BERLIN. Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf wurden lange argwöhnisch beäugt – und sind mittlerweile heiß begehrt, um dem grassierenden Lehrermangel entgegenzuwirken. Kultusministerien stecken Hunderttausende von Euro in Werbekampagnen, um Menschen in den Lehrerberuf zu locken. In der Bildungsbürokratie scheint sich das allerdings noch nicht immer angekommen zu sein. Im Folgenden berichtet eine Sozialpädagogin, die seit fünf Jahren an einer Förderschule unterrichtet, welche Hürden ihr in den Weg gestellt werden, um dort als ordentliche Lehrkraft anerkannt zu werden. Kein Einzelfall, wie sie betont.
Es wird so viel über Lehrermangel und Qualitätseinbußen durch Quer-/Seiteneinsteiger diskutiert… Ich möchte heute mal die andere Seite aufzeigen: die eines Quereinsteigers – und von mir berichten.
Ich bin Diplom-Sozialpädagogin (FH) von Beruf. Ich bin jetzt 45 Jahre alt. Ach ja, die Erzieherausbildung habe ich auch vorm Studium erfolgreich gemacht 😉 Ich arbeitete von 2007 bis 2017 in unterschiedlichen Settings in sozialen Bereichen, angefangen von:
- Arbeit im Kinderheim,
- Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Betreuungseinrichtungen
- Arbeit mit jungen Müttern ohne Berufsausbildung im Bereich berufliche Integration
- Arbeit in einem schulischen Internat
- Arbeit mit Ü50 Langzeitarbeitslosen – Integration in den Arbeitsmarkt – Ich war Sozialpädagogin und Jobcoach in einem…
- Arbeit mit Jugendlichen (welche aus Förderschulen kommen) – in der beruflichen Ausbildung
Im Oktober 2017 habe ich dann den Schritt gewagt, als Quereinsteigerin in den Lehrerberuf zu wechseln. Aber glauben Sie mir, dieser Weg will wohl überlegt sein! Noch immer! Meinen ersten Lehrerjob hatte ich an einer Grundschule – ich habe Englisch und Wirtschaft, Arbeit, Technik (WAT) unterrichtet. Irgendwann war‘s auch Mathe und Neigung … Es war super und ich wäre gern da geblieben… Ging nicht, weil es damals hieß: Lehrer, die aus der ehemaligen DDR kommen, werden bevorzugt eingestellt.
Meine zweite Schule, an der ich immer noch als Vertretungskraft unterrichte, ist eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Ich war erst unsicher, ob das so mein Ding ist, aber die Kollegen vor Ort, das Team und die Arbeit haben mir so viel Spaß gemacht, dass ich gerne bleiben möchte.
“Ich möchte gern an meiner Förderschule bleiben und weiter unterrichten. Das geht aber nicht”
Und jetzt kommt die Krux (ich wiederhole noch mal kurz: Ich bin ausgebildete Pädagogin durch und durch mit zehn Jahren Berufserfahrung im pädagogisch-sozialen Bereich): Ich musste aber trotzdem eine pädagogische Grundqualifizierung mitmachen – nebenberuflich. Muss ich das verstehen? Okay, hab‘ ich trotzdem gemacht!
Um allerdings weiterhin auch als Lehrerin an einer Förderschule arbeiten zu können, erwartet das Ministerium nun von mir, dass ich zwei Fächer vorweise, die der Lehrergrundausbildung ähneln. Ich mach’s kurz: Ich studiere also seit November 2020 berufsbegleitend den Förderschwerpunkt Lernen und sozial emotionale Entwicklung und bin jetzt im Mai fertig. Reicht das? Nein, natürlich nicht. Ich brauche ja, um in den berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst gehen zu können und eine Lehrbefähigung zu bekommen, darüber hinaus noch ein allgemeinbildendes Fach wie Deutsch, Englisch oder Mathe.
Ich dürfte, wenn ich denn wollte, mit meiner bisherigen Qualifikation an einer Berufsschule unterrichten und Erzieher und/oder Sozialassistenten ausbilden. Ich möchte aber gern an meiner Förderschule bleiben und junge Kinder/ Jugendliche unterrichten … Das geht aber nicht, weil mir ein allgemeinbildendes Fach fehlt.
Die Realität sieht so aus: Ich bin an meiner Schule seit 2018! Ich unterrichte seitdem dort Englisch, WAT, mittlerweile auch Mathe. Ich habe schon Deutsch, Naturwissenschaften (Bio, Physik , Chemie), Sport (zeitweilig), Musik, Kunst; Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) … quasi alles unterrichtet. LER – ist mein Steckenpferd, weil es meinem Sozialpädagogik-Studium am nächsten kommt: Konflikte bearbeiten, Lebenskunde, Ethik. Hatte ich alles im Studium und dazu Berufserfahrung. Reicht das, um es mir das als Allgemeinbildendes Fach anerkennen zu lassen? Nein, es muss ein Wisch von einer Hochschule sein, der besagt, dass ich das auch tatsächlich unterrichten darf. Die Leistungspunkte von meinem Studium von 2002 bis 2006 reichen angeblich nicht aus.
Ich kann ja nachvollziehen, dass es Quer-/Seiteneinsteiger gibt, die aus eher technischen Bereichen kommen und „Nachhilfe“ im Bereich Pädagogik durch die pädagogische Grundqualifizierung benötigen – aber eine ausgebildete Sozialpädagogin? Öhm, nein. Ein Lehramtsstudium ist ein Muss!
“So wird das nichts mit der Bekämpfung des Lehrermangels”
Ich bin übrigens nicht allein mit dem Problem. Ich kenne weitere Sozialpädagogen/ Erziehungswissenschaftler, denen es ähnlich geht wie mir. Und jetzt fragen sich alle, warum auch schon Seiten- und/ oder Quereinsteiger hinschmeißen. Meine Antwort: Es werden ihnen zu viele Steine in den Weg gelegt. Ich habe dem Ministerium mittlerweile ein Schreiben von rund 40 Seiten vorgelegt, in dem ich darlege, was ich alles gemacht habe. Ergebnis: Reicht nicht.
Hier muss doch mal ein Umdenken passieren! Warum ist ein trockenes Studium mehr wert als jahrelange Berufserfahrung? Warum muss man sich so starr an Konventionen halten? Muss die Bürokratie nicht anfangen, den Einzelfall zu betrachten – den Menschen mit seinen Erfahrungen in Gesamtheit, um eine pädagogische Eignung festzustellen? Wenn das nicht gelingt, sage ich voraus: So wird das nichts mit der Bekämpfung des Lehrermangels. News4teachers
Neuer VBE-Chef Brand: Schulen für Seiteneinsteiger öffnen! Ohne wird’s nicht gehen
