BERLIN. Wie sollen Kitas und Schulen mit der Flüchtlingswelle aus der Ukraine umgehen? Was muss die Politik tun, damit das Bildungssystem die Herausforderung bewältigen kann. Der VBE hat dazu ein Positionspapier entwickelt, das die Forderung postuliert: „Die Bedürfnisse der Kinder müssen im Vordergrund stehen“. Damit das gewährleistet ist, müssen die Lehrkräfte und Kita-Fachkräfte allerdings auch unterstützt werden – und das beginnt schon damit, dass ehrlich gegenüber den Eltern über mögliche Einschränkungen im Betrieb kommuniziert wird.
Angesichts der Herausforderungen, die mit der Aufnahme geflüchteter ukrainischer Kinder und Jugendlicher auf Schulen und Kitas zukommen werden, haben der VBE Bundesverband und die 16 Landesverbände ein gemeinsames Positionspapier entwickelt. Darin heißt es: „Kitas und Schulen werden eine zentrale Rolle bei der Bewältigung dieser Herausforderung einnehmen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir werden diese Aufgabe nur als Gesellschaft insgesamt bewältigen können, wenn alle Mitbürgerinnen und -bürger ihren Beitrag leisten und wenn alle Institutionen und Beteiligten offen, unterstützend, pragmatisch und lösungsorientiert zusammenarbeiten.“
Ein wesentlicher Unterschied zur Flüchtlingskrise von 2015: „Viele der aus der Ukraine geflüchteten Menschen kommen mit der Hoffnung zu uns, dass sie bald in ihr Heimatland zurückkehren können. Wann dies möglich sein wird, kann gerade niemand sagen. Vor diesem Hintergrund müssen wir unser bisheriges Verständnis von Integration überdenken und offen dafür sein, wo es andere, neue Antworten braucht.“
VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann fordert von Politik und Gesellschaft deshalb zunächst mal einen differenzierten Blick auf die Situation: „Wir müssen Integration neu denken und dürfen nicht glauben, dass die in der Flüchtlingswelle 2015 entwickelten Verfahren und Strukturen ohne Weiteres für die jetzige Situation passen“, sagt er.
„Das Ziel kann nicht allgemeingültig in einer möglichst schnellen und effektiven Integration in das deutsche Schulsystem liegen“
„An erster Stelle müssen die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen stehen, die zu uns kommen. Dabei geht es zuallererst um Schutz, Frieden und Aufarbeitung der Schrecken, die ihnen zuteilwurden. Viele von ihnen sehnen sich nach einer baldigen Rückkehr in ihre Heimat und damit nach einem Anknüpfen des hiesigen Bildungsangebots an das in der Ukraine. Andere, die bisher kleinere Gruppe der Geflüchteten, erklären, dass sie hierbleiben wollen und deshalb ihre Kinder schnellstmöglich in das deutsche Schulsystem integrieren wollen. Wir vom VBE wünschen uns, dass diese Wünsche respektiert werden und dass die Politik diesen Menschen ein für ihre jeweiligen Bedürfnisse passendes Angebot unterbreitet.“
Wie kann das bewerkstelligt werden? Im Positionspapier heißt es dazu: „Das Ziel kann daher nicht allgemeingültig in einer möglichst schnellen und effektiven Integration in das deutsche Schulsystem liegen.“ Ruhe, Zeit, das Ankommen in Frieden und Sicherheit sowie Angebote zur Bearbeitung individueller Traumata müssten zunächst Priorität haben. „Die dafür erforderlichen Expertinnen und Experten müssen bereits in den Ankunftszentren und Unterkünften bestmöglich zur Verfügung stehen. Auch in den Schulen und Kitas braucht es Psychologinnen und Psychologen.“ Auch die mögliche Integration ausgebildeter ukrainischer Lehrkräfte und das kurz- und mittelfristige Angebot von Lehrangeboten nach dem ukrainischen Rahmenplan müssten mitgedacht werden, „ohne die Gefahr der Separierung aus den Augen zu verlieren“.
Mit Blick auf mögliche mittel- und langfristigen Zusatzbelastungen für das Bildungssystem, wie vergrößerte Lerngruppen oder räumliche Engpässe, ergänzt Beckmann: „Es sind große gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir freuen uns über die riesige Solidarität und Offenheit, die den geflüchteten Menschen derzeit entgegengebracht wird. Damit diese Solidarität hält, wenn es zu Einschränkungen an Schulen und Kitas kommt, muss die Politik die Gesellschaft ehrlich darüber aufklären, welche Konsequenzen die große Zahl von Kindern und Jugendlichen, die wir selbstverständlich aufnehmen und denen wir ebenso selbstverständlich ein angemessenes Bildungsangebot machen wollen, für Schulen und Kitas haben kann.“
Fakt sei: „Die zusätzlich zu betreuenden und zu beschulenden Kinder und Jugendlichen stoßen auf ein seit Jahren unterfinanziertes Bildungssystem, mit einer gleichfalls seit Jahren zu dünnen Personaldecke. Sie finden Schulgebäude vor, die an vielen Standorten sanierungsbedürftig sind und fehlende Raumkapazitäten haben. Wir werden in Schulen und Kitas enger zusammenrücken müssen. Dafür die gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen, ist Aufgabe der Politik.“
“Lehrkräfte und Erzieher:innen tun alles, was ihnen unter den gegebenen Bedingungen möglich ist”
Es dürfe nicht Schulleitungen und Lehrkräften überlassen werden, zu rechtfertigen, warum das bisherige Raumangebot weiter eingeschränkt werden muss, um Platz für Willkommensklassen zu schaffen oder warum Lerngruppen noch größer werden. Die Politik kennt die Unzulänglichkeiten, unter denen die Schulen schon vor Corona und durch Corona verschärft arbeiten mussten und müssen. Es darf nicht noch einmal dazu kommen, dass politische Verantwortung auf Schul- und Kitaleitungen abgewälzt wird, und es dem dortigen Personal überlassen bleibt, politische Entscheidungen vermitteln zu müssen, wie dies in den letzten zwei Jahren mit den pandemiebedingten Hygienemaßnahmen oft der Fall war.“
Im Positionspapier heißt es: „Die pädagogischen Fachkräfte sind durch die Pandemie und die damit verbundenen, bereits seit zwei Jahren andauernden Herausforderungen, stark belastet und teilweise überlastet. Die ohnehin bestehende Personalunterdeckung an Schule und Kita hat sich nochmals verschärft. Lehrkräfte und Erzieher:innen tun alles, was ihnen unter den gegebenen Bedingungen möglich ist. Es braucht aber zwingend und dringender denn je schnellstmögliche Unterstützung des pädagogischen Fachpersonals, beispielsweise durch multiprofessionelle Teams.“ News4teachers