ERFURT. In Thüringen kocht ein Streit zwischen dem Datenschutzbeauftragten und dem Bildungsministerium hoch, der bundessweit Wellen schlagen dürfte: Ist es in Ordnung, wenn bei den verpflichtenden Tests in der Schule positive Ergebnisse vor der Klasse – und damit quasi öffentlich – bekannt werden? Der Datenschutzbeauftragte sieht dadurch die Rechte betroffener Schüler massiv beeinträchtigt und verlangt von den Schulen, zumindest eine Einverständniserklärung der Eltern für dieses Procedere einzuholen.
Die Corona-Selbsttests für Kinder und Jugendliche an Thüringens Schulen haben einen Konflikt zwischen dem Landesdatenschutzbeauftragten Lutz Hasse und dem Bildungsministerium ausgelöst. Nach Hasses Einschätzung sind Einwilligungserklärungen der Eltern nötig, damit Schülerdaten bei den Tests erhoben und verarbeitet werden dürfen, wie der Jurist sagte. Hasse sagte im Gespräch, das Bildungsministerium habe ausgeblendet, dass bei der Durchführung der Tests Daten erhoben würden, «und zwar Gesundheitsdaten und Kinderdaten», betonte Hasse. Dabei gehe es zum Beispiel um die Erfassung, ob ein Schüler positiv oder negativ getestet worden sei.
«Eine Identifizierbarkeit von positiv getesteten Schülern/innen sollte vermieden werden»
In einem Schreiben an die Schulen wies Hasse auf die Datenschutzbedenken hin und betonte unter anderem, dass positive Testergebnisse vertraulich behandelt werden müssten. «Eine Identifizierbarkeit von positiv getesteten Schülern/innen, bspw. durch eine offenkundige Separierung dieser Schüler auf dem Schulhof oder im Klassenraum, sollte vermieden werden», heißt es in dem Schreiben. Bislang ist aber vorgesehen, dass die Tests in den Klassenräumen gemacht werden – in Anwesenheit von Schülern und Lehrkraft. Positiv getestete Schülerinnen und Schüler sollen dann umgehend in einen gesonderten Raum gebracht werden, von wo sie die Eltern dann abholen.
Hasses Behörde hat inzwischen bereits ausgefertigte Einwilligungserklärungen an die Schulen geschickt. Seiner Einschätzung nach müssen die Eltern jeweils zwei Datenschutzformulare unterzeichnen. In Thüringen müssen die Eltern bislang nicht explizit zustimmen, dass ihre Kinder an den Schulen getestet werden, sondern müssen dem ausdrücklich widersprechen, wenn sie dies nicht wünschen (Widerspruchslösung). Einwilligungserklärungen zur Datenverarbeitung waren bislang auch nicht vorgesehen.
«Wann war Ministerin Gebauer zuletzt beim Arzt und wurde dort quasi im Wartezimmer untersucht?»
Die Kritik des Datenschützers lässt sich auf alle Bundesländer beziehen, die verpflichtende Tests an Schülern in der Schule praktizieren und dafür keine ausdrückliche Einwilligung der Eltern vorsehen. Einzelne Bundesländer, etwa Niedersachsen und Berlin, lassen die Kinder und Jugendlichen durch ihre Eltern zu Hause testen. In den anderen – wie Nordrhein-Westfalen – hagelt es Kritik. «Wann war Ministerin Gebauer (NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer, d. Red.) zuletzt beim Arzt und wurde dort quasi im Wartezimmer untersucht, und alle anderen guckten zu? Wie steht es da um die Privatsphäre? Wer nach dem Test rausgehen muss, ist also sofort geoutet, wie das pädagogisch aufgefangen werden soll, ist fraglich», so fragte beispielsweise die Landeselternschaft der Gymnasien bereits vor den Osterferien.
Das Thüringer Bildungsministerium will trotzdem am bisherigen Vorgehen festhalten. «Datenschutz ist ein hohes Gut, das jedoch mit anderen Rechtsgütern wie etwa dem Gesundheitsschutz und dem Recht auf schulische Bildung abgewogen werden muss», erklärte ein Sprecher des Bildungsministeriums und wies darauf hin, dass Hasses Schreiben an die Schulen nicht mit dem Ministerium abgesprochen war. Dies setze die Schulleitungen «nicht hinnehmbaren Schwierigkeiten aus». Bis zu einer Klärung zwischen dem Landesdatenschutzbeauftragten und dem Bildungsministerium bleibt es daher bei der vom Bildungsministerium verfügten Vorgehensweise in den Schulen, sagte der Sprecher. Dies werde man den Schulen auch so mitteilen.
Der Vorsitzende des Thüringer Lehrerverbands (tlv), Rolf Busch, kritisierte sowohl das Vorgehen des Ministeriums als auch Hasses Verhalten. «Beide helfen den Lehrern nicht, sondern stressen sie zusätzlich», sagte Busch. Zwar sei die Widerspruchslösung angenehm, weil die Lehrer dadurch keine Einwilligungen der Eltern einholen müssten, jedoch gebe es rechtliche Bedenken. Zudem kritisierte er die fehlenden Absprachen zwischen Bildungsministerium und Landesdatenschützer. «Das schlimmste ist: Mit uns redet keiner, das ist schrecklich», sagte Busch und forderte, dass jene mit einbezogen werden sollten, die die Teststrategie umsetzen müssten – also Schulleitungen und Lehrer.
Der Sprecher des Bildungsministeriums erklärte, die Widerspruchslösung ziele darauf ab, «dass die freiwilligen Testangebote möglichst viele Schülerinnen und Schüler erreichen. Die Möglichkeit, nicht am Testen teilzunehmen, bleibt gewahrt». Man wolle nun möglichst schnell eine Klärung mit Hasse herbeiführen. News4teachers / mit Material der dpa
News4teachers liegt die Beschwerde einer Familie an Helga Block, Datenschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, über fehlenden Datenschutz während der Pflichttests an den Schulen vor. In dem Schreiben, das der Redaktion im Original mit den Namen aller Beteiligten vorliegt (im Beitrag geändert bzw. unkenntlich gemacht), heißt es wörtlich:
“Beschwerdegrund: Artikel 9 DS-GVO Abs. 2, Recht auf Datenschutz. – Datenerhebung, Datenverarbeitung und Datenübermittlung von personenbezogenen Gesundheitsdaten in Form von Testergebnissen, zum Zweck der Feststellung einer etwaigen Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2.
1. Betroffene Daten
Name und Vorname, Adresse, Geburtsdatum, Klassenbezeichnung, Gesundheitsdaten (Diagnose, Befund).
2. Sachverhalt
Am 13.04.2021 nahm Mirko Weber (Name geändert, d. Red.), im Klassenzimmer der Städtischen Schule XXX, im Beisein seiner Mitschüler*innen und der Abteilungsleiterin für die Jahrgänge 8-10, an einem Massen-Coronaselbsttest teil. Es bestand Testpflicht, bei Verweigerung folgt der Ausschluss vom Präsenzunterricht. Bei positiver Corona-Selbsttestung werden die Schülerin oder der Schüler isoliert (vgl. Informationsblatt, Schulministerium NRW, Anlage 2.) Der Massen-Coronaselbsttest wurde nicht vom schulärztlichen Dienst begleitet. Die Vertraulichkeit war im Klassenraum nicht gesichert, da die Mitschülerinnen und Mitschüler sowie die Klassenlehrerin anwesend waren.
Eine Einwilligungserklärung für die mit dem Coronaselbsttest (Datenerhebung) zusammenhängende Datenverarbeitung lag nicht vor. Datenschutzhinweise wurden nicht ausgehändigt. Über die Testverpflichtung und die Untersuchung (Massen-Coronaselbsttest) wurden die Erziehungsberechtigten nicht vorab informiert. Das Testergebnis wurde den Erziehungsberechtigten nicht mitgeteilt. Eine Begründung der Städtischen Schule XXX für die Notwendigkeit der Untersuchung) lag nicht vor. Mirko Weber ist nicht krankheitsverdächtig oder ansteckungsverdächtig.
3. Rechtliche Würdigung
Die Schülerinnen und Schüler sind verpflichtet, sich in Reihenuntersuchungen untersuchen zu lassen. Im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis hat die Schule darauf zu achten, dass bei den Untersuchungen außer einem Schularzt und der Schülerin oder dem Schüler keine anderen Personen anwesend sind als ggf. die Eltern und die berufsmäßig tätigen Helfer*innen des Arztes. (vgl. Schulgesetz NRW Kommentar, Wingen-Verlag, § 54 zu Abs. 2, Grundlieferung 2006, SchulG NRW-Kommentar, Februar 2006, Ernst).
Wie in § 1 Abs. 3 Satz 1 VO-DV 1 und § 1 Abs. 5 VO-DV II ausdrücklich klargestellt wird, hat die Leiterin oder der Leiter der Schule oder der sonstigen Stelle sicherzustellen, dass der Schutz der verarbeiteten Daten durch technische und organisatorische Maßnahmen gewährleistet ist. Es sind Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind zu gewährleisten, dass nur Befugte personenbezogene Daten zur Kenntnis nehmen können (Vertraulichkeit). Diese Maßnahmen wurden durch die Städtische Schule XXX nicht erfüllt.
In Fällen, in denen die Verarbeitung sensibler personenbeziehbarer Daten vorgesehen ist und über komplexe Sachverhalte, die zu weitreichenden Folgen führen können (Ausschluss vom Präsenzunterricht, Quarantäne, Stigmatisierung infizierter Schülerinnen und Schüler, seelische Belastung und Verletzung) und das Kindeswohl gefährdet ist, müssen die Eltern des Minderjährigen Mirko Weber über die geplante Datenverarbeitung und den Datenschutz vorab unbedingt informiert werden.
Nur so können die Erziehungsberechtigten in Wahrnehmung ihres Elternrechts entgegenstehende Einwände rechtzeitig vorbringen oder ihren Sohn Mirko Weber bei seiner Entscheidung entsprechend beraten. Letztlich ist es die gemeinsame Aufgabe von Schule und Eltern, die noch Minderjährigen an die eigenverantwortliche Wahrnehmung ihres (Grund-) Rechts auf informationelle Selbstbestimmung heranzuführen. So fördert die Schule gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 SchulG NRW die Entfaltung der Person, die Selbständigkeit ihrer
Entscheidungen und Handlungen sowie das Verantwortungsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler für das Gemeinwohl. Bei der Verwirklichung dieser (wie auch aller anderen normierten) Bildungs- und Erziehungsziele arbeiten „Schule und Eltern“ – wie es in § 2 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW heißt – „partnerschaftlich zusammen“. Die Erziehungsberechtigten sind nach § 120 SchulG NRW, Schutz der Daten von Schülerinnen, Abs. 3 über das Ergebnis zu informieren. Dieser Anspruch wurde durch den Beschwerdegegner bisher nicht erfüllt.
Die Städtische Schule XXX ist nicht den Beweis angetreten, dass der Massen-Coronaselbsttest bei Schülerinnen und Schülern die weder krankheitsverdächtig noch ansteckungsverdächtig sind, geeignet ist, die Pandemie zu bekämpfen. Es wird „ins Blaue hinein“ getestet. Zudem stellt sich die Frage, welchen Nutzen der Massen-Coronaselbsttest bei der Verhinderung der Ausbreitung besitzt. Im vorliegenden Fall kann der infektionslogische Nutzen der wöchentlichen Testpflicht für Schülerinnen und Schüler nicht mit hinreichender Sicherheit bewerten werden, es liegen keine Informationen vor. Eine Datenerhebung, stellt sich als unverhältnismäßig dar, wenn sie aufgrund bloßer Mutmaßungen ergriffen wird.”
„Psychische Belastung“: Klagewelle gegen Testpflicht an Schulen überrollt Gerichte