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Vorziehen? Präsenzpflicht aussetzen? Nichts tun? Das Weihnachtsferien-Chaos: Länder schon wieder uneins

HANNOVER. Das Chaos der vergangenen anderthalb Jahre setzt sich nahtlos fort: Wieder ist es nicht gelungen, die Landesregierungen bei den Schulen auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Diesmal: in der Frage, ob die Weihnachtsferien vorgezogen werden sollen. Dazu hatte die Leopoldina geraten. Angesichts des Infektionsgeschehens drängte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in der Bund-Länder-Runde am Donnerstag auf eine entsprechende bundesweite Regelung – vergeblich. Die Folge: Jedes Bundesland macht wieder, was es will. Niedersachsen hebt die Präsenzpflicht kurzzeitig auf.

Kommt das Coronavirus aus Schule und Kita an den Gabentisch? Ein Albtraum. Foto: Shutterstock

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina sprach sich bereits Ende November unter Mitwirkung des Charité-Chefvirologen Prof. Christian Drosten für verlängerte Weihnachtsferien aus. „Bei Kindern und vielen Jugendlichen ist das Virus stark verbreitet. Generell muss betont werden, dass es vorrangig den Erwachsenen obliegt, sich und andere durch eigenes Impfen vor Schaden zu schützen. Aber selbst wenn jüngere Kinder im Vergleich zu Erwachsenen nur selten schwer erkranken, lassen die hohen Inzidenzen auch unter ihnen die Fälle von schwereren Erkrankungen zunehmen“, so hieß es zur Begründung.

Und weiter: „Zudem trägt die Zahl der Infektionen in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen zum Infektionsgeschehen bei. Von den entsprechenden Folgen in Familie und Gesellschaft sind Kinder wiederum indirekt schwer betroffen, etwa wenn nahe Angehörige erkranken oder versterben, ihr soziales Leben aufgrund eines Lockdowns drastisch eingeschränkt wird oder erneut Schulen und Kitas geschlossen werden müssen.“ Kinder, die sich kurz vor den Ferien in der Kita oder der Schule anstecken und dann die Infektion Heiligabend an Oma und Opa weitergeben, die womöglich noch nicht „geboostert“ sind? Ein Albtraum.

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«Vorgezogene Weihnachtsferien wären eine Möglichkeit für den notwendigen Gesundheitsschutz für alle gewesen»

Brandenburg und Sachsen-Anhalt folgten deshalb dem Rat der Wissenschaftler – und verlegten ihre Ferientermine deshalb drei beziehungsweise vier Tage vor. Der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil wollte eine bundesweite Lösung und sprach sich mehrfach für eine verlängerte Weihnachtspause in ganz Deutschland aus. Er warb dafür auch am Donnerstag in der Bund-Länder-Runde – erfolglos. «Ich habe das nicht zu bewerten. Aber ich will so viel sagen: Für Niedersachsen sind wir uns in der Landesregierung einig, dass wir Sonderregelungen brauchen», erläuterte Weil am Freitag.

Diese Sonderregelungen sehen für die Schulen nun so aus: Die Präsenzpflicht an Niedersachsens Schulen wird zur Eindämmung des Coronavirus vor Weihnachten aufgehoben. Vom 20. Dezember an und damit drei Tage vor Ferienbeginn könnten die Schülerinnen und Schüler auf Antrag der Eltern vom Unterricht befreit werden, kündigte die Landesregierung am Freitag in Hannover an. Einen Anspruch auf Distanzlernen gebe es an diesen Tagen nicht. Die Ferien sollen aber wie geplant am 23. Dezember beginnen und bis zum 7. Januar dauern.

Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) erklärte, die Möglichkeit zur Unterrichtsbefreiung werde für Eltern eingeräumt, die wegen noch nicht vollständig geimpfter oder geboosterter Familienmitglieder und Angehörigen aus Risikogruppen einen weitergehenden Schutz zum Weihnachtsfest benötigen. Die Befreiung könne formlos beantragt werden, jedoch nur für alle drei Tage am Stück.

Nach den Weihnachtsferien sollen zudem die Schutzmaßnahmen an den Schulen verschärft werden. In der ersten Unterrichtswoche 2022 müssen sich demnach alle Schülerinnen und Schüler, die nicht vollständig geimpft oder genesen sind, täglich zu Hause per negativem Selbsttest freitesten, bevor sie zum Präsenzunterricht kommen können. Das gelte künftig auch bei Klassenarbeiten und Abitur- sowie Abschlussprüfungen. Auch Kinder unter 14 Jahren müssen nach den Ferien außerdem medizinische Masken tragen; bisher reichten Stoffmasken. Für die Beschaffung dieser Masken sollen laut Tonne in der Regel die Eltern verantwortlich sein, es soll eine Notfallreserve an Schulen geben.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hätte sich ein anderes Vorgehen gewünscht. «Vorgezogene Weihnachtsferien wären eine Möglichkeit für den notwendigen Gesundheitsschutz für alle gewesen, die Aufhebung der Präsenzpflicht ermöglicht dies jetzt nur noch den Schülerinnen und Schülern. Die Schulbeschäftigten gucken wieder einmal in die Röhre», sagte der kommissarische GEW-Landesvorsitzende Holger Westphal laut Mitteilung.

Auch der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte VNL/VDR kritisierte das Vorgehen. „Die Aufhebung der Präsenzpflicht für die letzten drei Schultage vor den Weihnachtsferien sehen wir als problematisch an. Wieder einmal erfahren unsere Kolleginnen und Kollegen kurzfristig via Ministerbrief seine Entscheidung, dass während dieser Tage keine Klassenarbeiten geschrieben werden dürfen. Diese sind jedoch seit längerem geplant gewesen und müssen jetzt auf die Zeit nach den Ferien verschoben werden, was große organisatorische Probleme mit sich bringen wird. Die Schulen werden wieder einmal vor vollendete Tatsachen gestellt“, erklärte Vorsitzender Torsten Neumann.

Die Kultusministerkonferenz der Länder hatte in einem am Freitag veröffentlichen Beschluss noch betont, der kontinuierliche Präsenzunterricht habe weiterhin höchste Priorität, um das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Bildung und Teilhabe zu gewährleisten. Das Offenhalten der Schulen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Entsprechend wenig Handlungsbedarf sehen die meisten Bundesländer, um die laufende Durchseuchung der Bildungseinrichtungen in Deutschland zu stoppen. Die KMK registrierte in dieser Woche rund 100.000 Schüler und 8.000 Lehrkräfte, die derzeit infiziert sind.

«Das aufgebaute System hat sich bisher bewährt. Wir müssen aber das Infektionsgeschehen weiter im Blick behalten»

Der Corona-Hotspot Sachsen will den Betrieb in Schulen und Kitas trotzdem mit den bisherigen Schutzmaßnahmen – also im Wesentlichen: Maskenpflicht und Fensterlüftung – fortsetzen und verzichtet auf eine Verschärfung der Regeln in der Corona-Pandemie. Die Weihnachtsferien würden nicht verlängert und vorgezogen, teilte das Kultusministerium am Freitag mit. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) erklärte: «Das aufgebaute System hat sich bisher bewährt. Wir müssen aber das Infektionsgeschehen weiter im Blick behalten und gegebenenfalls nachjustieren, wenn nötig.» Bewährt? In Sachsen sind seit Wochen stets 20 bis 25 Prozent der Schulen nach schweren Corona-Ausbrüchen geschlossen.

Nordrhein-Westfalen hat ebenfalls schon abgewunken. Trotz zugespitzter Corona-Situation will auch Thüringen die Weihnachtsferien nicht früher beginnen lassen. Ziel der Landesregierung sei es, Schulen und Kindergärten mit sehr hoher Priorität offen zu halten, erklärte ein Sprecher des Bildungsministeriums nach einer Kabinettssitzung am Dienstag, in der das Thema diskutiert wurde. Das gilt auch für Bayern, das ebenfalls mit hohen Inzidenzen insbesondere unter Kindern und Jugendlichen zu kämpfen hat: Im Freistaat sollen die Weihnachtsferien nicht früher als geplant starten, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) bereits vergangene Woche erklärten. Auch die Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler soll demnach nicht ausgesetzt werden.

Im Nachbarland Baden-Württemberg schon: Dort dürfen sich Schülerinnen und Schüler vor den Weihnachtsferien für mehrere Tage in eine selbstgewählte Quarantäne begeben. «Was soll denn dieser Unsinn jetzt?», kritisierten der Realschullehrer-, der Philologen- und der Berufsschullehrerverband. «Entweder sind die Schulen sicher, dann kann man Präsenzunterricht machen, oder sie sind es nicht, dann gehören alle Schüler nach Hause in den Fernunterricht.» Wie es die Leopoldina empfohlen hat eben. News4teachers / mit Material der dpa

KMK bleibt auf Durchseuchungskurs: „Präsenz-Unterricht hat weiterhin höchste Priorität“

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