DÜSSELDORF. Lehrkräfte sind derzeit gefordert, den Krieg in der Ukraine im Unterricht zu thematisieren. Das ist nicht ohne Risiko: Viele Kinder und Jugendliche sind ohnehin schon durch Corona psychisch stark belastet – und jetzt kommen womöglich noch Sorgen und Ängste hinzu, die durch die Flut an Nachrichten und Bildern aus Osteuropa befeuert werden. Schulpsychologen haben auf der Seite des Schulministeriums NRW Empfehlungen für Lehrerinnen und Lehrer (sowie für Eltern) zusammengestellt, wie sie die schwierige Herausforderung, mit Kindern und Jugendlichen über das Geschehene zu sprechen, meistern.
„Über die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine wird aktuell sehr ausführlich berichtet, sie hinterlassen selbst uns als Erwachsene fassungslos. Vor allem aber für Kinder und Jugendliche fallen diese neusten Kriegsinformationen und -bilder aus dem Alltagsgeschehen derart heraus, dass unterschiedliche psychische und physische Belastungsreaktionen auftreten können“, so heißt es auf der Seite des Schulministeriums NRW in der Rubrik „Schulpsychologie“.
„Die Wahrnehmung von Kriegsereignissen in Europa und eventuelle Phantasien über weitere Eskalationsstufen können zur Erschütterung des Grundvertrauens in die Sicherheit der Welt, zu einem Verlust des inneren Gleichgewichts und zu starken emotionalen Reaktionen bei Kindern und Jugendlichen führen.“ Diese Reaktionen fielen individuell unterschiedlich und im Verlauf wechselnd aus. Sie zeigten sich unter anderem in Form von Angst, Gefühlen der Hilflosigkeit, Vermeidungs- oder Aggressionsverhalten, körperlichen Reaktionen wie Kopf- oder Bauchschmerzen, unruhigem Schlaf oder sozialem Rückzug. „All diese Reaktionen stehen im zeitlichen Zusammenhang zu dem Ereignis und sind in der Regel rasch rückläufig.“
„Vermitteln Sie die zur Verfügung stehenden Medieninformationen so ruhig und sachlich wie möglich”
Lehrkräfte werden aufgefordert: „Machen Sie Kindern und Jugendlichen zunächst einmal deutlich, dass die Weltgemeinschaft alles unternimmt, damit der Krieg in der Ukraine möglichst schnell beendet wird. Bei Fragen, ob der Krieg sich auch nach Deutschland ausbreiten könne, sollten Sie wahrheitsgemäß antworten, dass man dies niemals ganz ausschließen kann, dass das aber sehr, sehr unwahrscheinlich ist, von diesem Krieg direkt betroffen zu sein. Machen Sie Kindern und Jugendlichen deutlich, dass die internationale Gemeinschaft umfängliche Unterstützung und Hilfen bereitstellt. Lenken Sie die Aufmerksamkeit gerade auf positive Aspekte, etwa darauf, dass viele Menschen in den Nachbarländern in Sicherheit gebracht werden konnten und die dort angebotene Unterstützung enorm ist.“
Und weiter: „Vermitteln Sie die zur Verfügung stehenden Medieninformationen so ruhig und sachlich wie möglich. Dabei sollten Sie weder bagatellisieren noch dramatisieren. Versuchen Sie nichts zu äußern, was zusätzliche Beunruhigung von Kindern und Jugendlichen auslösen könnte bspw. über längerfristige Kriegsfolgen.“
Kinder und Jugendliche verfügten über erstaunliche Selbstheilungskräfte, die Erwachsene oftmals unterschätzten. Geraten wird deshalb: „Packen Sie Kinder und Jugendliche nicht in Watte!“ Um die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren, benötigten Schülerinnen und Schüler manchmal lediglich einen kleinen Impuls. „Regen Sie Kinder und Jugendliche zu allen Aktivitäten an, die Ihnen vor dem Kriegsereignis Spaß gemacht haben und bei denen sie sich wohlgefühlt haben und entspannen konnten. Denn: Entspannung und Angst sind zwei nicht miteinander vereinbare Gefühlszustände.“ Insbesondere sportliche Aktivitäten seien hervorragend geeignet, um die Aufmerksamkeit zeitweilig in eine andere Richtung zu lenken und Entspannung zu erlangen.
Das gilt auch für die Lehrkräfte selbst: „Gönnen Sie sich Pausen wo es geht und beugen Sie Überforderungen vor. Verheimlichen Sie Ihre eigenen Bedürfnisse keinesfalls, denn Kinder und Jugendliche spüren, wenn ihnen etwas verheimlicht wird. Äußern Sie ehrlich, warum Sie selbst traurig oder besorgt sind.“
Kinder und Jugendliche benötigen jetzt von Lehrkräften und Eltern das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. „Bieten Sie Kinder und Jugendlichen Zeit und Gelegenheiten, im sicheren Rahmen über ihre Ängste und Sorgen berichten zu können und zu dürfen. Auch Diskussionen über Überzeugungen, Werte, Religion, Glaube und Ideale können helfen. Hören Sie geduldig und verständnisvoll zu. Für manche Kinder und Jugendliche ist es hilfreich Gefühle aufzuschreiben“, so raten die Schulpsychologen Lehrkräften.
„Schule als sicherer Ort ist von entscheidender Bedeutung: Hier wird Resilienz gestärkt”
Wichtig dabei: „Jugendliche benötigen in diesem Kontext unbedingt adäquate Sachinformationen und Möglichkeiten sowie Räume zu kritischen politischen Diskussionen! So fühlen sich Jugendliche ernst genommen!“ Die gewohnten Strukturen und vertrauten Routinen des Alltages wie der Schulbesuch seien eine große Chance, Halt, Sicherheit und Orientierung zu bieten. „Eltern und Lehrkräfte sollten gemachte Absprachen gegenüber Kindern und Jugendlichen unbedingt einhalten, um deutlich zu machen, dass auf Sie in schwierigen Situationen eindeutig Verlass ist.“
Das alles gelte selbstverständlich auch für Flüchtlingskinder, die gerade aus der Ukraine in Deutschland angekommen sind – und mehr: „Schule als sicherer Ort ist von entscheidender Bedeutung: Hier wird Resilienz gestärkt durch die sichere Strukturierung des Alltags und durch die Stärkung von Kontrollüberzeugungen und Zugehörigkeit. Belastungen wie die Sorgen um Angehörige und den Verlust von Heimat und sozialen Beziehungen können so aufgefangen werden.“ News4teachers
Für eine Vertiefung des Themas bietet sich das folgende Praxishandbuch an – gratis herunterladbar: Healing Classrooms – Die Schule als stabilisierendes Umfeld für geflüchtete Kinder und Jugendliche
Ukrainische Lehrkräfte im Schuldienst willkommen – aber (bislang) nur deutschsprachige
