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Kitas und Grundschulen öffnen – Forscher sagen dritte Corona-Welle voraus

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BERLIN. In den meisten Bundesländern sollen die Kitas und Grundschulen bald wieder öffnen. Gleichzeitig warnen Ministerpräsidenten wie der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann vor einer dritten Corona-Welle. Wie geht das zusammen? Nach Ansicht von Wissenschaftlern gar nicht: Die neuen Mutationen und geöffnete Bildungseinrichtungen werden dafür sorgen, dass die Ansteckungszahlen in Deutschland wieder schnell nach oben schießen. „Wir sind bereits wieder im exponentiellen Wachstum“, sagt der Helmholtz-Forscher Michael Meyer-Hermann. Heißt: Die dritte Welle rollt schon heran.

Die dritte Welle kommt – sagen Wissenschaftler voraus. Illustration: Shutterstock

Winfried Kretschmann wirbt um Verständnis dafür, dass der Lockdown mit den weitgehenden Kontaktbeschränkungen bis zum 7. März grundsätzlich weiter geht. Auch wenn die Infektionszahlen in Baden-Württemberg auf dem bundesweit niedrigsten Stand seien, drohten die hochansteckenden Virusmutationen diesen Erfolg wieder zunichtezumachen. Deswegen sei es noch zu früh für weitere Lockerungen. «Wir dürfen jetzt nicht nachlassen, sonst riskieren wir eine dritte Welle», sagt der Grünen-Politiker. «Es wären dann noch härtere Maßnahmen notwendig, als wir sie jetzt schon haben.» Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte den Lockdown eigentlich gleich bis zum 14. März verlängern. Doch hier gab es Widerstand der Länder, auch aus Baden-Württemberg.

«Das Konzept für den Wiedereinstieg in den Präsenzbetrieb an den Grundschulen liegt bereits vor»

Und noch in einem anderen Punkt zogen die Länder nicht mit – auch Baden-Württemberg nicht: Kitas und Grundschulen sollen schnell schrittweise wieder öffnen, und zwar noch im Februar. Mit ihrem Wunsch, den Präsenzbetrieb der Kitas und Schulen bis zum 1. März weitgehend geschlossen zu halten (wirklich geschlossen waren die Einrichtungen aufgrund von Notbetreuung und Ausnahmeregelungen etwa für Abschlussklassen tatsächlich nie), konnte sich Merkel bei den Ministerpräsidentin nicht durchsetzen. Also wird jetzt wieder großflächig geöffnet – auch in Baden-Württemberg. Dort sollen die Kitas und Grundschulen ab dem 22. Februar wieder öffnen.

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«Das Konzept für den Wiedereinstieg in den Präsenzbetrieb an den Grundschulen liegt bereits vor», erklärte ein Sprecher von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Es orientiere sich an den Regelungen, die nach dem ersten Corona-Lockdown im vergangenen Jahr zum Ende der Pfingstferien galten. «Im Kern geht es um einen Wechselbetrieb, in dem jeweils zwei Klassenstufen in die Präsenz kommen, die beiden anderen Klassenstufen von zu Hause aus lernen.» Damals sei dieses Modell schon an den Grundschulen erfolgreich umgesetzt worden. «Auch die Abschlussjahrgänge sollen wechselweise zurückkehren.» Der Sprecher fügte hinzu: «Perspektivisch in einem nächsten Schritt ist dann auch an den weiterführenden Schulen Präsenzunterricht im Wechselmodell anzustreben – sofern es das Infektionsgeschehen zulässt.»

Wie geht das mit Kretschmanns Aussagen zusammen? Der Regierungschef sagt, die Mutationen begönnen sich auch in Baden-Württemberg auszubreiten. «Wir müssen damit rechnen, das sagen uns die Experten, dass sie schon im März die dominanten Viren sein könnten.» Dies hänge wie ein «Damoklesschwert» über dem Land. Das einzig wirksame Mittel gegen das alte Coronavirus und die neuen Varianten sei, weiter größte Vorsicht walten zu lassen. Kretschmann appelliert an die Menschen, sich weiter daran zu halten, dass ein Haushalt sich nur mit einer weiteren Person treffen darf. Man dürfe auch bei Freunden und Verwandten keine Ausnahme machen, nur weil man sie besser kenne. «Da spielen uns unsere Gefühle einen Streich», warnt er.

“Wenn wir jetzt Schulen und Einzelhandel öffnen würden, also heute, dann hätten wir die dritte Welle im März”

Dass ein „Weiter so“ mit gleichzeitigen Schulöffnungen eine dritte Welle nicht verhindern wird, macht Michael Meyer-Hermann, Professor an der Technischen Universität Braunschweig und Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, am Abend in den ARD-„tagesthemen“ deutlich. „Eine Verlängerung der Maßnahmen wäre richtig, wenn wir nur eine Pandemie hätten, also sprich die Pandemie von 2020. Leider ist es so, dass wir inzwischen zwei bis drei Pandemien haben. Wir haben die englische Variante, die ist ja inzwischen hinreichend bekannt, und die Südafrika-Variante, beide sind im Bereich von acht beziehungsweise vier Prozent in Deutschland bereits vertreten und das bedeutet, dass wir eine andere Situation haben“, sagt er. Denn diese Virus-Varianten sind deutlich ansteckender als das alte Corona-Virus.

Meyer-Hermann, der auch zum Beraterstab von Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört, erklärt weiter: „Die Maßnahmen, die wir jetzt haben, führen zu einer Reproduktionszahl von 0,85, grob geschätzt, und wenn wir jetzt die neuen Varianten haben, dann sind wir deutlich über 1. Das heißt, wir sind bereits wieder im exponentiellen Wachstum, nicht der alten Pandemie, aber der neuen beiden Pandemien – und das bedeutet, dass unsere Maßnahmen im Moment gar nicht mehr ausreichen. Wir haben an dieser Stelle mit Weitermachen gar nicht die richtige Entscheidung getroffen.“

Von Moderatorin Caren Miosga konkret nach der Wirkung von Öffnungen von Schulen und Geschäften befragt, antwortet der Wissenschaftler: „Laut unserer Simulation sieht es so aus, dass wenn wir jetzt Schulen und Einzelhandel öffnen würden, also heute, dann hätten wir die dritte Welle im März – mit der neuen Variante. Durch das Weiterschließen von Schulen und Einzelhandel kann man den Ausbruch der dritten Welle in den April hineinverzögern. In beiden Fällen ist es aber so, dass die dritte Welle kommt.“ Es gebe lediglich zwei Möglichkeiten, diese zu verhindern: die Maßnahmen generell zu verschärfen – oder ein Strategiewechsel hin zu „No-Covid“, ein Konzept, das nach einem wirklich harten Lockdown (und ein Absenken der Inzidenzwerte auf nahe 0) regional geschützte „grüne Inseln“ mit weiten Öffnungen vorsieht.

Ähnlich hatte sich in der vergangenen Woche die Virologin Prof. Melanie Brinkmann geäußert. „Die Politik wird garantiert nicht lockern können, ohne einen Schub an Neuinfektionen zu riskieren. Bis dahin liegen auch bessere Zahlen auf dem Tisch, wie sehr die Virusvarianten in Deutschland verbreitet sind. Die Kurve steigt stark an. Ob die Englandmutante nun um 30 oder 50 Prozent infektiöser ist, sei mal dahingestellt. Aber selbst bei nur 30 Prozent haben wir eigentlich eine ganz neue Pandemie, draufgesattelt auf die bisherige. Die neue läuft sich sozusagen im Hintergrund gerade warm, ohne dass wir das schon klar erkennen können. Bereits mit den noch geltenden, zum Teil halbherzig befolgten Verboten kommen wir dann nicht mehr klar. Wir geraten wieder in ein exponentielles Wachstum und werden noch rigoroser infektiöse Kontakte verhindern müssen. Die Frage ist nur, ob wir es einmal richtig tun, hart, konsequent. Oder ob wir in eine Dauerschleife von kurzem Öffnen und langem Schließen gehen“, sagte sie. „Dazu müssen wir nur in andere Länder blicken, die bei Inzidenzen um die 50 geöffnet haben – und prompt sind die Zahlen wieder hochgegangen.“

Das Kanzleramt kennt das Risiko – gibt aber jetzt die Verantwortung dorthin, wo blockiert wird: in die Länder

Der Bundesregierung ist das durchaus bekannt, wie Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) erkennen ließ. «Wenn wir es weiter mit dem Wildtyp des Virus allein zu tun hätten, dann könnten wir ja jetzt in etwa einschätzen, welche Beschränkungen notwendig sind, unter welchen Bedingungen», so Braun. Einige Staaten hätten aber erlebt, wie auch bei kleinen Öffnungen die Fallzahlen wieder «richtig hoch» gegangen seien – bis hin zu Inzidenzwerten von 800. Nun werde geprüft, was die ersten Öffnungsschritte in Deutschland für Folgen hätten. Für die Öffnung von Schulen sei vereinbart, dass es Hygienekonzepte, Tests und eine frühere Impfung von Lehrkräften und Betreuern geben solle. Es gelte aber die Hoheit der Länder im Bildungswesen.

«Sie haben ja in den letzten Monaten erlebt, dass die Bundeskanzlerin und ich auch sehr dafür geworben haben, dass wir bei den Schulen einheitlich vorgehen. Aber wir haben eben auch gesehen, dass wir da nicht allein auf der Welt sind, sondern jeder Ministerpräsident hat eine Koalition, hat einen Kultusminister und hat eine eigene Schulcommunity», sagte Braun. «Und deshalb haben schon in den letzten Tagen viele Länder Entscheidungen getroffen. Und deshalb ist es folgerichtig, dass wir dann im Beschluss auch festgehalten haben, die Länder machen das in ihrer Kultusverantwortung.» News4teachers / mit Material der dpa

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