WIESBADEN. Die Lernmethode «Schreiben nach Gehör» ist den hessischen Grundschullehrkräften im Sommer verboten worden, obwohl sie in den vergangenen Jahren gar nicht angewendet wurde. Das hat Kultusminister Alexander Lorz (CDU) in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion in Wiesbaden eingeräumt. Einen entsprechenden Erlass hatte er im Juni herausgegeben.

Die vor Jahrzehnten entwickelte Methode heißt eigentlich “Lesen durch Schreiben”. Immer wieder weisen Grundschulpädagognnen und -pädagogen darauf hin, dass sie in der Schulpraxis keine Rolle mehr spiele. Lorz hatte aber bereits 2017 Eltern aufgefordert, ihm Lehrkräfte zu nennen, die damit arbeiten. „Ja, diese Methode ist Unsinn, und deswegen machen wir diesen Unsinn in Hessen auch nicht mit. Sollte ich mich täuschen und sollte sie an irgendeiner unserer 1.148 Grundschulen doch praktiziert werden, dann bin ich für jeden Hinweis dankbar. Dann werden wir dem nachgehen und es abstellen“, so äußerte sich der Kultusminister am 4. Mai 2017 in einer Landtagssitzung. Einen entsprechenden Erlass gab es im Sommer 2021.
“Auch beim Einsatz von Anlauttabellen dürfen orthografisch falsche Schreibweisen nicht unkorrigiert stehen bleiben”
Jetzt, auf die Anfrage der SPD hin, bestätigte Lorz: Es seien in den vergangenen vier Jahren gar keine Fälle gemeldet worden, in denen die Reinform der genannten Methode an einer Schule in Hessen angewandt wurde. Dennoch gebe es “immer wieder Hinweise darauf”, dass an Schulen der Rechtschreibunterricht nicht durchgängig mit einer gezielten Gegenüberstellung der richtigen Schreibweise verbunden werde. “Auch beim Einsatz von Anlauttabellen, die heute in allen gängigen Lesefibeln enthalten sind, dürfen orthografisch falsche Schreibweisen nicht unkorrigiert stehen bleiben. Das kann und soll freilich in einer Weise geschehen, die die Schülerinnen und Schüler positiv motiviert”, so heißt es in der Antwort des Ministers.
Zum Erlernen der Rechtschreibung gehörten vor allem eine systematische Anleitung, eine aufeinander aufbauende Struktur, die Kenntnis der Rechtschreibregeln, das Verständnis für Rechtschreibphänomene sowie das regelmäßige Einüben des Gelernten, so begründete der Kultusminister sein Vorgehen. Rechtschreibfehler müssten daher von Anfang an konsequent korrigiert werden. Für das Verbot gebe es keine Ausnahmen.
Das Vorbild des richtig geschriebenen Wortes solle verhindern helfen, dass sich die Schülerinnen und Schüler von ihnen anfangs verwendete falsche Schreibweisen einprägen, erklärte Lorz. Auch beim Einsatz von Anlauttabellen dürfen orthografisch falsche Schreibweisen nicht unkorrigiert stehen bleiben. «Lesen durch Schreiben» (oder «Schreiben nach Gehör») sei dagegen keine Methode, die als Rechtschreiblehrgang geeignet ist.
Das klingt schön – wirft aber die Frage auf, ob sich der Kultusminister möglichweise mit einem sinnlosen Schaufenster-Erlass auf Kosten von Grundschullehrkräften profilieren wollte. Zumal Lorz erklärt, ein Verbot habe schon vorher bestanden. Was sollte der Erlass vom Juni denn dann? In seiner Antwort heißt es: “Mit dem nunmehr in Kraft gesetzten Erlass wird klargestellt, dass die in der Fragestellung genannte Methode unzulässig ist, und es wird das bereits zuvor geltende Verbot durch eine positive Beschreibung ergänzt, wie der Rechtschreibunterricht anzulegen ist und wie falsche Schreibweisen zu korrigieren sind. Damit erhalten die Lehrkräfte über das Verbot hinaus Handlungssicherheit und die Eltern eine Vorstellung, was sie hinsichtlich der Rechtschreibkorrektur von den Schulen erwarten dürfen.” Zugleich sei darin die Klarstellung enthalten, dass Anlauttabellen Verwendung finden dürfen.
«Das ist ein massiver Eingriff in die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte, der letztendlich auf die Schüler zurückfallen wird»
Statt die Rahmenbedingungen an den Grundschulen zu verbessern, hagele es nun Vorgaben, so hatte die GEW im Juni kritisiert. Ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer wüssten am besten, wie sich der Erwerb der Schriftsprache unter den konkreten Bedingungen vor Ort erfolgreich gestalten lasse. Die Gewerkschaft sprach von einem «massiven Eingriff in die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte, der letztendlich auf die Schülerinnen und Schüler zurückfallen wird». Die GEW mutmaßte ein politisches Ablenkungsmanöver: Ungelöst ist laut GEW vor allem der Lehrkräftemangel an den Grundschulen im Land. Daran hat sich in jedem Fall nichts geänert. News4teachers / mit Material der dpa
Hier lässt die vollständige Antwort auf die Kleine Anfrage herunterladen.