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“Schulbücher verbreiten nach wie vor Klischees über jüdisches Leben”: Zentralrat-Geschäftsführer Botmann im Interview

FRANKFURT/MAIN. Im Kampf gegen den Antisemitismus, so haben die KMK und der Zentralrat der Juden in Deutschland unlängst in einer gemeinsamen Erklärung festgestellt, bedarf es eines größeren Engagements der Schulen. Es gelte eine „Lehr- und Lernpraxis zu entwickeln, in der allen bewusst wird, dass sie Teil einer Gesellschaft sind, in der antisemitische Denkmuster, Sprachmuster oder Einstellungen virulent sind“, so heißt es darin. Welche Rolle spielen Bildungsmedien dabei? Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, wird darüber auf der Frankfurter Buchmesse mit dem bayerischen Antisemitismusbeauftragten Ludwig Spaenle sowie Ilas Körner-Wellershaus, Vorsitzender des Verbands Bildungsmedien, diskutieren. News4teachers sprach mit Botmann vorab.

Schule kann in meinen Augen sehr viel bei der Prävention gegen Antisemitismus leisten”: Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland. Foto: Zentralrat der Juden in Deutschland

News4teachers: Sie diskutieren auf dem Forum Bildung der Buchmesse über das Thema „Bildungsmedien gegen Antisemitismus“. Was kann denn überhaupt Schule zum Kampf gegen den Antisemitismus beitragen?

Botmann: Schule kann in meinen Augen sehr viel bei der Prävention gegen Antisemitismus leisten. Antisemitismus beginnt im Kopf – mit falschen Vorstellungen, Klischees und Bildern. Aufklärung und Bildung helfen, Vorurteile abzubauen. Zentral ist auch, die historischen Fakten zu kennen. Eine entsprechende Werteerziehung muss natürlich hinzukommen. Antisemitismus ist ein weites Feld. Im Kampf dagegen spielt die Schule eine wichtige Rolle.

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News4teachers: Schulbücher auch?

Botmann: Schulbücher sind nach wie vor wichtig, auch wenn Arbeitsblätter und digitale Lernmedien zunehmend zum Einsatz kommen.

News4teachers: Wie ist die Situation?

Forum Bildung auf der Frankfurter Buchmesse

Die Diskussionsrunde mit Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, dem Antisemitismus-Beauftragten und ehemaligen bayerische Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle, sowie Dr. Ilas Körner-Wellershaus, Vorsitzender Verband Bildungsmedien, findet am Mittwoch, 20. Oktober 2021, von 12.45 bis 13.30 Uhr statt. Sie können sie mitverfolgen – live auf der Frankfurter Buchmesse oder gratis und ohne Voranmeldung im Livestream am Bildschirm.

Die Runde findet im Rahmen des Forum Bildung statt, einem besonderen Veranstaltungsformat: An fünf Messetagen, vom 20. bis zum 24. Oktober 2021, kommen auf einer Bühne im Ausstellungsbereich Frankfurt EDU mehr als 20 Bildungsexpertinnen und -experten sowie Prominente aus Politik und Gesellschaft in über zwei Dutzend Gesprächsrunden zu Wort. Veranstalter sind der Verband Bildungsmedien, die Frankfurter Buchmesse und LitCam, die gemeinnützige Frankfurt Book Fair Literacy Campaign. Inhaltlicher Schwerpunkt ist der Unterricht der Zukunft – sowohl in nächster Zeit nach der Corona-Krise wie auf lange Sicht.

Hier geht es zum Programm und zum Livestream. 

Botmann: Es ist Realität, dass Schulbücher nach wie vor Klischees über jüdisches Leben verbreiten. Das fängt im Kleinen an – etwa wenn zum Thema „Jüdisches Leben in Deutschland“ ein Ultraorthodoxer aus Israel oder das Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals mit einer welkenden Rose gezeigt werden. Das vermittelt eindimensionale, schiefe Bilder. Das authentische heute in Deutschland gelebte Judentum wird selten gezeigt. Mitunter lassen sich aber auch Beispiele finden, bei denen mir der Atem stockt. Wie dieses: In der Lektion über die Bergpredigt in einem Schulbuch für den Religionsunterricht findet sich ein Comic-Bild, das Jesus und Zuhörer zeigt – darunter einen Juden mit der Physionomie eines Gorillas. Wohlgemerkt: Das sind aktuelle Schulbücher, die in Umlauf sind.

News4teachers: Woher wissen Sie das?

Botmann: Zugrunde liegt dem eine wissenschaftliche Untersuchung. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat Schulbücher für den Religions- und Ethikunterricht systematisch analysiert – und ist dabei auf zahlreiche problematische Passagen und Bilder gestoßen; alle Bildungsverlage waren davon betroffen. Wir haben daraufhin mit den Verantwortlichen der Verlage Workshops durchgeführt und sind die Stellen gemeinsam durchgegangen. Dabei wurde deutlich, wie viel hier schiefläuft. Die Verlage haben auch reagiert und angekündigt, die Neuauflagen zu überarbeiten. Ein Buch wurde tatsächlich aus dem Handel genommen – eben das mit dem menschlichen Gorilla.

News4teachers: Der Befund überrascht. Der Erinnerungskultur wird doch in Sonntagsreden immer ein hoher Stellenwert eingeräumt – wie kann das sein?

Botmann: Ich unterstelle, dass es sich zumeist nicht um Bösartigkeit handelt. Die meisten Autorinnen und Autoren betrachten die Thematik aus der Außenperspektive – sie sind als Nicht-Jüdinnen und Nicht-Juden halt nicht betroffen. Mitunter mangelt es dann an Sensibilität. Andererseits wurden bisher auch keine jüdische Pädagogin oder kein jüdischer Pädagoge hinzugezogen, wenn es um die Darstellung jüdischen Lebens in Deutschland geht. Es ist dann natürlich schwierig, ein authentisches Bild zu zeichnen.

So kommt es zu Projektionen, zur Verbreitung von Klischees – wie eben dem ultraorthodoxen Mann als Sinnbild für das Judentum. In einem Schulbuch gibt es eine Rahmenhandlung, in der ein Junge mit seiner Mutter auf der Straße einem solchen Mann begegnet und sie fragt, was das denn für ein „seltsamer Typ“ sei. Damit ist der Ton schon gesetzt: Es handelt sich um etwas Eigenartiges, Fremdes. Ein anderes Beispiel, das einen nur fassungslos machen kann, betrifft das Leben in Israel. Dort wird allen Ernstes berichtet, „Benjamin geht morgens zur Thora-Schule, während seine Schwester zu Hause webt und Frauenarbeiten erledigt“. Die Familie lebt in einer Hütte mit Lehmboden – das wird als Realität jüdischer Kinder in Israel dargestellt. Das Schulbuch ist aus dem Jahr 2012.

Ein weiteres Problemfeld sind Karikaturen aus der Nazi-Zeit, die in Schulbüchern gezeigt werden …

News4teachers: … die doch wohl eingeordnet werden.

Botmann: Sollte man meinen. Tatsächlich finden sich in Schulbüchern solche Stürmer-Karikaturen  ohne einordnende Bildunterschrift zu Texten über die Schoa. Wenn die Lehrkraft das dann richtig einordnet, ist es gut. Wenn aber nicht, dann bleiben die Bilder in den Köpfen hängen. Die allermeisten Lehrkräfte sind sicherlich gutwillig. Es gibt aber andere: Auch ein Björn Höcke ist Geschichtslehrer. Wir können also nicht darauf abstellen, dass die Lehrkraft es schon richtet.

News4teachers: Wie sieht’s in den Schulbüchern für andere Fächer aus?

Botmann: Wir haben zunächst nur die Bücher für den Religions- oder Ethikunterricht gesichtet – und die für die Fächer Geschichte, Politik und Deutsch noch nicht. Da wird sicherlich auch noch einmal eine Vielzahl von problematischen Darstellungen zu finden sein, auch zum Nahostkonflikt. Hier hat die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission am Georg-Eckert-Institut eine große Vorarbeitet geleistet und zwischen 2011 – 2014 über 400 deutsche und israelische Schulbücher analysiert. Die Empfehlungen liegen vor, hiervon umzusetzen gibt es noch viel!

Gerade das Thema Nahostkonflikt macht deutlich, dass Lehrkräfte sehr viel mehr Unterstützung benötigen – viele sind schlicht damit überfordert. Das führt dazu, dass in Klassen mit hohem Migrationsanteil das Thema gleich übersprungen wird, um nur ja keine Konflikte dazu entstehen zu lassen. Das kann es ja nicht sein. Lehrkräfte müssen viel besser geschult werden, um präventiv mit Antisemitismus in der Klasse umzugehen – und mit anderen Formen von Diskriminierung.

News4teachers: Das geht aber über Schulbuch-Inhalte hinaus…

Botmann: Schulbücher durchlaufen in den meisten Bundesländern ein Zulassungsverfahren. Diese Bücher sind von den Kultusministerien abgenommen worden. Das wirft die nächste Frage auf: Wie sieht es aus mit den Lehrplänen? Die sind Teil des Problems. Meist wird ein eindimensionales Bild entworfen und Juden ausschließlich aus der Opferperspektive gezeigt – oder als Soldaten mit israelischen Panzern. Jüdisches Leben in Deutschland vor 1933 und nach 1945 findet kaum statt. Dabei feiern wir in diesem Jahr 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Das gilt es abzubilden. Wir sehen als Zentralrat der Juden in Deutschland beim Verband Bildungsmedien und bei den meisten Schulbuchverlagen allerdings auch eine große Bereitschaft, sich des Themas anzunehmen. News4teachers

Wie sieht der Unterricht der Zukunft aus? Das Forum Bildung auf der Frankfurter Buchmesse wirft Schlaglichter auf zentrale Fragen

 

 

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