BAMBERG. Lesekompetenz und die Bereitschaft, sich anzustrengen, sind elementar für die Motivation von Schülern im Distanzunterricht. Das Interesse an Lerninhalten spielt dagegen nur eine geringe Rolle, zeigt eine Sonderbefragung zum Nationalen Bildungspanel (NEPS).
Im regulären Schulbetrieb durchaus umstritten, hat das selbstständige Lernen zu Hause für Schülerinnen und Schüler in der COVID-19-Pandemie eine zentrale Bedeutung erlangt. Landauf, landab versuchen Lehrerinnen und Lehrer, Bildungspolitiker und -forscher die Frage zu beantworten, wie gut die Schülerinnen und Schüler mit der neuen Lernsituation zurechtkommen. Wissenschaftler des Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) haben sich der Frage in einer Corona-Zusatzbefragung im Rahmen des Nationalen Bildungspanels (NEPS) genähert. Dazu haben sie Befragungen von 1.452 Eltern während des Lockdowns im Frühjahr 2020 sowie Kompetenztests und Befragungen aus dem Jahr 2018 herangezogen.
Die Auswertungen der Elternbefragungen zeigen, dass die Kinder mit hoher Lesekompetenz und hoher Anstrengungsbereitschaft besser mit dem Lernen zu Hause zurechtkamen. Eine geringe Rolle für die Lernmotivation während der Schulschließungen spielte hingegen das Interesse an den Lerninhalten.
Zwei Drittel der befragten Eltern (67 %) von 14-jährigen Schülerinnen und Schülern der achten Klasse berichteten von Problemen, ihre Kinder beim Distanzunterricht zum Lernen zu motivieren. Etwa die Hälfte davon (35 %) fand dies „eher schwer“ oder „sehr schwer“. Ein deutlicher Unterschied zeigte sich dabei zwischen den Geschlechtern: Eltern gaben für Jungen deutlich häufiger an, dass sie schwierig für das Lernen zu Hause zu motivieren waren als für Mädchen.
Die Forscher um Kathrin Lockl vom LIfBi kombinierten im Anschluss die Elterneinschätzungen mit den Ergebnissen von Kompetenztests, die dieselben Schülerinnen und Schüler anderthalb Jahre zuvor im Rahmen des Nationalen Bildungspanels erbracht hatten. Dabei habe sich gezeigt, dass diejenigen, die gute Lesekompetenzen gezeigt hatten, sich auch leichter zum Lernen zu Hause motivieren ließen.
Naheliegend, denn das Lesen von Texten in Schulbüchern, aber auch von Anleitungen und Arbeitsanweisungen sei für das Lernen zu Hause besonders wichtig, vermuten die Autorinnen des Berichts. Anders als im regulären Präsenzunterricht könnten Lehrkräfte den Lernstoff und die Aufgaben in vielen Fällen nicht mündlich erklären. Die Fähigkeit, schriftliche Texte zu verstehen, werde damit zur zentralen Kompetenz für alle Schulfächer – nicht nur für den Deutschunterricht.
Lockl und ihre Co-Autorinnen vermuten, „dass Schülerinnen und Schüler mit geringeren Lesekompetenzen häufiger Verständnisschwierigkeiten haben und manche Aufgabenstellungen weniger gut nachvollziehen können. Solche eher entmutigenden Erfahrungen könnten dann dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler weniger motiviert sind, ihre Aufgaben zu erledigen.“
Kann man daraus vermuten, dass die Schulschließungen die Lücke zwischen den lernwilligen und den unmotivierten Schülerinnen und Schülern weiter vergrößert, könne der Distanzunterricht aber Chancen bieten, das selbstregulierte Lernen zu fördern. Der Fernunterricht könne so Kindern auch helfen, ihre Kompetenzen zu entwickeln, befindet LIfBi-Direktorin Cordula Artelt. Dazu müssten Lehrende allerdings verstärkt Methoden nutzen, die individuelle Rückmeldungen erlauben. Artelt: „Damit Kinder motiviert sind, brauchen sie realistische Ziele und Rückmeldungen. Sie müssen sich als kompetent und autonom erleben. Eigentlich eignet sich das Lernen auf Distanz wunderbar dazu, selbstreguliertes Lernen zu fördern, aber es muss eine gute Mischung aus selbstständigen und angeleiteten Phasen geben.“
Wird Distanzunterricht dagegen nur als die Übermittlung von Aufgaben verstanden, bestehe die Gefahr, dass Kinder zu wenig Rückmeldung erhalten und gerade diejenigen, die ohnehin Motivationsschwierigkeiten haben, abgehängt werden. Die bisherigen Auswertungen der NEPS-Zusatzbefragung legten nahe, dass dies im ersten Lockdown oft der Fall gewesen sei. Bildungsforscherin Artelt empfiehlt Lehrerinnen und Lehrern deshalb unbedingt, individuelle Elemente zukünftig in den Distanzunterricht einzubauen, zum Beispiel durch persönliche Sprechstunden, Videokonferenzen oder interaktive Aufgaben.
Klar sei auch: Eltern können diese didaktisch-pädagogische Begleitung nicht ersetzen. Was Eltern von den Schulen brauchen, sei neben Planbarkeit des Homeschoolings auch Transparenz, was im Fernunterricht erwartet wird und was die Kinder in dieser Zeit leisten sollen. (zab, pm)
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