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Mediziner fordern Schulgesundheitsfachkräfte für jede Schule

STUTTGART. An jeder Schule in Deutschland soll künftig eine Gesundheitsfachkraft tätig sein. So lautet die Forderung einer Allianz aus fünf medizinischen Fachgesellschaften zum morgigen Weltkindertag. Die Mediziner berufen sich auf Modellprojekte in Brandenburg und Hessen.

Nach dem Vorbild skandinavischer und angloamerikanischer Länder sollen auch in Deutschland Schulgesundheitsfachkräfte zum Einsatz kommen, um die Bildungs- und Gesundheitsbiografien chronisch kranker Kinder, zu verbessern und die Inklusion zu fördern. Das fordert eine Allianz medizinischer Fachgesellschaften aus Anlass des Weltkindertages am 20. September 2021. Spezialisierte Pflegekräfte könnten nach Ansicht der Mediziner Eltern und Lehrer entlasten und auch bei Suchtproblemen, Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung frühzeitig Hilfestellung leisten.

Gesundheitsfachkräfte, vulgo Schulschwestern, sorgen sich um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler. Foto: Shutterstock

Jährlich erkranken hierzulande rund 3500 Kinder und Jugendliche neu an Diabetes, viele davon mittlerweile bereits im Vorschulalter. Obwohl die Versorgung diabeteskranker Kinder einfacher geworden ist, benötigen die Patientinnen und Patienten im Grundschulalter  Unterstützung, die Schulen oft nur schwer leisten könnten. „Den Insulinbedarf an Sport und Spiel, an Lernstress und Schulessen anzupassen, ist eine komplexe Herausforderung, die sie oft noch nicht allein meistern können“, stellt etwa der Kinderdiabetologe Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft fest. Lehrkräften fehle in der Regel das notwendige medizinische Wissen.

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Für jede Schule eine Gesundheitsfachkraft
Eine Allianz aus 5 medizinischen Fachgesellschaften plädiert daher für die flächendeckende Etablierung von Schulgesundheitsfachkräften. „Gesundheitsfachkräfte können chronisch kranke Kinder im Schulalltag kompetent begleiten“, begründet Thomas Kapellen von der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD). In einem Positionspapier fordern die Mediziner Verantwortliche in Gesundheits- und Kultuspolitik auf, in einem ersten Schritt alle öffentlichen und privaten Grundschulen verbindlich mit einer Gesundheitsfachkraft auszustatten. Zu der Allianz gehören die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) in der DDG gemeinsam mit diabetesDE – Deutsche Diabetes Hilfe, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) sowie dem Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e. V. (BeKD).

Damit würde Deutschland dem Beispiel anderer Nationen folgen. In skandinavischen und angloamerikanischen Ländern seien seit Jahren spezialisierte Pflegekräfte in Schulen tätig, die als „school nurses“ Kinder und Jugendliche in allen gesundheitlichen Angelegenheiten betreuten. Studien bestätigten, dass alle Beteiligten der Schulgemeinde davon profitierten. Auch in Deutschland sind zwei Modellprojekte in Brandenburg und Hessen evaluiert worden. Ein Gutachten zu den Projekten kam 2020 zu dem Schluss, dass die Einrichtung von Gesundheitsfachkräften an Schulen machbar und ökonomisch sinnvoll sei. Als Orientierungsrahmen ermittelte das Gutachten einen Schlüssel von 1:700. „An jeder Schule sollte eine Gesundheitsfachkraft tätig sein“, resümiert Kapellen.

Weniger Notfallsituationen, bessere Lebensperspektiven
Deren Einsatz zahle sich laut Gutachten aus. So kam es in Brandenburg und Hessen zu weniger Unfällen und Rettungswageneinsätzen sowie zu geringeren Behandlungskosten. Schulgesundheitsfachkräfte trügen zudem stark zur Entlastung von Lehrern und Eltern bei, die sonst wegen der Krankheit ihres Kindes häufig ihre Berufstätigkeit einschränken müssen.

Dies seien volkswirtschaftliche Pluspunkte, die sich potenzierten insbesondere da Schulgesundheitsfachkräfte nicht nur chronisch kranke Kinder unterstützten. „Sie leisten Erste Hilfe, sind Anlaufstelle bei Schmerzen und Vertrauensperson bei gesundheitlichen und psychischen Auffälligkeiten, sie beraten Kinder und Eltern zu Sucht, Ritzen, Stress, in Krisensituationen oder in Ernährungsfragen, melden den Verdacht auf Missbrauch, Misshandlung oder Vernachlässigung“, erklärt Professor Jörg Dötsch. „Wir sollten nicht zögern und Schulgesundheitsfachkräfte für Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus und alle anderen chronischen Erkrankungen zügig flächendeckend etablieren. Sie sind eine sehr gute Investition in die Jugend und damit in unsere Zukunft“, betonte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ).

Finanzierung über das Präventionsgesetz
Zur Finanzierung der Schulgesundheitsfachkräfte sind aus Expertensicht Anstrengungen von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungsträgern erforderlich. „Zunächst sollte die Lebenswelt Schule ins Präventionsgesetz aufgenommen werden“, erläutert Andreas Neu. So könnten die Krankenkassen mit einem Euro pro Versichertem einen Beitrag in Höhe von rund 57 Millionen Euro in einen Fonds einzahlen, der über die Länder an die Schulen weitergegeben werden könne. Auch Länder und Unfallkassen könnten sich beteiligen, der Bund einen „GesundheitsPakt Schule“ auflegen oder eine Bundesstiftung „Schulgesundheit“ gründen. (PM)

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