BERLIN. Das Land Sachsen–Anhalt will an einem Dutzend Schulen ein Modell mit vier Präsenz-Unterrichtstagen pro Woche und einem Tag fürs Distanzlernen oder praktische Tage in Unternehmen erproben. Das Ministerium sieht das Modell nach eigenem Bekunden aber nicht als Instrument gegen Lehrermangel. Bildungsverbände schlagen trotzdem Alarm – sie glauben der Beteuerung schlicht nicht.
Grundlage sei ein Beschluss des Landtags, neue Modelle zur Unterrichtsorganisation an den Schulen zu erproben, erklärte ein Sprecher des Bildungsministeriums in Magdeburg am Freitag. Die Schulen hätten sich auf eine entsprechende Ausschreibung hin gemeldet. Insbesondere an Sekundarschulen fehlen viele Lehrkräfte, Unterrichtsausfall ist vielfach vorprogrammiert.
Konkret soll das 4-plus-1-Modell im neuen Schuljahr 2022/23 an zwölf Sekundar- und Gemeinschaftsschulen erprobt werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen an vier Tagen in den Schulen unterrichtet werden. Mit dem fünften Tag soll dem Ministeriumssprecher zufolge relativ kreativ umgegangen werden. Digitales Lernen über Apps oder das Moodle-Portal seien ebenso möglich wie Besuche in Unternehmen und Praxislerntage. Das Modellprojekt soll ein Schuljahr lang laufen und dann ausgewertet werden, hieß es.
“Wir haben den Verdacht, dass da ein Sparmodell schrittweise auf leisen Sohlen eingeführt werden soll”
Bildungsverbände halten nichts von der Idee. «Das sehen wir außerordentlich kritisch», sagte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands «Wir haben nicht nur den Verdacht, dass da ein Sparmodell schrittweise auf leisen Sohlen eingeführt werden soll, sondern dass dadurch auch die Unterrichtsausfallstatistik massiv geschönt werden soll.» Meidinger sagte, Distanzunterricht möge in der Oberstufe, wo Jugendliche selbstständiges Arbeiten gewohnt seien, zeitweise funktionieren. Jüngere Schülerinnen und Schüler bräuchten aber den Präsenzunterricht.
Besonders kritisch sieht der Lehrerverbandspräsident, dass der fünfte Tag flexibel gestaltet werden soll. «Das heißt, dass es gar nicht mehr auf die Fachstundentafel ankommt, sondern dass man da quasi machen kann, was man will.» Meidinger befürchtet einen «dauerhaften Niveauverlust». Bisher verbindliche Lernziele würden noch weniger erreicht werden können.
“Die Verzweiflungstaten der Länder, um den lange schöngeredeten Lehrkräftemangel zu kaschieren, nehmen zu”
«Die Verzweiflungstaten der Länder, um den lange schöngeredeten Lehrkräftemangel zu kaschieren, nehmen zu», sagte der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann. «Die Maßnahme in Sachsen-Anhalt ist nichts anderes als das Eingeständnis einer über Jahre verfehlten Personalpolitik und eine verschleierte Kürzung der Stundentafel.» Er sprach von einer Notmaßnahme, weil zunehmend erkannt werde, dass «auch das Reservoir, aus dem man Seiten- und Quereinsteiger oder pensionierte Lehrkräfte gewinnen konnte, weitgehend erschöpft ist».
Der VBE-Landesverband Sachsen-Anhalt erklärte, das Modell stelle «eine Bankrotterklärung des Landes im Bildungsbereich dar». Der Landesvorsitzende Torsten Wahl kritisierte: «Hier wird eindeutig Lebens- und Lernzeit auf Kosten der Schülerinnen und Schüler vergeudet. Ein solcher Tag muss sehr gut in die Unterrichtsarbeit eingeplant, vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet werden. Ein Distanzlerntag bedeutet jedoch für die Lehrkräfte eine enorme zusätzliche Belastung.»
In Sachsen-Anhalt wird derzeit in keiner der Schulformen eine vollständige Unterrichtsversorgung erreicht, im Schnitt lag diese zuletzt bei 94 Prozent. Damit ist die Koalition deutlich von ihrem Ziel einer 103-prozentigen Unterrichtsversorgung entfernt. In der jüngsten großen Lehrer-Ausschreibungsrunde von Mitte Dezember bis Ende Januar meldeten sich nur 414 Bewerber auf 916 Stellen für allgemeinbildende und Berufsschulen. News4teachers / mit Material der dpa
Wegen Lehrermangels: Erstes Bildungsministerium will jetzt die Unterrichtsstunden kürzen
