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Spiegel („Meine Kinder sind nicht gut durch die Pandemie gekommen“) tritt zurück – Folgen für Corona-Politik?

BERLIN. Es war ein emotionaler und ungewöhnlicher Auftritt: Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) bittet am späten Sonntagabend für ihren vierwöchigen Familienurlaub nach der schrecklichen Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz um Entschuldigung. Das wirft Fragen auf – auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie: Spiegel behauptete noch Ende Dezember (als die Omikron-Welle längst durch Kitas und Schulen rollte), „Kinder sind nicht die Treiber der Pandemie“. Hat die Ampel-Koalition den Bildungseinrichtungen auch deshalb einen wirkungsvollen Coronaschutz versagt, weil eine wichtige Ministerin mit der Betreuung ihrer Kinder überfordert war? Aktualisierung am Nachmittag: Spiegel tritt zurück.

“Kinder sind keine Treiber der Pandemie”: Bundesfamilienministerin Anne Spiegel. Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler

In Sachen Coronaschutz für Kinder lag die Priorität von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel in den vergangenen Monaten klar auf weit offenen Bildungseinrichtungen. «Wie wichtig es für unsere Kinder ist, dass Kitas und Schulen möglichst lange offen bleiben, haben uns die Lockdowns in den beiden vergangenen Jahren schmerzlich gelehrt», erklärte sie am 24. Januar 2022 – im Einklang mit ihrer ehemaligen Kabinettskollegin, der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). Die verharmlost die Corona-Folgen für Familien praktisch seit Pandemiebeginn. Hubig befand bereits am 15. Oktober 2020: „Die Schulen sind nicht die Treiber der Pandemie.“

«So geben wir den Kitas und Schulen mehr Flexibilität und helfen, Personalengpässe zu überbrücken»

Obwohl im Januar 2022 die Omikron-Welle mit Rekordinzidenzen durch die Kitas und Schulen rollte, war Spiegels Interesse weniger darauf ausgerichtet, Kinder und Personal vor Ansteckungen zu schützen – als vielmehr den Betrieb am Laufen zu halten. Den Kitas und Schulen bot sie dafür sogar Personal aus Bundesprojekten an, das erkrankte Erzieherinnen und Erzieher vertreten könne. «So geben wir den Kitas und Schulen mehr Flexibilität und helfen, Personalengpässe zu überbrücken», erklärte sie seinerzeit.

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Die 41-Jährige ging am Abend darauf aber nicht ein, sondern räumte mit stockender Stimme ein, als rheinland-pfälzische Umweltministerin falsch gehandelt zu haben. „Das war ein Fehler, dass wir so lange in Urlaub gefahren sind und ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung.“ Ihre Entscheidung für den Urlaub begründete die heutige Bundesfamilienministerin – um Fassung ringend – „in einem ungewöhnlichen Schritt“ mit „privaten Details“. Ihre vier Kinder – eins im Kita- und drei im Grundschulalter – seien nicht gut durch die Pandemie gekommen. Und ihr Mann habe nach einem Schlaganfall unbedingt Stress vermeiden müssen. Ihre Familie habe Urlaub gebraucht.

Die zusätzliche Übernahme des Umweltressorts in Rheinland-Pfalz im Januar 2021 sei zuviel gewesen und habe ihre Familie “über die Grenze gebracht”. Sie habe einen Schritt gemacht, “der im Nachhinein ein Fehler war, weil er zu viel war.” Die damalige Landesministerin für Familie, Integration und Verbraucherschutz hatte das Umweltministerium nach dem Rücktritt von Ulrike Höfken (auch Grüne) wegen rechtswidrigen Beförderungen übernommen. Zugleich zog Spiegel als Spitzenkandidatin ihrer Partei in den Wahlkampf und übernahm nach der gewonnen Wahl im März das neu zugeschnittene und größere Klimaschutzministerium in Mainz.

Unmittelbar nach der Flut habe sie aber einen Krisenstab eingesetzt und weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht, sagte Spiegel am Sonntag. Die Abwägung zwischen ihrer Verantwortung als Ministerin und als Mutter sei ihr schwer gefallen. Während ihres Urlaubs sei sie immer erreichbar gewesen, habe Telefonate geführt und sich informiert. Wenn es einen Anlass gegeben hätte, den Urlaub abzubrechen, dann hätte sie dies getan, sagte Spiegel.

Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 sind in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rheinland-Pfalz verletzt und große Teile der Infrastruktur sowie Tausende Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichquartieren.

CDU-Chef Merz sagte vor Spiegels Statement der “Bild”-Zeitung: “Es beweist sich erneut: Für Frau Spiegel waren Urlaub und das eigene Image wichtiger als das Schicksal der Menschen an der Ahr. Der Bundeskanzler muss sie entlassen.” Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) sagte der “Rheinischen Post”: “Wenn es um Verantwortung geht, ist sie nicht erreichbar oder verreist.” Er könne sich nicht vorstellen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) “so ein Amtsverständnis gut findet”.  Spiegel sei als Ministerin untragbar, fügte der CDU-Landesvorsitzende Christian Baldauf hinzu. “Eine Landesministerin, die während dieser schweren Katastrophe vier Wochen Urlaub macht, setzt die falschen Prioritäten.”

Spiegel war bereits in die Kritik geraten, weil sie sich in einem Kurznachrichten-Wechsel mit ihren Mitarbeitern direkt nach der Hochwassernacht um ihr politisches Image gesorgt hatte. Dazu hatte die Grünen-Politikerin im Untersuchungsausschuss des Landtags in Mainz gesagt, die Hilfe für die Betroffenen im Ahrtal sei für sie von höchster Bedeutung gewesen. “Es ist absolut falsch und ich weise entschieden zurück, dass ich irgendwann eine andere Priorität hatte.”

Trotzdem bleibt die Grundsatzfrage: Wie viel persönliche Betroffenheit kann sich die Politik erlauben? Prof. Christian Drosten, Chef-Virologe der Berliner Charité und Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung, erklärte am 1. Februar: „Wir haben eindeutig den Befund, dass die Übertragungen im Moment aus dem Schulbetrieb gespeist werden.“ Konsequenzen für die Corona-Politik der Bundesregierung? Keine.

Nun bin ich zurück, wenn auch noch nicht völlig frei von Post-Covid-Symptomen“

Was das für Familien bedeuten kann, hat die Bundesfamilienministerin dann aber kurz darauf persönlich zu spüren bekommen: Sie infizierte sich am 24. Februar mit dem Coronavirus und erkrankte daran – nach eigenem Bekunden schwer. Erst knapp einen Monat später, am 23. März, meldete sie sich auf der Homepage des Ministeriums wieder zu Wort: Nun bin ich zurück, wenn auch noch nicht völlig frei von Post-Covid-Symptomen.“

Das Sein bestimmt offenbar das Bewusstsein: In Sachen Corona meldete sich Spiegel in dieser Woche zu Wort – mit einem deutlich anderen Akzent als vor ihrer Erkrankung. „Wir haben jeden Tag 300 Corona-Tote. Das ist eine Zahl, die mich sehr besorgt. Daher sollten wir weiter Maske tragen in allen Situationen, in denen wir sie bisher getragen haben“, sagte Spiegel. Dumm nur, dass die Bundesregierung die Maskenpflicht in Schulen mittlerweile abgeräumt hat: Seit Inkrafttreten des neuen Infektionsschutzgesetzes dürfen die Bundesländer in der Fläche in Schulen keine Masken mehr vorschreiben.

Epilog: „Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen“, schreibt Spiegel am Montagnachmittag in einer Mitteilung. „Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht“, führt sie weiter aus. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wurde am 11. April um 15 Uhr aktualisiert.

Das Märchen ist nicht auszurotten: Neue Bundesfamilienministerin – „Kinder sind nicht Treiber der Pandemie“

 

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