Erst rauf, dann runter und jetzt wieder rauf? Schüler und Eltern sind verunsichert, weil sich immer mehr Kinder und Jugendliche mit dem Coronavirus anstecken. Die Zahl ihrer Ansteckungen liegt laut Landesgesundheitsamt deutlich über dem landesweiten Schnitt. In fünf Landkreisen sind die Inzidenzen bei den Fünf- bis 14-Jährigen auf Werte über 500 geschossenj. Spitzenreiter ist der Landkreis Sigmaringen mit 670. Dabei sind aktuell Herbstferien im Land.
Deshalb wollen Landesschülerbeirat und Landeselternbeirat beim Unterrichtsstart in der kommenden Woche die Maskenpflicht in den Klassenzimmern zurück und haben sich für ihre vehement vorgetragene Forderung auch die Lehrerverbände mit ins Boot geholt. Dabei war die Pflicht zur Mund-Nase-Bedeckung in den Schulstunden erst vor wenigen Wochen von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) aufgehoben worden.
«Der Versuch, auf Masken im Unterricht zu verzichten, hat zunehmend mehr Corona-Ausbrüche an unseren Schulen verursacht»
«Der Versuch, auf Masken im Unterricht zu verzichten, hat zunehmend mehr Corona-Ausbrüche an unseren Schulen verursacht», heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme, die vom Philologenverband und vom Realschullehrerverband mitgetragen wird. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die SPD stimmen der Erklärung zu.
Das Kultusministerium zeigt sich offen und will eine erneute Maskenpflicht von der Lage in der kommenden Woche abhängig machen. Eine vorzeitige Rückkehr schließt Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper nicht aus. Die Zahl der infizierten Schülerinnen und Schüler habe zuletzt parallel zum Anstieg des gesamten Infektionsgeschehens zugelegt, sagt sie – die Zahlen lassen sich aber auch andersherum lesen: Dann sind Schülerinnen und Schüler die Treiber des Infektionsgeschehens. In der Woche nach den Herbstferien würden die Ansteckungszahlen in den Schulen in jedem Fall sehr genau beobachtet, kündigt die Grünen-Politikerin an. «Dass wir dann auch kurzfristig die Maskenpflicht am Platz wieder einführen, behalten wir uns ausdrücklich vor», sagt Schopper.
Vor drei Wochen noch hatte das ganz anders geklungen. «Masken sind ein Sicherheitszaun, erschweren aber auch die Kommunikation», teilte das Kultusministerium seinerzeit mit. «In Abwägung der Vor- und Nachteile hat sich die Landesregierung zu einer Lockerung entschieden.» Die war durchaus gewarnt: Das Robert-Koch-Institut empfiehlt dringend, die Maskenpflicht in Klassenräumen aufrechtzuerhalten. Und in Bayern und Thüringen, wo die Maskenpflicht im Unterricht bereits im September abgeschafft worden war, schossen die Indizenzen unter Kindern und Jugendlichen seitdem auf immer höhere Rekordwerte, in einzelnen Landkreisen bis über 1.500.
Schopper focht das nicht an. Offenbar hielt sie Corona unter Kindern und Jugendlichen für harmlos. «Delta wird sich in den Schulen breitmachen, da muss man sich nichts vormachen», räumte sie zwar bereits im Juli ein. Aber, so behauptete sie: Es zeichne sich ab, dass es bei Schülerinnen und Schülern nur leichte Verläufe wie Husten oder Schnupfen gebe. Deshalb sei es übertrieben, an Schulschließungen zu denken, wenn Kinder und Jugendliche im Wesentlichen «einen Packen Taschentücher» bräuchten.
„Die erste kritische Marke ist erreicht, die Lage in den Krankenhäusern angespannt“
Offenbar hielt Schopper deshalb auch die Maskenpflicht im Unterricht für «übertrieben». Noch vor drei Wochen entschied sie jedenfalls: In Baden-Württemberg müssen Schülerkeinen Mund- und Nasenschutz mehr tragen, wenn sie an ihrem Platz im Klassenraum sitzen. Auch Lehrerinnen und Lehrer können im Unterricht auf die Maske verzichten, sofern sie den Mindestabstand von 1,5 Metern zu den Schülerinnen und Schülern einhalten. In Grundschulen entfällt die Pflicht im Klassenzimmer komplett.
Ein Schutz am Platz muss laut Kultusministerium wieder getragen werden, wenn die Corona-Alarmstufe des Landes greife, hieß es. Sie tritt nach der Corona-Verordnung des Landes in Kraft, sobald 390 Covid-19-Patienten an zwei aufeinanderfolgenden Werktagen auf Intensivstationen behandelt werden oder die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz an fünf Werktagen in Folge bei 12 liegt. Auch wenn es in einer Klasse einen positiven Corona-Fall gibt, müssen die Schüler der jeweiligen Lerngruppe oder Klasse die Masken an ihren Plätzen wieder aufsetzen. Heute rief die Landesregierung schon mal die “Warnstufe” aus. „Die erste kritische Marke ist erreicht, die Lage in den Krankenhäusern angespannt“, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne).
Gestern hatte bereits die bayerische Landesregierung entschieden, in der kommenden Woche die Maskenpflicht im Unterricht wieder einzuführen – angesichts explodierender Corona-Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen. Dazu kommt eine weitere Infektionswelle, die durch die Kitas und Schulen läuft: der RS-Virus. Die Folge: Die Kinderkliniken in Bayern schlagen Alarm. Notfälle können kaum mehr aufgenommen werden.
«Der Versuch, die Maskenpflicht im Unterricht abzuschaffen, ist durch das Wiederaufflammen des Pandemiegeschehens vorerst gescheitert»
Die Schulen müssten offene und zugleich sichere Orte bleiben, forderten die baden-württembergischen Beiräte und Verbände nun in ihrer Stellungnahme – offenbar die eskalierende Situation im Nachbarland und die steigenden Inzidenzen daheim vor Augen. Schon vor den Ferien habe es an vielen Schulen Quarantänemaßnahmen gegeben, es sei massiv Unterricht ausgefallen. Deswegen sollten nach freien Tagen wieder Masken im Unterricht getragen werden.
«Der Versuch, aus pädagogisch-psychologischen Erwägungen heraus die Maskenpflicht im Unterricht abzuschaffen, ist durch das Wiederaufflammen des Pandemiegeschehens vorerst gescheitert», heißt es bei den Verbänden. Das zeigten auch die Inzidenzen der 5- bis 14-Jährigen in den Bundesländern, in denen die Maskenpflicht bereits vor mehreren Wochen gestrichen wurde und wo die Entwicklung zunächst nicht durch Herbstferien gebremst wurde – Bayern und Thüringen eben. «Masken im Unterricht helfen stark, Ansteckungen zu vermeiden», schreiben die Schüler, Eltern und Lehrerverbände.
Bei Kindern und Jugendlichen im Südwesten breitet sich das Coronavirus derzeit besonders stark aus. Die Fallzahlen in den Altersgruppen «6 bis 9 Jahre» und «10 bis 19 Jahre» lagen zuletzt weit über dem landesweiten Schnitt, wie aus Daten des Landesgesundheitsamts (LGA) in Stuttgart hervorgeht. So betrug die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen bei Kindern im Alter von sechs bis neun Jahren in der vergangenen Meldewoche 264. Bei den Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 19 Jahren lag die Sieben-Tage-Inzidenz mit 286 noch höher. Die landesweite Inzidenz betrug zur selben Zeit insgesamt 171.
Die GEW will sich aber gar nicht an den Zahlen festhalten. «Auch wenn kaum Kinder und Jugendliche schwer erkranken, wissen wir noch viel zu wenig über Langzeitfolgen einer Covid-Infektion», sagt Monika Stein, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), auf Anfrage. «Warum jetzt unnötig ins Risiko gehen? Vor einem Jahr haben wir es im Dezember bereut, dass wir im Herbst nicht vorsichtiger waren.» Masken und regelmäßige Tests seien richtig und wichtig, um Schulen vor Infektionen zu schützen. «Wir schlagen vor, die Maskenpflicht beizubehalten.»
Das sieht auch die SPD so. Deren Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch, selbst ehemaliger Kultusminister, wirft der grün-schwarzen Regierung Fehler in der Corona-Politik vor und sagt: «Was es jetzt braucht, ist in der Tat eine Maskenpflicht ab dem ersten Schultag nach den Herbstferien. Und diese Pflicht muss so lange gelten, bis das Infektionsgeschehen wieder deutlich und nachhaltig zurückgegangen ist.» News4teachers / mit Material der dpa
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