BERLIN. Der Bund übernimmt ab sofort einen Großteil der Kosten für den Einbau von stationären Frischluft-Klimaanlagen in Kindergärten und Schulen, die Coronaviren aus der Atemluft filtern können. Das hat Kanzleramts-Chef Helge Braun nun via Twitter kundgetan. Hintergrund ist offenbar die Sorge, dass Kinder unter zwölf Jahren auf absehbare Zeit nicht gegen das Coronavirus geimpft werden können. Braun fordert die Schulträger auf, die Klassenräume über die Sommerferien nachzurüsten. Unklar ist noch, ob das Programm nur Kitas und Grundschulen betrifft – oder ob auch weiterführende Schulen mit dessen Hilfe ausgestattet werden können.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte unlängst mit einer Aussage aufhorchen lassen: In der Sendung „hart aber fair“ schob sie die Verantwortung dafür, dass Kitas und Schulen innerhalb von einem Jahr Pandemie flächenmäßig nicht mit Luftfiltern ausgestattet wurden – auf die Kommunen. Die seien an anderer Stelle finanziell so entlastet worden, dass den Trägern der Bildungseinrichtungen durchaus die Kosten für solche Geräte zuzumuten wären.
Achtung Schulträger: Ab sofort fördert das Wirtschaftsministerium den Neueinbau von stationären Frischluft-Klimaanlagen in Kindergärten und Grundschulen zu 80%! Gut gegen #Corona und auch langfristig ist gute Raumluft gut fürs „Lernklima“! ToDo: In den Sommerferien einbauen!
— Helge Braun (@HBraun) May 12, 2021
Andererseits lieferte Karliczek selbst den Kommunen ein Alibi für ihre Untätigkeit: Sie verwies in der Sendung auf „diese Studie“, nach der ein Nutzen solcher Geräte von den individuellen örtlichen Gegebenheiten abhängig sei. Eine solche „Studie“ existiert allerdings nicht, wie auch der Faktencheck von „hart aber fair“ nach der Sendung feststellt – es gibt lediglich eine (umstrittene) Stellungnahme des Umweltbundesamtes (UBA), nach der mobile Luftfilter allenfalls als Ergänzung dienen können. Das Statement des UBA, News4teachers hat mehrfach darüber berichtet, stützt sich auf keinerlei Versuche.
Effizienter sind nach Ansicht des UBA fest eingebaute Lüftungsanlagen mit entsprechenden Partikelfiltern, sowie das regelmäßige Durchlüften bei geöffneten Fenstern. Nur wenn diese Möglichkeiten ausgeschlossen seien, „kann der Einsatz mobiler Luftreinigungsgeräte erwogen werden“, so das UBA. Was schon logisch schwer nachzuvollziehen ist: In Räumen, in denen Fenster fest verschlossen sind, können mobile Luftfilter eingesetzt werden – dort, wo Fenster zusätzlich geöffnet werden können, sollen die Geräte aber unsicher sein?
Zwei großangelegte wissenschaftliche Studien von der Universität der Bundeswehr München sowie von der Universität Frankfurt, kommen denn auch zu anderen Ergebnissen: Ihnen zufolge senken mobile Luftfilter in ausreichender Größe die Virenbelastung in der Raumluft um 90 bis sogar knapp 100 Prozent, je nach Betriebsdauer. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) warnt deshalb mittlerweile sogar davor, bei der Belüftung von Klassenzimmern nur auf offene Fenster zu setzen, wie es das UBA empfiehlt.
Vorteil gegenüber mobilen Luftfiltern: Die Fenster müssen nicht mehr zusätzlich geöffnet werden
So hatte Thorsten Frühmark, Ortsbürgermeister im niedersächsischen Möllenbeck, Rechtsanwalt (der bereits Schüler vertreten hat, die gegen die Schulpflicht in der Pandemie klagten) und Mitdiskutant bei „hart aber fair“, das Thema in der Sendung aufgeworfen – und mehrmals darüber geklagt, dass noch immer keine Luftfilter für Schulen angeschafft werden. Gehe er als Anwalt jedoch ins Gericht, als Gast ins Fernsehstudio oder in den Baumarkt, sehe er überall Luftfilter. Karliczeks kryptische Antwort: „Es ist ein Können und ein professioneller Auftrag, diese Luftfilter so aufzustellen, dass sie in der Schule richtig wirken können.“ Frühmark hat auch den niedersächsischen Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) angeschrieben, um die Ausstattung aller Klassenräume mit Luftfiltern zu fordern, wie News4teachers berichtet.
Jetzt kommt offenbar Bewegung in die Angelegenheit. Das Bundeswirtschaftsministerium will künftig beim Neueinbau von stationären Frischluft-Klimaanlagen in Kindergärten und (Grund-)Schulen den Großteil der Kosten übernehmen. Stationäre Frischluft-Klimaanlagen werden vom UBA vorbehaltlos empfohlen; der Einbau ist aber deutlich aufwendiger und die Kosten entsprechend höher.
Der Vorteil gegenüber mobilen Luftfiltern: Die Fenster müssen nicht mehr zusätzlich geöffnet werden, weil die Anlage automatisch für die Luftzufuhr sorgt. Wie Kanzleramtschef Helge Braun per Twitter mitteilte, fördere das Ministerium den Neueinbau in Kindergärten und Grundschulen ab sofort zu 80 Prozent. „Gut gegen #Corona und auch langfristig ist gute Raumluft gut fürs ‚Lernklima‘! ToDo: In den Sommerferien einbauen!“, schrieb der CDU-Politiker in Richtung der Schulträger.
Hintergrund ist, wie die Deutsche Presseagentur unter Berufung auf das Wirtschaftsministerium berichtet, eine Erweiterung der Bundesförderung coronagerechter Um- und Aufrüstung von stationären raumlufttechnischen Anlagen (RLT-Anlagen) um den Neueinbau in Einrichtungen für Kinder unter zwölf Jahren, die das Kabinett am vergangenen Mittwoch beschlossen habe. Die Erweiterung diene der besseren Pandemiebekämpfung, hieß es. Für den Infektionsschutz sei Frischluftzufuhr sehr wichtig – gerade bei Kindern unter zwölf Jahren, weil diesen derzeit noch kein Impfangebot gemacht werden könne. Das Ministerium wolle nun „mit Hochdruck“ an der Novellierung der Richtlinie arbeiten.
Verwirrung gibt es noch in einem Punkt. Bei den Schulen würden alle berücksichtigt, in denen Kinder unter zwölf Jahren unterrichtet werden – auch wenn außerdem ältere Schüler an den Schulen seien, heißt es beim Bundeswirtschaftsministerium. Stimmt das so, dann würde das bedeuten: Nicht nur Grundschulen, wie Braun getwittert hatte, sondern auch weiterführende Schulen können mithilfe des Programms ausgestattet werden.
Merkel: „Wir werden also im Herbst eine schwierige Situation an den Grundschulen haben“
Offenbar steckt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hinter der Initiative. Merkel hatte laut einem Bericht von n-tv beim Impfgipfel vor zweieinhalb Wochen gewarnt, es werde „noch sehr, sehr lange dauern“, bis es einen Impfstoff für Kinder unter 12 Jahren geben werde. „Und mit sehr lange, meine ich, nicht vor Frühjahr 2022. Wir werden also im Herbst eine schwierige Situation an den Grundschulen haben. Dort müssen wir uns auf den Betrieb mit ungeimpften Kindern einstellen.“
Noch im November hatte Merkel auf einer Pressekonferenz auf die Frage eines Journalisten, ob sich der Schul- und Kitabetrieb mit Lüftungssystemen normalisieren lassen, erklärt: „Noch vor zwei, drei Monaten war nicht ganz klar, was diese Anlagen wirklich bringen. Wir brauchen auch Gegenstände, die echt etwas bringen. Ich kann jetzt nicht jedes Klassenzimmer mit einem HEPA-Filter ausstatten. Ich glaube, das wäre nicht möglich.“ Die Kanzlerin sagte aber auch: „Wenn es technische Entwicklungen gibt, wird es Wege geben. Ich will gar nichts abwenden, sondern will nur sagen: Wir haben an einigen Stellen schon einiges gemacht und verschließen uns auch nicht anderen Dingen.“ News4teachers / mit Material der dpa
Bürgermeister kaufen Schulen keine Luftfilter, weil die Pandemie bald vorbei ist
