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Der Sturz von „Bild“-Chefredakteur Reichelt: Für Lehrer eine gute Nachricht (aber…)

Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

BERLIN. Ein Hetzer weniger. Der Springer-Verlag hat seinen „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt geschasst. Nicht, weil der in der Corona-Pandemie zum Thema Schule diffamiert, getrickst, getäuscht und die Fakten verzerrt hat, dass sich die roten Balken biegen. Nicht, weil er mit üblen Methoden Stimmung gegen die Lehrerschaft in Deutschland gemacht hat. Sondern, weil er seine Machtstellung genutzt haben soll, ihm untergebene Frauen (Volontärinnen = Auszubildende) sexuell zu nötigen. Zumindest wird das so kolportiert. Die Wahrheit ist wohl: Reichelt wurde von Springer-Chef Mathias Döpfner gefeuert, weil er sich dabei hat erwischen lassen. Die Vorwürfe sind ja nicht neu – und Döpfner hat wohl nur deshalb jetzt reagiert, weil Reichelts Ruf so langsam geschäftsschädigend wurde.

Populisten unter sich (v. l.): Springer-Chef Mathias Döpfner, der gerade geschasste “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt und der damalige US-Botschafter Richard Grenell, ein enger Vertrauter von Ex-US-Präsident Donald Trump, 2019. Foto: usbotschaftberlin

Sollten Schulen und Kitas umgehend wieder komplett öffnen? War die Schließung der Bildungseinrichtungen überhaupt nötig? Der Streit darum wurde schon im vergangenen Jahr immer erbitterter geführt – angetrieben von “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt, der daraus eine Kampagne machte. Was für ein Schmierlappen-Verhalten er dabei an den Tag legte, ohne dass dies Konsequenzen für ihn gehabt hätte, wurde in der Affäre um den Virologen Prof. Christian Drosten deutlich, den Reichelt als Betrüger öffentlich hinzurichten versuchte.

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“Freizeit geht vor!”: Diesen ausgedachten Spruch legte “Bild” Lehrkräften in den Mund

„Bild“ hatte sich zum Ziel gesetzt, schnelle Schul- und Kitaöffnungen um jeden Preis durchzusetzen. Und dafür schien jedes mediale Mittel recht zu sein. Eines davon: Lehrer zu verleumden. „Schüler und Eltern klagen: Corona-Chaos an unseren Schulen“, so titelte die „Bild“-Zeitung in ihrem Online-Auftritt. Eine „Schock-Umfrage“ habe ergeben, dass digitaler Unterricht in Deutschland praktisch nicht existiere. Für Lehrer gelte das Prinzip „Freizeit geht vor!“.

News4teachers recherchierte nach. Ergebnis: Mit „digitalem Unterricht“ war in der zitierten Infratest Dimap-Umfrage nur Unterricht über Videokonferenzen gemeint, für den die allermeisten Schulen gar nicht ausgestattet waren. Das eigentliche Ergebnis lautete: „Die meisten Lehrkräfte versorgen ihre Schülerinnen und Schüler per Mail, Homepage oder Lernplattform mit Unterrichtsmaterialien.“ Zudem hieß es: „Trotzdem sehen Eltern mehrheitlich die Angebote der Schulen alles in allem positiv. Mehr als die Hälfte der Eltern (57 Prozent) sind mit der Art und Weise, wie die Schule ihrer Kinder das schulische Arbeiten zu Hause organisiert, grundsätzlich zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Fast zwei Drittel (62 Prozent) sind mit der Kommunikation der Schule in der aktuellen Situation zufrieden.“ „Bild“ unterschlug diese Resultate. Sie passten nicht in die Kampagne, mit der „Bild“ auch die Szene der Corona-Skeptiker und „Querdenker“ bediente.

Im Mai 2021 gipfelte diese in der unverblümten Forderung: „Macht endlich die Schulen wieder auf!“, mit der „Bild“ sich nicht mal mehr die Mühe machte, einen angeblichen „Experten“ oder anonyme „Eltern“ in Stellung für die eigene Position zu bringen. Reichelt war damit endgültig zum Anti-Schutzmaßnahmen-Aktivisten geworden. „Wer soll das noch verstehen? Ein Schüler in Deutschland muss das Glück haben, im richtigen Bundesland zu leben“, ließ der “Bild”-Chef texten. Das „richtige Bundesland“ war nach seiner Diktion nur eines: Sachsen, ausgerechnet. „Sachsen-Regent Michael Kretschmer plant die Rückkehr zum Normalbetrieb, egal wie hoch die Inzidenz ist“, so jubelte das Blatt – ungeachtet der Tatsache, dass der Freistaat auch damals schon mit Abstand die höchste Quote an Coronatoten in Deutschland verzeichnete.

„Fragwürdige Methoden – Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch! Wie lange weiß der Star-Virologe schon davon?”

Tiefpunkt der “Bild”-Kampagne war der Versuch, den Charité-Chefvirologen Prof. Christian Drosten in den Dreck zu ziehen – womit Reichelt allerdings böse auf dem Bauch landete. „Fragwürdige Methoden – Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch! Wie lange weiß der Star-Virologe schon davon?“, so titelte das Blatt und drängte in der Folge auf sofortige weite Schulöffnungen.

Schnell wurde klar: Von einem Skandal konnte keine Rede sein. „Bild“ versuchte, eine wissenschaftliche Debatte um Details von Drostens Arbeit zu instrumentalisieren. In der Studie hatten er und sein Team gezeigt, dass infizierte Kinder dieselbe Virenlast tragen können wie Erwachsene. Dabei waren unter dem Druck, schnell Ergebnisse liefern zu müssen, recht grobe statistische Methoden angewendet worden, wie der Wissenschaftler selbst einräumte. Drosten überarbeitete die Untersuchung leicht – und hält bis heute an seinen Ergebnissen fest, die längst als gesichert gelten. „Bild“ hingegen wurde wegen unsauberen Zitaten und unbelegten Behauptungen vom Deutschen Presserat öffentlich gerügt.

Dass das kein Versehen war, keine „Panne“, wie Reichelt später behauptete, ließ sich durch Lektüre des Blattes leicht widerlegen. „Seit Wochen schon versucht die ‚Bild‘-Redaktion, den Virologen der Berliner Charité schlecht dastehen zu lassen. Sie bemüht sich, Drostens Autorität als Wissenschaftler zu untergraben, arbeitet genüsslich frühere Fehleinschätzungen heraus, stellt ihn als Einflüsterer dar, macht ihn zum Kollegenschwein. Damit dieses negative Bild irgendwie passt, reißt die Redaktion auch schon mal Aussagen aus dem Zusammenhang, verfälscht zeitliche Abläufe und erfindet Behauptungen“, schrieb bildblog.de bereits am 5. Mai 2020.

Das ist die Methode Reichelt – und offenbar auch die Linie des Hauses Springer. „Er ist halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda-Assistenten geworden”, soll Springer-CEO Döpfner laut „New York Times“ über Reichelt erklärt haben. Das ist „Querdenker“-Sprech und lässt ahnen: Ein Hetzer weniger, aber ändern wird sich wenig. Fun Fact: Döpfner ist auch Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger – und damit Kopf der deutschen Verlage. News4teachers

„Inzidenz-Starrsinn“: Wie „Bild“ im Vorfeld des Bund-Länder-Gipfels Stimmung für offene Kitas und Schule macht – mit Erfolg

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