom Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund in den Blick genommen – und durchaus Entwicklungspotenzial gefunden.
In Mathe erreichten die 4900 repräsentativ ausgewählten deutschen Schülerinnen und Schüler bei den im vergangenen Jahr durchgeführten Tests einen Punktwert von 521 und blieben dabei ungefähr auf dem Niveau der letzten Erhebung von 2015 (522 Punkte). Sie lagen damit zwar deutlich über dem internationalen Mittelwert (501 Punkte) aller 58 teilnehmenden Staaten und sechs Regionen, aber auch deutlich unter den Mittelwerten der teilnehmenden EU-Staaten und OECD-Staaten.
Ähnlich sieht es in den Naturwissenschaften (Physik, Biologie, Chemie, Geographie) aus: Die Grundschüler aus Deutschland landeten mit 518 Punkten über dem internationalen Mittelwert (491), aber ebenfalls unter dem EU- und OECD-Durchschnitt. Zudem hat sich hier das Ergebnis im Vergleich zur letzten Studie (528 Punkte) verschlechtert.
Bei der letzten Erhebung hatte es einen “TIMSS-Schock” gegeben
Höchstleistungen in Mathe erreichten nur sechs Prozent der deutschen Schüler. In asiatischen Ländern, wie Singapur, leben dagegen offensichtlich wahre Rechenkünstler: In dem Stadtstaat erreichte mehr als jedes zweite Kind in den Tests das höchste Kompetenzniveau, in Südkorea mehr als jedes dritte Kind. In Deutschland ist dagegen der Anteil der Kinder, die gerade einmal über «elementare mathematische Fähigkeiten» verfügen mit 25,4 Prozent relativ hoch. Anders als bei der PISA-Studie, bei der die Leistungen von 15-Jährigen verglichen werden, geht es bei TIMSS («Trends in International Mathematics and Science Study») um Viertklässler. Zwischen der vorletzten Studie 2011 und der letzten 2015 war Deutschland von einem Platz in der Spitze ins Mittelfeld abgestürzt. (News4teachers berichtete seinerzeit groß über den TIMSS-Schock.)
Für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern ist qualitätsvoller Unterricht zentral. Doch wodurch zeichnet sich dieser in den Grundschulen aus? Dieser Frage ging ein Team am Institut für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund im Rahmen von TIMSS nach. Auf Grundlage einer für Schülerinnen und Schüler in Deutschland repräsentativen Stichprobe sowie einer Befragung von Lehrkräften wurden wichtige Erkenntnisse dazu gewonnen, wie die Qualität des Mathematik- bzw. naturwissenschaftsbezogenen Sachunterrichts in Deutschland wahrgenommen wird.
Gute Noten für die Motivierungsqualität
In TIMSS 2019 bewerteten die Lernenden sowohl den Mathematik- als auch den naturwissenschafts-bezogenen Sachunterricht positiv. Die Schülereinschätzungen fallen im Vergleich zu dem TIMSS-Zyklus 2015 jedoch etwas kritischer aus. Außerdem zeigen sich Unterschiede zwischen den Lernenden: Leistungsstärkere Lernende nehmen im Mittel im Vergleich zu leistungsschwächeren Lernenden die Klassenführung und konstruktive Unterstützung als höher ausgeprägt wahr, während sich leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler im Unterricht stärker kognitiv aktiviert fühlen.
Erstmals wurde in der Vergleichsstudie auch das Merkmal „Motivierungsqualität“ untersucht, also die Frage danach, wie gut eine Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler in ihrem Unterricht motivieren kann. Die Studie zeigt, dass die Motivierungsqualität in beiden Fächern von Grundschulkindern als hoch erlebt wird. Über 65 Prozent der Kinder sind der Meinung, dass ihre Mathematik- bzw. Sachunterrichtslehrkraft beispielsweise interessante Inhalte auswähle.
Dies sei ein erfreuliches Ergebnis, so Prof. Nele McElvany, Geschäftsführende Direktorin am Institut für Schulentwicklungsforschung und wissenschaftliche Leiterin der Teilstudie Unterrichtsqualität, denn: „Für den Lernprozess ist die Motivierungsqualität des Unterrichts von Bedeutung, da sie positiv mit zentralen motivationalen Merkmalen, wie zum Beispiel der intrinsischen Motivation der Lernenden für das Unterrichtsfach, verbunden ist.“ Anders ausgedrückt: Wenn ein Kind sich für ein Fach begeistern kann, fällt das Lernen leichter und die Ausdauer ist größer, auch bei schwierigen Aufgaben die Lösung zu suchen.
Heterogene Klassen und leistungsbezogene Differenzierung
Das gemeinsame Lernen in Grundschulklassen ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Schülerinnen und Schüler in ihren Lernvoraussetzungen und -bedürfnissen unterscheiden. Für Lehrkräfte bedeute dies, dass sie den Spagat meistern müssen, anspruchsvollen Unterricht sowohl für lernschwächere als auch für lernstarke Kinder anzubieten, so die Bildungsforscherin McElvany.
Bei der TIMSS 2019 Untersuchung zeigte sich nun, dass die leistungsbezogene Differenzierung in den Unterrichtsfächern unterschiedlich ausfällt: Während mehr als die Hälfte der Lernenden von Mathematiklehrkräften unterrichtet wird, die die Differenzierung für leistungsstärkere und -schwächere Schülerinnen und Schüler in ihrem eigenen Unterricht als hoch ausgeprägt einschätzen, fällt der Anteil der Lernenden, deren Sachunterrichtslehrkräfte die leistungsbezogene Differenzierung im eigenen Unterricht als hoch ausgeprägt einstufen, im naturwissenschaftsbezogenen Sachunterricht geringer aus.
Eine mögliche Erklärung der Autorinnen der Teilstudie: Im Mathematikunterricht sei es einfacher, unterschiedlich schwierige Aufgaben zu stellen, während es im naturwissenschaftsbezogenen Sachunterricht möglicherweise schwieriger sei, gleichzeitig unterschiedlich anspruchsvolle Experimente durchzuführen.
Folgerungen für die Zukunft: Die Chancen der Digitalisierung auch für den Grundschulunterricht nutzen
Auf Grundlage der aktuellen Ergebnisse der TIMS-Studie 2019 wird deutlich, dass im Hinblick auf verschiedene Gestaltungsaspekte des Unterrichts Entwicklungspotenzial vorhanden ist. Der Unterricht müsste zum Beispiel weiter individualisiert werden, um sowohl auf leistungsstarke als auch auf -schwache Kinder angemessen einzugehen. Die zunehmende Digitalisierung bietet hier auch für Grundschulen vielversprechende neue Ansätze und Möglichkeiten für Diagnostik, Vermittlung und gezielte Förderung.
Dies ist laut Nele McElvany aber nicht ohne Qualifizierung möglich: „Die Professionalität von Lehrkräften muss weiter gestärkt werden. Dazu ist es notwendig, die Aus- und Fortbildungen im Bereich des adaptiven Unterrichtens, aber auch im Bereich der Arbeit mit digitalen Medien weiter auszubauen und zu verbessern.“ News4teachers / mit Material der dpa
TIMSS ist eine international vergleichende Schulleistungsuntersuchung, die die mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen von Grundschulkindern vierter Klassen erhebt.
Die Studie wird seit 1995 alle vier Jahre durchgeführt, seit 2007 beteiligt sich Deutschland regelmäßig. Verantwortet wird die Studie von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA). Für TIMSS 2019 liegt die wissenschaftliche Gesamtleitung sowie Koordinierung des nationalen Konsortiums bei Prof. Dr. Knut Schwippert (Universität Hamburg). Am Institut für Schulentwicklungsforschung ist das Teilprojekt zur Erfassung der Unterrichtsqualität verortet.
Das interdisziplinäre Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der TU Dortmund ist als Forschungseinrichtung an der Schnittstelle von Wissenschaft, schulischer Praxis und Politik angesiedelt. Die durch vier Professuren und rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestalteten Forschungsbereiche des Instituts arbeiten zu aktuellen Themen im Bereich der Empirischen Bildungsforschung mit dem Ziel, schulische Lern- und Entwicklungsprozesse, Schulentwicklung und Bildungsergebnisse im Kontext ihrer individuellen, sozialen und institutionellen Bedingungen zu erfassen, zu erklären und zu optimieren. Das IFS trägt mit seiner Arbeit wesentlich den Profilbereich Bildung, Schule und Inklusion der TU Dortmund mit.
