WIESBADEN. Auch das Land Hessen hat zahlreiche Lehrkräfte über die Sommerferien in die Arbeitslosigkeit entlassen – die GEW fordert ein Ende dieses Missstands. „Anstelle des wohlverdienten sommerlichen Erholungsurlaubs steht für sie nun erst einmal der Gang zum Jobcenter an. Viele dürften sich vor diesem Hintergrund fragen, ob sie sich nicht beruflich umorientieren sollten. Das Land Hessen zeigt sich als miserabler Arbeitgeber“, sagt GEW-Landeschef Thilo Hartmann.
Der Beginn der Sommerferien bedeutet für zahlreiche Lehrkräfte in Hessen das Ende ihres Arbeitsverhältnisses bedeutet, so dass sie über die Ferien erwerbslos sind. Ein Großteil von ihnen wird voraussichtlich zum Schuljahresbeginn im September erneut eingestellt.
Thilo Hartmann, Vorsitzender der GEW Hessen, fordert ein Ende dieser Praxis, die in einigen Bundesländern mittlerweile beendet wurde, aber auch noch in anderen (wie Baden-Württemberg) weiter gepflegt wird. „Wir haben ein Schuljahr hinter uns, in dem es wahrlich nicht an Herausforderungen mangelte. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Aufnahme zahlreicher geflüchteter Kinder und Jugendlicher aus der Ukraine und der sich an allen Ecken und Enden niederschlagende Personalmangel haben den Lehrkräften viel abverlangt.“ Es sei alleine dem großen Engagement der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, dass der Schulbetrieb trotz aller Widrigkeiten ermöglicht wurde.
“Gerade angesichts der massiven Probleme bei der Stellenbesetzung sollte sich das Land so etwas nicht erlauben“
Hartmann: „Für die gut 7.000 befristet eingestellten Vertretungskräfte, ohne die das Unterrichtsangebot angesichts des Lehrkräftemangels überhaupt nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, ist es eine herbe Klatsche, dass das Land viele von ihnen über die Sommerferien nicht entlohnt. Gerade angesichts der massiven Probleme bei der Stellenbesetzung sollte sich das Land so etwas erst recht nicht erlauben.“
Dabei spitzt sich der Lehrkräftemangel derzeit in vielen Bereichen zu: Im Grundschullehramt, im Förderschullehramt, im Berufsschullehramt. Auch mit einzelnen Mangelfächern in den Lehrämtern der weiterführenden Schulen – wie Physik, Chemie, Kunst oder Musik – erhalten voll ausgebildete Lehrkräfte in der Regel sofort mindestens ein Einstellungsangebot. In Hessen dürften über 1.000 Lehrkräfte Ende Juli ihren Vorbereitungsdienst, der nach dem Studium absolviert werden muss, beenden. Die GEW weist auf die unattraktive Einstellungspraxis für neu ausgebildete Lehrkräfte hin.
Thilo Hartmann befürchtet nämlich, dass das Land Hessen viele davon verlieren könnte: „In Hessen werden zum neuen Schuljahr eingestellte Lehrkräfte erst drei Tage vor Unterrichtsbeginn in das Beamtenverhältnis aufgenommen. Angesichts der späten Sommerferien in diesem Jahr ergibt sich daraus eine Lücke von etwa fünf Wochen. Wer sich nun beispielsweise in Nordrhein-Westfalen beworben hat, kann fünf Wochen Arbeitslosigkeit umgehen.“ Diese Praxis schade Hessen auf dem bundesweiten Lehrkräftearbeitsmarkt.
“Gleichzeitig ist die Besoldung der Anwärterinnen und Anwärter so gering, dass sie keinerlei Rücklagen bilden können”
Darüber hinaus erinnert Hartmann daran, dass dieses Vorgehen den jungen Lehrkräften gegenüber höchst unfair ist: „Der Vorbereitungsdienst ist eine ausgesprochen fordernde Zeit. Gerade in Hessen jagt eine Prüfungssituation die andere. Gleichzeitig ist die Besoldung der Anwärterinnen und Anwärter so gering, dass sie keinerlei Rücklagen bilden können. Und dann drohen mehrere Wochen Arbeitslosigkeit.“
Hinzu käme das Problem, so Hartmann, dass durch den Vorbereitungsdienst, der ein Beamtenverhältnis auf Zeit sei, keine Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung erworben würden. Dies sei ein Grund dafür, dass sich nur ein Teil von ihnen arbeitslos melde: „In den offiziellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die die Bundesländer übrigens schon lange wegen dieser Verschiebung von Kosten in die Sozialversicherungssysteme kritisiert, sehen wir nur die Spitze des Eisberges. Viele dürften sich mehr schlecht als recht irgendwie durchschlagen“, so die Einschätzung von Gewerkschaftschef Hartmann.
Hintergrund: Hessen kann laut GEW seit vielen Jahren zahlreiche Stellen im Schulbereich nicht mehr mit ausgebildeten Lehrkräften besetzen. Die Zahl der befristeten Vertretungsverträge ist nach einem zwischenzeitlichen Rückgang in den vergangenen Jahren wieder deutlich angestiegen. Seit 2009 regelt ein Erlass des Kultusministeriums, dass befristete Verträge in verschiedenen, aber nicht allen Vertretungskonstellationen die Sommerferien umfassen sollen. Für die Umsetzung sind jedoch die einzelnen Schulämter zuständig, in Einzelfällen kommt es dabei immer wieder zu Problemen.
Die GEW Hessen schätzt, dass etwa ein Drittel der Vertretungskräfte nicht über die Sommerferien bezahlt wird. Die Zahl der befristeten Vertretungskräfte nimmt weiter zu, da der Lehrkräftemangel größer geworden ist.
Der Vorbereitungsdienst von Lehrkräften, die diesen im Sommer abschließen, endet immer exakt Ende Juli. Die Einstellung von neuen Lehrkräften zum Schuljahresbeginn erfolgt dem Einstellungserlass zufolge jedoch grundsätzlich erst drei Tage vor Unterrichtsbeginn. Dadurch ergibt sich eine Lücke ohne Beschäftigten- oder Beamtenstatus. Angesichts der späten Lage der Sommerferien muss im Jahr 2022 eine besonders lange Zeitspanne überbrückt werden.
Die Bundesagentur für Arbeit zählte im Vorjahr 600 Lehrkräfte, die sich in Hessen über die Sommerferien arbeitslos gemeldet haben. Damit liegt Hessen über dem bundesweiten Durchschnitt. Angaben für das Jahr 2022 werden erst im Herbst vorliegen. Die GEW rechnet damit, dass sich die Zahl gegenüber dem Vorjahr weiter erhöhen wird. News4teachers
„Welches Unternehmen kündigt massenhaft Beschäftigte, wenn es akuten Personalmangel hat?“