Website-Icon News4teachers

Corona-Chaos: Ministerpräsidenten unterlaufen Gipfel-Beschlüsse – und stellen die vorzeitige Öffnung von Kitas und Schulen in Aussicht

BERLIN. Wie unter Winkeladvokaten: Die Ministerpräsidenten beschließen gemeinsam mit der Bundeskanzlerin, das Corona-Infektionsgeschehen weiter eindämmen zu wollen – und hinterher nutzen sie jedes mögliche Schlupfloch im Papier, um genau das im Betrieb von Kitas und Schulen nicht zu tun. Das Chaos in der Bildungspolitik setzt sich fort. Eine Analyse.

‘”Restriktive Umsetzung”: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Foto: Alexandros Michailidis / Shutterstock

„Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder sind daher heute vorgezogen zu einer Konferenz zusammengetreten, um zur Abwendung der Risiken, die durch die Mutation hinzugetreten sind, den Rückgang des Infektionsgeschehens in Deutschland noch einmal deutlich zu beschleunigen“, so heißt es wörtlich in dem Beschluss, den gestern Abend die Bundeskanzlerin und die 16 Ministerpräsidenten gemeinsam getroffen haben. Denn: „Bei einer niedrigen Reproduktionszahl wird auch die Reproduktion einer möglichen ansteckenderen Mutation stärker gehemmt. Dazu ist es erforderlich, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Eine schnelle Senkung der Infektionszahlen führt dazu, dass die Gesundheitsämter die Infektionsketten wieder kontrollieren können, um ein erneutes exponentielles Ansteigen der Neuinfektionen zu verhindern.“

Weiter heißt es in dem Beschluss: „Der Betrieb von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen hat höchste Bedeutung für die Bildung der Kinder und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Eltern. Geschlossene Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, ausgesetzte Präsenzpflicht bzw. Distanzunterricht in Schulen über einen längeren Zeitraum bleiben nicht ohne negative Folgen für die Bildungsbiographien und die soziale Teilhabe der Kinder und Jugendlichen. Dennoch gibt es ernst zu nehmende Hinweise, dass die Mutation B.1.1.7 des SARS-CoV2-Virus sich auch stärker unter Kinder und Jugendlichen verbreitet, als das bei dem bisher bekannten Virus der Fall ist. Deshalb ist eine Verlängerung des Beschlusses vom 13. Dezember 2020 bis 14. Februar notwendig, sowie eine restriktive Umsetzung. Danach bleiben die Schulen grundsätzlich geschlossen bzw. die Präsenzpflicht ausgesetzt. In Kindertagesstätten wird analog verfahren.“

Anzeige

“Die vorzeitige Schulöffnung ist sehr eindeutig gegen den Geist der Beschlüsse von Bund und Ländern”

Und was machen einzelne Bundesländer aus diesem Beschluss? Sie kündigen vorzeitige Kita- und Schulöffnungen an. An den Grundschulen in Rheinland-Pfalz beispielsweise soll ab Anfang Februar ein Wechselunterricht mit dem Lernen daheim und in der Schule ermöglicht werden, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Mittwoch in Mainz. Die Präsenzpflicht soll zwar bis Mitte Februar weiter aufgehoben. Allerdings: Welche Eltern werden sich dem Druck entziehen können, ihre Kinder zu Hause zu lassen, wenn der Unterricht in den Schulen wieder anläuft (und wohl kaum ein vollwertiger Digitalunterricht parallel auf die Beine gestellt werden kann)?

Ein entsprechendes Modell, das Niedersachsen seit Anfang der Woche praktiziert, war von der Bundesregierung deshalb bereits im Vorfeld des Gipfels scharf kritisiert worden. «Die vorzeitige Schulöffnung ist sehr eindeutig gegen den Geist der Beschlüsse von Bund und Ländern», sagte der Staatsminister im Kanzleramt, Hendrik Hoppenstedt, vergangene Woche. Schulen seien ein normaler Infektionsort. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat heute darauf reagiert – mit einer kosmetischen Korrektur: Die Schulbesuchspflicht in den Grundschulen wird zwar ausgesetzt. Grundsätzlich bleibe das Unterrichtsangebot im Wechselmodell mit halben Klassen aber bestehen, so kündigte Weil an.

Eisenmann will Kitas und Grundschulen ab dem 1. Februar wieder öffnen

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) geht noch einen Schritt weiter. Sie will, dass die Grundschulen ab 1. Februar wieder in den Präsenzunterricht einsteigen – unabhängig vom Infektionsgeschehen. In einem Brief an das Staatsministerium, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, erklärt sie: In der ersten Februarwoche könnten zunächst die Klassen 1 und 2 zurückkehren, während die Klassen 3 und 4 noch eine Woche länger zuhause lernen. Die Kitas im Land sollen nach Eisenmanns Vorstellung ab 1. Februar mit Betrieb in festen Gruppen wieder komplett öffnen. Spätestens nach der Faschingswoche, also ab dem 22. Februar, sollen alle Schüler an weiterführenden Schulen im Wechselunterricht lernen. Die Präsenzpflicht bleibe dabei weiterhin ausgesetzt, schreibt sie.

Die endgültige Entscheidung wolle die Landesregierung zwar erst in der kommenden Woche treffen, so hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstagabend verkündet. Aber auch er stellte bereits in Aussicht: Grundschulen und Kitas sollen voraussichtlich vom 1. Februar an schrittweise wieder öffnen – „wenn die Infektionslage das zulässt“. Was das Kriterium dafür ist, erkläuterte Kretschmann nicht.

In Sachsen bleibt es beim Präsenzunterricht für 50.000 Schüler in Abschlussklassen – trotz positiver Corona-Tests

Auch andere Bundesländer haben eine eigentümliche Vorstellung davon, wie sich an Schulen das Infektionsgeschehen “schnell senken” lässt, wie es der Gipfelbeschluss vorsieht. Beispiel Sachsen: Für Schüler, bei denen demnächst Prüfungen anstehen, gibt es dort seit Montag wieder Präsenzunterricht – und das wird auch nach dem Beschluss der Bund-Länder-Beratung so bleiben, wie Kultusminister Christian Piwarz (CDU) am Mittwoch in Dresden nach einer Sitzung des Kabinetts ankündigte. „Daran halten wir fest. Die Schüler sollen die Chance haben, sich sorgfältig auf ihre Abschlussprüfungen vorzubereiten.“

Erst am Montag hatte für die rund betroffenen 50.000 Schüler im Freistaat der Unterricht wieder begonnen. Zuvor konnten sie sich freiwillig einem Antigen-Schnelltest unterziehen, was nur ein Teil in Anspruch nahm. Ergebnis: Immerhin 23 Tests von Schülern und 8 Tests von Lehrern zeigten ein positives Ergebnis. Die Betreffenden hätten keinerlei Krankheitssymptome aufgewiesen, sonst hätten sie an den Tests nicht teilnehmen dürfen, erklärte ein Sprecher des Ministeriums. Die Aktion lässt ahnen, wie groß der Dunkelfeld der Infizierten unter Schülern und Lehrern ist.

Die Bundesregierung dringt deshalb auch darauf, dass sich die Bundesländer an die Corona-Beschlüsse zu Schließungen und Einschränkungen an Schulen halten. Die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz betonte am Mittwoch noch einmal, von Bund und Ländern sei eine restriktive Handhabung der Beschlüsse vereinbart worden. «Die Bundesregierung geht davon aus, dass auch so umgesetzt wird.» Zugleich sei klar, dass diese Entscheidung sehr schwerfalle, niemand habe sie leichtfertig getroffen. Die Frage ist allerdings, wie ernst es manchen Ministerpräsidenten dabei war.

Zweifel sind erlaubt. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) bekräftigte heute ihre Position, die Schulen und Kitas in der Corona-Krise so weit wie möglich offen zu halten. Die bestehenden Regelungen für Schüler seien hart genug und sollten nicht noch weiter verschärft werden, sagte Schwesig am Mittwoch im NDR Info. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat bereits betont, dass die weitere Entwicklung der Corona-Infektionslage ständig beobachtet werde. Wenn plötzlich etwas Anderes möglich würde, «dann werden wir neu entscheiden», hatte er mit Blick auf den Betrieb von Kitas und Schulen gesagt.

Warum sie denn dann überhaupt gestern den Beschluss zu Kitas und Schulen gefasst haben, bis zum 14. Februar die Einschränkungen im Betrieb aufrechtzuerhalten – wenn der sowieso nicht wirklich gilt –, das erklärten Schwesig und Laschet nicht. News4teachers / mit Material der dpa

Maximale Verunsicherung: Wie die Kultusminister jedes Vertrauen verspielen

Die mobile Version verlassen