ERFURT. Nur etwa jeder fünfte Schüler könnte sich vorstellen, eine Ausbildung oder ein Studium im sozialen Bereich zu wählen, obwohl nur eine Minderheit sie als „Frauenberufe“ betrachtet. Erfurter Wissenschaftler haben genauer hingesehen.
Männliche Schüler in Deutschland interessieren sich für soziale und pädagogische Themen. Dies bestätigt die Kurzstudie „Soziale Berufe. Was junge Männer darüber denken“. Jedoch würden sich nur 21,8 Prozent der jungen Männer für eine Ausbildung oder ein Studium im sozialen Bereich entscheiden, ermittelten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Erfurter der Internationalen Hochschule (IU). Für 51,3 Prozent der Befragten käme dies eher nicht oder überhaupt nicht in Frage. Für die Studie wurden 620 männliche Schüler (Hauptschüler, Realschüler, Fachoberschüler und Gymnasiasten) befragt.
Wenig überraschend: Mehr als die Hälfte der befragten Schüler (54,1 Prozent) halten die zu niedrigen Verdienstmöglichkeiten von einer Ausbildung oder einem Studium im sozialen Bereich ab. 45,0 Prozent gefallen die Arbeitsbedingungen nicht.
Trotzdem sind für mehr als die Hälfte der Befragten (53,0 Prozent) die Herausforderungen in sozialen Berufen kein Grund, der gegen eine Ausbildung oder ein Studium im Sozialwesen spricht. Was andere wie Freundinnen und Freunde oder Familie über diesen Berufswunsch denken, würde ebenfalls jeweils mehr als die Hälfte der Befragten nicht davon abhalten, eine Ausbildung oder ein Studium im sozialen Bereich zu beginnen.
Fabian van Essen, Mitinitiator der Studie, fasst zusammen: „Obwohl das Potenzial grundsätzlich da ist und laut Studie weder die Meinung anderer noch das fordernde Berufsfeld einen Hinderungsgrund darstellen, kommt für viele männliche Schüler ein sozialer Beruf nicht infrage“, so der Professor für Heilpädagogik und Inklusionspädagogik. Mehr Schulfächer zu sozialen Themen brauche es nicht, aber es fehle vielen jungen Männern an praxisorientierten Einblicken wie zum Beispiel durch Praktika oder Hospitationen. „Ein Kernproblem ist der Wegfall des Zivildienstes, der früher junge Männer für soziale und pädagogische Berufe sozialisierte“, schätzt van Essen, denn: „Heutzutage fehlt vielen Männern diese Kennenlernmöglichkeit.“
Laut Studienergebnissen sind kaum männliche Verwandte oder Bekannte vorhanden, die im Sozialwesen arbeiten und junge Männer für soziale Berufe begeistern oder sozialisieren könnten: Zwar geben 64,3 Prozent der Befragten an, eine oder mehrere Personen zu kennen, die im sozialen Bereich arbeiten. Allerdings sind 65,6 Prozent dieser Bekannten oder Verwandten weiblich. Gerade mal 13,1 Prozent der jungen Männer geben an, dass ihr Vater oder Großvater in diesem Bereich arbeitet. Dies deckt sich auch mit anderen Statistiken. Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit etwa arbeiten im sozialen Bereich mehr als 70 Prozent Frauen.
Der Studie zufolge wirkt sich dieser hohe Frauenanteil allerdings kaum auf das Bild aus, das sich männliche Schüler zu sozialen Berufen machen: Nur 24,4 Prozent der befragten Schüler stimmen der Aussage zu, dass „soziale Berufe eher was für Frauen als für Männer sind“.
Wie der „Klischee-Check“ der Studie zeige, scheint mithin die hohe Quote weiblicher Fachkräfte nicht zwangsläufig dazu zu führen, dass junge Männer denken, soziale Berufe seien typische Frauenberufe. „Trotzdem“, meint Fabian van Essen, „benötigen Kinder und Jugendliche sowohl männliche als auch weibliche Rollenbilder im Bildungs- und Sozialwesen. Das betrifft das Geschlecht, aber auch andere Dimensionen, wie beispielsweise Behinderung, den Migrationshintergrund oder die sexuelle Orientierung“.
Gerade das Berufsbild Erzieher ist bei den befragten Schülern sehr beliebt, so die Studie: Unter den 21,8 Prozent derjenigen Befragten, für die eine Ausbildung oder ein Studium im sozialen Bereich infrage käme, würden sich 26,2 Prozent am ehesten für den Beruf des Erziehers entscheiden. An zweiter Stelle folgt mit jeweils 25,4 Prozent das Berufsbild Pädagoge beziehungsweise Sozialpädagoge. Weniger interessant sind Berufe wie Medienpädagoge (14,6 Prozent) oder Schulbegleiter (13,1 Prozent). (pm)
• Studie „Soziale Berufe. Was junge Männer darüber denken“
Zustimmung zum sozialen Pflichtjahr für Schulabgänger wächst – auch unter Jugendlichen