
Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Astrid-Sabine Busse (SPD), plädiert für mehr Qualität der Ganztagsschulen in Deutschland. «Das ist ein langer Prozess», sagte Berlins Bildungssenatorin. Um zu qualitativ guten Ganztagsschulen zu kommen, dauere es Jahre. Die Länder müssten sich also spätestens jetzt auf den Weg machen, um den ab 2026/2027 bundesweit geltenden Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung für Kinder an Grundschulen auch umsetzen zu können. «Ich denke, dass viele Erziehungsberechtigte dem entgegenfiebern, gerade auch dort, wo das Ganztagsangebot noch nicht so ausgeprägt ist.»
Nach KMK-Angaben gibt es unter den Bundesländern noch große Unterschiede bei der Ganztagsbetreuung in Grundschulen. Länder wie Thüringen (100 Prozent), Sachsen (99,5), Berlin (98,9), das Saarland (98,1), Hamburg (97,3) oder Nordrhein-Westfalen (95) weisen hohe Quoten auf (Stand Dezember 2021). In Baden-Württemberg hingegen bieten nur 28,4 Prozent der Grundschulen Ganztagsbetreuung an, in Brandenburg 44,2, in Bremen 58,7 und in Bayern 66 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 71,2 Prozent.
«Erst das wachsende Interesse junger Familien und alleinerziehender Mütter führte zu einer verstärkten Nachfrage nach Ganztagsschulplätzen»
Ganztagsschulen sind allerdings ein relativ neues Phänomen in der (west-)deutschen Bildungslandschaft – in der Fläche jedenfalls. «Bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts war in Deutschland die klassische Halbtagsschule der Normalfall, Ganztagsschulen bildeten unter Deutschlands Schulen eine ganz kleine Minderheit», so berichtet der Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm.
«Erst das wachsende Interesse junger Familien und alleinerziehender Mütter führte zu einer verstärkten Nachfrage nach Ganztagsschulplätzen. Gestützt wurde diese Nachfrage insbesondere nach der 2001 erfolgten Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten PISA-Studie noch durch Hinweise darauf, dass Kinder und Jugendliche in Ganztagsschulen besser gefördert werden könnten. Auf den so entstandenen Nachfragedruck reagierten alle sechzehn Bundesländer in den beiden ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts mit einem Ausbau ihrer Ganztagsschulangebote», erklärt Klemm. Allerdings: Die meisten Bundesländer setzten dabei auf den sogenannten «offenen Ganztag», der lediglich ein Betreuungsangebot am Nachmittag vorsieht.
Das hat vor allem finanzielle Gründe: Während der Staat für Unterricht keine Elterngebühren verlangen darf, sieht das bei einer bloßen Betreuung anders aus – in Köln beispielsweise müssen Eltern pro Platz und Monat im offenen Ganztag bis zu 180 Euro zahlen. Die Qualität des Angebots lässt trotzdem vielerorts zu wünschen übrig.
Beispiel Nordrhein-Westfalen: «Einhellig kritisieren Opposition, Eltern-, Lehrer- und Schulverbände, dass es keine verbindlichen Qualitätsstandards für die offene Ganztagsgrundschule (OGS) gibt. Es ist nicht einmal vorgeschrieben, dass die Betreuer eine pädagogische Ausbildung haben müssen oder wie viele Kinder maximal in einer Gruppe sein dürfen. Auch die empfohlene Quadratmeterzahl von mindestens drei pro Kind wird häufig unterschritten. Mancherorts muss das Mittagessen aufgrund von Raumnot in vier Schichten eingenommen werden. Die Träger der OGS, zumeist die Freien Wohlfahrtsverbände, beklagen eine viel zu geringe finanzielle Ausstattung», so berichtete der Bonner Generalanzeiger bereits 2019. Geändert hat sich an dieser Situation seitdem nichts.
Busse, die das Amt der KMK-Präsidentin zum 1. Januar für ein Jahr übernahm, strebt nach eigenen Worten eine Ländervereinbarung an. Darin soll es neben dem quantitativen Ausbau der Ganztagsgrundschulen in erster Linie um qualitative Verbesserungen gehen. Denn auch hierbei gebe es verschiedenste Ansätze in den Ländern, und das sei zum Teil wegen unterschiedlicher Gegebenheiten in Flächen- und Stadtstaaten auch verständlich. «Es gibt nicht das eine Modell für alle Schulen und Bundesländer.» Gleichwohl wolle sie sich für allgemeingültige Empfehlungen zu Qualitätsstandards einsetzen, so Busse.
«Phasen des Lernens und der Anspannung müssten sich mit Entspannung, offenen Angeboten, gemeinsamen Mahlzeiten abwechseln»
Gute Ganztagsbetreuung diene auch der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Gleichzeitig sei sie wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung und Chancengleichheit von Kindern. Sie hätten so viel mehr Möglichkeiten, angeleitet zu lernen, individuell gefördert oder bei der Sprachentwicklung unterstützt zu werden.
«Eine Ganztagsgrundschule kann auch ein Lebensraum sein», sagte Busse. «Wenn sie dort acht Stunden mit vertrauten Menschen zusammen sind, ist das auch eine seelische Entlastung für Kinder.» Daher dürfe das Angebot nicht zu sehr verschult sein nach dem Motto: «Morgens Schule, nachmittags Sport.» Busse warb dafür, den Ganztag zu «rhythmisieren». Phasen des Lernens und der Anspannung müssten sich abwechseln mit Entspannung, offenen Angeboten, gemeinsamen Mahlzeiten. «Viele Schulen haben auch Früh- und Abendbetreuung und Ferienbetreuung.»
Ein weiterer Schlüssel für mehr Qualität im Ganztag ist nach den Worten Busses das Personal, an dem allerdings allerorten Mangel herrscht. An den Schulen müssten multiprofessionelle Teams Hand in Hand arbeiten, die aus Lehrkräften, Erziehern, Sozialarbeitern und idealerweise auch Schulpsychologen oder Logopäden bestehen. Wegen des bundesweiten Fachkräftemangels sei das aber schwierig, räumte Busse ein und verwies auf entsprechende Gespräche zwischen Bund- und Ländern über eine Gesamtstrategie.
Insbesondere mit Blick auf den Rechtsanspruch dürften jedoch die Ziele, die mit Ausbau des Ganztags verbunden seien, nicht aus dem Blick geraten, sagte Busse. Wichtig sei, dass das Ganztagsangebot den Kindern Spaß bereite und so ihre Akzeptanz finde. Dies sei eine «zentrale Gelingensbedingung» dafür, dass kognitive Fähigkeiten von Schülern und Schülerinnen ebenso gefördert würden wie das soziale Lernen.
Da Bildungspolitik Ländersache ist, kommt der KMK eine wichtige Rolle zu. Als KMK-Präsidentin folgte Busse auf Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Am 16. Januar findet eine offizielle Übergabe im Bundesrat statt. News4teachers / mit Material der dpa
Der Ganztag verbessert soziale Fähigkeiten von Grundschülern, deren Noten aber nicht