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Bald nur noch Orchideenfach? Das Interesse an Latein geht weiter zurück

MÜNCHEN. «Video meliora proboque deteriora sequor.»* Kennen die meisten derartige Zitate – in diesem Fall Ovid – nur noch aus Asterix? Das Schüler-Interesse an Latein geht stetig zurück, wie das Beispiel Bayern zeigt. Dort wird Corona für die Entwicklung verantwortlich gemacht. Allerdings war der Trend auch schon vor der Pandemie erkennbar.

„Errare humanum est”, so wussten schon die alten Römer – irren ist menschlich. Foto: Shutterstock

Nach Englisch ist Latein an den Gymnasien immer noch die am zweithäufigsten gewählte Fremdsprache, in Bayern jedenfalls. Doch die Schülerzahlen gehen auch im Freistaat zurück, wie das bayerische Kultusministerium auf Anfrage mitteilte: Für das Schuljahr 2021/22 gab es im Vergleich zum Schuljahr 2017/18 einen Rückgang um 5,5 Prozent. 114.100 Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich demnach im vergangenen Jahr mit Latein-Vokabeln oder übersetzten Cäsar, Seneca oder Cicero.

Das Ministerium führt diese Entwicklung vor allem darauf zurück, dass es wegen der Corona-Einschränkungen weniger Info-Veranstaltungen an den Gymnasien gab – und die seien gerade für Latein sehr wichtig, um die Fachinhalte zu veranschaulichen.

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Das sieht auch Harald Kloiber so, bayerischer Landeschef des Deutschen Altphilologenverbandes. Die Informationsveranstaltungen seien immens wichtig, sagte er. Bei Französisch etwa sei klar, dass es sich um eine moderne, kommunikationsorientierte Fremdsprache handle. Anders Latein. Der Fokus liege auch auf Kultur, auf Geschichte, auf Literatur. «Auf diesen Veranstaltungen können Vorbehalte sehr gut abgebaut werden.»

„In einem kompletten Fach eine Sprache wie Latein zu lernen, das ist Zeitverschwendung“

Fakt ist aber auch: Das Interesse an Latein sinkt bundesweit – und das war schon vor Corona zu beobachten. Lernten 2008 in ganz Deutschland noch mehr als 830.000 Jugendliche Latein in der Schule, waren es 2016 nur noch 630.000. Ein Schwund von mehr als einem Fünftel in nur acht Jahren. Zum Vergleich: Französisch lernen bundesweit rund 1,5 Millionen Schüler.

Das Erlernen einer modernen Fremdsprache am Gymnasium sei verlockend, weil man das Geübte beispielsweise im Urlaub gleich anwenden könne. Das widerspreche aber allerdings dem, was gymnasiale Bildung ausmache, sagte Kloiber: Im Latein-Unterricht werde Wissen über die Antike vermittelt, auch über literarische Gattungen, Politik und Philosophie, es gehe «um existenzielle Fragen und Grundwerte». Die Auswirkungen auf den Deutsch-Unterricht seien positiv. In Latein arbeite man schon früh mit literarischen Texten. Zum Beispiel werde gezeigt: Wie funktioniert Rhetorik, wie funktioniert Manipulation via Sprache? «Da ist ganz viel Potenzial, wenn man sich darauf einlässt.»

Wenn… Eine Ursache für die Entwicklung ist sicher auch, dass für immer weniger Studienfächer Lateinkenntnisse als Voraussetzung gelten: Das Latinum ist heute zum Beispiel für ein Studium der Human- und Veterinärmedizin oder der Rechtswissenschaften nicht mehr erforderlich. Eine anderer Grund könnte in der zunehmenden Ökonomisierung von Bildung liegen, die eher auf Programmiersprachen denn auf alte Sprachen setzt. „In einem kompletten Fach eine Sprache wie Latein zu lernen, das ist Zeitverschwendung“, sagt etwa der Unternehmer und Investor Frank Thelen, der im Fernsehen mit der „Höhle der Löwen“ bekannt geworden ist. Für ihn gehört heute stattdessen zur Allgemeinbildung, dass „man einen Softwarefehler ‚bug‘, also Käfer, nennt“, wie er in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe kundtat.

„Oft müssen die Kinder ihre Eltern überzeugen oder überreden, dass sie an unsere Schule kommen dürfen, weil die Eltern sagen, das ist viel zu schwer für dich, und das braucht man heute nicht“

Diese zunehmend kritische Haltung bekommen die Gymnasien zu spüren – auch in der Oberstufe. „Ein alarmierendes Zeichen ist das sukzessive Verschwinden der Alten Sprachen aus dem Oberstufenunterricht infolge der Wahlverhaltens der Schülerinnen und Schüler“, sagte der Ehrenvorsitzende des Deutschen Altphilologenverbands, Hartmut Loos, Oberstudiendirektor und Schulleiter des (natürlich altsprachlichen) Gymnasiums am Kaiserdom in Speyer, bereits 2018.

Früher, so Loos, hätten Eltern ihre Kinder mitunter zum Lateinunterricht gedrängt – heute sei es nicht selten umgekehrt: „Oft müssen die Kinder ihre Eltern überzeugen oder überreden, dass sie an unsere Schule kommen dürfen, weil die Eltern sagen, das ist viel zu schwer für dich, und das braucht man heute nicht“, so erklärte der Altphilologe seinerzeit in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“.

*vulgo: „Ich sehe das Bessere und heiße es gut, dem Schlechteren folge ich.“

Ist das das Ende des bundesweiten Booms? Immer weniger Gymnasiasten interessieren sich für Latein (in Niedersachsen jedenfalls)

 

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