
Hessen will Schülerinnen und Schüler beim Deutschlernen und im Umgang mit der Sprache stärker unter die Arme greifen. Mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket solle ihre bildungssprachliche Kompetenz gefördert werden, sagte Kultusminister Alexander Lorz (CDU) am Donnerstag in Wiesbaden. Jedes Kind solle vom ersten Tag an im Unterricht mitreden und Kontakte knüpfen können. «Dafür ist das Erlernen der deutschen Sprache von entscheidender Bedeutung.» Ohne entsprechende Kenntnisse sei die Schullaufbahn von Beginn an mit einer «schweren Hypothek» belastet.
Das Maßnahmenpaket nimmt dem Ministerium zufolge Kinder mit und ohne Migrationsgeschichte in den Blick und umfasst alle Bildungsstationen, von Vorschulkursen über die erste Klasse bis zu den Abschlussjahrgängen. Grundlegende Sprachfertigkeiten sollen dadurch gestärkt werden, ebenso die Lesekompetenz sowie die Fähigkeit, mit Texten und Sprache umzugehen. Das Paket sei auch ein wichtiger Baustein für mehr Chancengleichheit und angesichts der Folgen der Corona-Pandemie auf den Schulbetrieb wichtiger denn je, so Lorz.
Zu den Maßnahmen gehören Pflichtkurse vom kommenden Schuljahr an für alle Kinder im Vorschulalter mit Deutschproblemen. Fehler sollen in der ersten Klasse – ab dem zweiten Schulhalbjahr – korrigiert werden. Lernmethoden wie «Schreiben nach Gehör» sind nicht zulässig (tatsächlich existiert eine solche Methode gar nicht; gemeint ist offenbar „Lesen durch Schreiben“). In den vierten Klassen wird es eine zusätzliche Deutschstunde geben.
«Bildungssprache ist wichtig, um zu beschreiben, zu erklären, zu analysieren, zu erörtern, zu begründen und Schlüsse zu ziehen»
Zum Schuljahr 2022/23 soll verbindlich eine verbundene Handschrift angewendet werden. Dann gilt auch ein Grundwortschatz, den alle Kinder bis zum Verlassen der Grundschule kennen müssen. In den Jahrgangsstufen 9 und 10 soll ein Fehlerindex eingeführt werden, der die Benotung beeinflusst. Allein für die Extra-Deutschstunde und die Vorschulkurse sind laut Ministerium insgesamt 310 neue Stellen vorgesehen. Eingeplant sind außerdem Maßnahmen zur Leseförderung, Aus- und Weiterbildungsangebote für Lehrer und Projekte mit der Stiftung Lesen und der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt.
Die Bildungssprache sei neben der Umgangs- oder Jugendsprache eine Anwendungsform der Sprache, erläuterte der Vorsitzende der Frankfurter Stiftung, Roland Kaehlbrandt. Diese «gibt uns Instrumente an die Hand, um zu beschreiben, zu erklären, zu analysieren, zu erörtern, zu begründen und Schlüsse zu ziehen.» Das müsse aber gelernt und geübt werden. Hintergrund des Maßnahmenpakets ist dem Ministerium zufolge eine – auf Initiative Hessens – Ende 2019 ausgesprochene Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Stärkung bildungssprachlicher Kompetenz.
«Massiver Eingriff in die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte, der letztendlich auf die Schülerinnen und Schüler zurückfallen wird»
Kritik kam von der GEW. Mehrere der angekündigten Maßnahmen wiesen in die falsche Richtung, behinderten einen erfolgreichen Spracherwerb eher. Statt die Rahmenbedingungen an den Grundschulen zu verbessern, hagele es nun Vorgaben, monierte die Vorsitzende der Landesfachgruppe Grundschulen, Susanne Hoeth – augenscheinlich das Verbot von «Schreiben nach Gehör» (aka «Lesen durch Schreiben») im Blick.
Ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer wüssten am besten, wie sich der Erwerb der Schriftsprache unter den konkreten Bedingungen vor Ort erfolgreich gestalten lasse. «Der Minister plant anscheinend einen massiven Eingriff in die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte, der letztendlich auf die Schülerinnen und Schüler zurückfallen wird», kritisierte Hoeth. Ungelöst ist laut GEW ungeachtet des Pakets auch der Lehrkräftemangel an den Grundschulen im Land. News4teachers / mit Material der dpa
Der Streit um „Lesen durch Schreiben“ geistert seit Jahren durch die Bildung – schon 2016 schrieb die GEW Rheinland-Pfalz dazu einen offenen Brief an die Bildungspolitiker im Land, der augenscheinlich nichts an Aktualität eingebüßt hat. Darin heißt es:
“Mit Hilfe der Methode ‘Lesen durch Schreiben’ orientieren sich die Kinder beim Schreiben am Sprechen. Durch die Benutzung einer Anlauttabelle versuchen sie, Wörter selbstständig zu schreiben. Zusätzlich erlernen die Schülerinnen und Schüler an den Grundschulen selbstverständlich die notwendigen Regeln und Normen der deutschen Rechtschreibung. Letztendlich dient diese Methode dazu, Schülerinnen und Schüler zum selbstständigen Schreiben zu motivieren.
Laut Sicht der CDU hat diese Methode Schuld daran, dass die Kinder nicht mehr richtig lesen und schreiben würden. Es erscheint so – liest man die derzeitigen CDU-Publikationen –, als sei dies das zentrale Problem der Bildungspolitik. Dabei wird vergessen, dass diese Methode seit vielen Jahrzehnten an Grundschulen angewandt wird und in der Fachwissenschaft anerkannt ist. Was die Kolleginnen und Kollegen ärgert, ist nicht nur, dass man eine Methode verbieten möchte, sondern auch, dass suggeriert wird, sie seien daran schuld, dass die Lese- und Rechtschreibkompetenz der Schülerinnen und Schüler immer schlechter werde. Letztendlich wird generell ihre fachliche und methodische Kompetenz hinterfragt. Dies hat es in dieser Form bisher noch nicht gegeben.
Es ist bisher einmalig, dass eine fachwissenschaftlich fundierte und anerkannte Methode, die seit vielen Jahren in der Praxis erprobt wurde und angewandt wird, verboten werden soll. An nur wenigen Schulen wird diese Methode jedoch in „Reinform“ angewandt, was die Kritik und die angeblich negativen Auswirkungen dieser Methode noch weiter relativiert. Es ist an der Zeit, die Grundschulkolleginnen und -kollegen vor diesen Angriffen in Schutz zu nehmen und sie vor Bevormundung zu bewahren.”