PIRMASENS. Der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek stammt aus Pirmasens in Rheinland-Pfalz, wo eine rot-grün-gelbe Landesregierung einen Kurs weit offener Kitas und Schulen fährt – und wo eine Bildungsministerin (Stefanie Hubig, SPD) jede Gelegenheit nutzt, die Corona-Pandemie für Kinder zu verharmlosen. Das färbt offenbar ab: Janecek verbreitete über Twitter einen Artikel, in dem der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) die Durchseuchung von Kindern und Jugendlichen als unproblematisch darstellt – hingegen die Folgen von Schulschließungen dramatisiert. Einer Kinderärztin aus Janeceks Wahlkreis platzte angesichts dieser Thesen der Kragen. Wir dokumentieren ihren lesenswerten „Thread“ im Wortlaut.
„Ich bin Kinderärztin mit großer Praxis, habe Patienten aus allen sozialen Schichten, da lassen sich repräsentative Aussagen machen: Die allermeisten ‚meiner‘ Familien sind gut durch die Pandemie, durch Homeschooling und diverse Quarantänen gekommen. Spaß gemacht hat es nicht immer.
Es gibt Kinder, die haben zugenommen, es gibt Kinder die haben ihren Medienkonsum vervielfacht. Die werden von mir jetzt dabei unterstützt, ihre neuen Gewohnheiten wieder zu ändern. Bei vielen sind schon erste Erfolge zu sehen. Dann gibt es diese Familien, an die ich beim 1. Lockdown sofort denken musste. Es sind Familien, bei denen man sich als Kinderärztin unwohl fühlt, wenn man sich vorstellt, dass sie über Wochen 24h unter sich sind. Für sie habe ich alles mir Mögliche in Bewegung gesetzt. Ob das erfolgreich war, wird sich erst zeigen, ihr Weg wäre auch ohne Pandemie kein einfacher!
1/ Ich bin Kinderärztin mit großer Praxis, habe Pat. aus allen sozialen Schichten, da lassen sich repräsentative Aussagen machen: Die allermeisten „meiner“ Familien sind gut durch die Pandemie, durch Homeschooling und diverse Quarantänen gekommen. Spaß gemacht hat es nicht immer! https://t.co/EfSz7eSpgB
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) September 5, 2021
Und es gibt unglaublich viele Gespräche, Telefonate mit Eltern, die sich sorgen um die Gesundheit ihrer Kinder. Die einen sorgen sich, ob die Kinder die Maßnahmen gut wegstecken. Manche beobachten neue Verhaltensweisen, Ängste, Tics, Wesensveränderungen. Manche machen sich ganz generell Sorgen, weil sie immer lesen und hören, Kinder würden so leiden unter den Maßnahmen. Und es gibt die, die sich wegen SarsCov2 sorgen, nach einer durchgemachten Infektion eines Familienmitgliedes oder des Kindes selbst, weil sie bemerken, was Corona anrichten kann.
“Und es gibt fünf Familien, bei denen ein Mitglied der Kernfamilie an SarsCov2 verstorben ist”
Bei vielen wurden die Sorgen sofort kleiner, sobald die Inzidenzen vor ein paar Wochen runter gingen, wieder mehr Normalität ins Familienleben kam. Manche Familien können sogar daran wachsen, dass sie diese ‘Krise’ gemeinsam gemeistert haben. Bei manchen aber bleibt etwas.
Ich betreue eine Handvoll Jugendlicher mit neu aufgetretenen Essstörungen. Es gibt außerdem einige (nicht massenhaft) Kinder und Jugendliche, die psychotherapeutische Hilfe brauchen. Ein Vater hat sich das Leben genommen, weil die Pandemie eine vorbestehende Depression reaktiviert hat. Und es gibt fünf Familien, bei denen ein Mitglied der Kernfamilie an SarsCov2 verstorben ist. Ebenfalls eine Handvoll Kinder und Jugendliche haben nachweislich diagnostizierte Folgen einer COVID-19 Erkrankung, die sie stark beeinträchtigen. Bei etwa genauso vielen gibt es Beeinträchtigungen, die nicht wirklich objektivierbar, aber dennoch da sind.
Das ist das, was ich ‚an der Coronafront‘ im real life erlebe. Das Bild, das Politiker, wie hier @DJanecek und selbst Funktionäre unserer Fachverbände @DGKJ_eV, @BVKJ und @kbv4u zeichnen, ist maximal weit davon entfernt. Das wird keinem der Einzelschicksale da draußen gerecht und übrigens auch keinem derjenigen, die wie ich versuchen, etwas zu bewirken und manchmal am Ende ihrer eigenen Kräfte sind.“
Danke für den Einblick. Ja, vieles von dem, was sie berichten, begegnet mir auch! Politisch regt es mich weiterhin riesig auf, dass bestimmte Maßnahmen, wie Luftfilter, Lolli(PCR)tests zB nicht getroffen wurden. Und natürlich haben die Kinder, auch die aus “Bullerbü” Sehnsucht https://t.co/gepYjKGHkB
— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) September 6, 2021
“Auf keinen Fall kann die Strategie heißen, dass man eben in Kauf nimmt, dass sich Kinder anstecken”
Geantwortet hat Karin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag: “Danke für den Einblick. Ja, vieles von dem, was Sie berichten, begegnet mir auch! Politisch regt es mich weiterhin riesig auf, dass bestimmte Maßnahmen, wie Luftfilter, Lolli(PCR)tests zB nicht getroffen wurden. Und natürlich haben die Kinder, auch die aus ‘Bullerbü’, Sehnsucht nach normalem Unterricht (‘Mama, du bist eine tolle Lehrerin, jetzt hätte ich trotzdem gern eine richtige’ M, 7 Jahre, jetzt Klasse 2). Es gibt kein entweder/oder aus meiner Sicht. Aber auf keinen Fall kann die Strategie heißen, dass man eben in Kauf nimmt, dass sich Kinder anstecken! Mehr Impfungen der Erwachsenen, besonders derer, die mit Kindern zu tun haben, Aufklärung, mobile Impfteams auch an der Schule für die ü12 und Eltern. Insgesamt nicht so tun, als ob wir nix machen könnten. Doch, wir können, nur leider macht die Bundesregierung nicht (mit).”
Zu ergänzen wäre: Die Grünen in den Landesregierungen auch nicht. News4teachers
Kultusminister, stellt Euch doch selbst bei Minustemperaturen stundenlang in den Durchzug!
