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Themenwochen: Warum sind Sie Lehrer an einer Waldorf-Schule geworden, Herr Großkreutz?

ULM. Angeblich esoterisch, zu wenig leistungsorientiert, weltfremd: Die Waldorf-Pädagogik sorgt immer wieder für Diskussionen. Nachdem der Bund der Freien Waldorfschulen auf News4teachers sich offen der Kritikpunkte gestellt hat (hier geht es zu dem Interview), wollten wir von einer Waldorf-Lehrkraft wissen, wie ihr pädagogischer Alltag aussieht. Wir sprachen mit Sebastian Großkreutz, der seit über 20 Jahren an der Freien Waldorfschule am Illerblick Ulm Deutsch in den Klassen 9-13 und Ethik als Abiturfach unterrichtet.

Sebastian Großkreutz unterrichtet seit über 20 Jahren an der Freien Waldorfschule am Illerblick Ulm. Foto: privat

News4teachers: Aus welchem Grund sind Sie Waldorflehrer geworden? Wie sind Sie zur Waldorfpäd­agogik gekommen?

Sebastian Großkreutz: Ich habe Germanistik und Philosophie (Magister) studiert und dabei bemerkt, dass es mir sehr große Freude bereitet, über Themen, die im Studium verhandelt wurden, zu kommunizieren und sie Interessierten näherzubringen. Zufällig entdeckte ich in der Zeit, als ich an meiner Abschlussarbeit brütete, in einer überregionalen Tageszeitung eine Anzeige des Seminars für Waldorfpädagogik in Kassel. Ich ließ mir – in dieser noch prädigitalen Zeit – einen Katalog zusenden, der das Ausbildungsprogramm sehr reflektiert darstellte. Es hat mich überzeugt, genauso wie die Persönlichkeiten vor Ort bei meiner Vorstellung und die anschließende Ausbildung.

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News4teachers: Warum haben Sie sich für die Schule entschieden, an der Sie dann als Lehrkraft begonnen haben – und bis heute arbeiten?

Freie Waldorfschule am Illerblick

Eine nahezu familiäre Gemeinschaft, ein naturnaher Standort, ein engagiertes und wertschätzendes Kollegium und viele Möglichkeiten, eigene Ideen in die pädagogische Arbeit einzubringen: Die Freie Waldorfschule am Illerblick sucht Pädagog*innen – ein Generationenwechsel steht an.

Die Freie Waldorfschule am Illerblick Ulm. Foto: Illerblick

Das Kollegium wird sich in den nächsten Jahren verändern. Lang erfahrene Kolleginnen und Kollegen werden die Schule verlassen. Die Freie Waldorfschule am Illerblick sucht pädagogisch begeisterte Menschen, denen die nächste Generation am Herzen liegt. „Sie haben eine sehr gute fachliche Ausbildung und stehen pädagogisch auf dem Boden der Waldorfpädagogik? Sie sprühen vor Ideen und möchten die Waldorfpädagogik zukunftsfähig gestalten? Dann finden Sie bei uns Ihren Tätigkeitsraum. Eine individuell abgestimmte Einarbeitung und Mentorierung sind selbstverständlich – bewerben Sie sich!“, so heißt es.

Nähere Informationen zu Stellenausschreibungen finden Sie unter https://www.waldorfschule-am-illerblick.de/stellenangebote/. Ihre Bewerbung richten Sie bitte per E-Mail an bewerbungen@illerblick.de. Weiterführende Informationen zu unserer Schule finden Sie unter www.illerblick.de.

Sebastian Großkreutz: Ich fand die Kollegen*innen vor Ort beim Bewerbungsgespräch sehr sympathisch, der Unterricht am nächsten Tag, bei dem ich hospitiert habe, erwies sich als lebendig und zugleich begrifflich sehr präzise, die Lehrerin als fachkompetent. Aber auch das Ge­lände und die Caféteria der Schule erschienen mir wie Orte, wo man sich gerne auf­hält. Außerdem haben die Schüler*innen die Lehrerin, die mich herumgeführt hat, und auch mich aufgeschlossen gegrüßt.

News4teachers: Was ist das Besondere an der Arbeit an dieser Schule?

Sebastian Großkreutz: Das kann ich nicht gut beantworten, weil ich noch nie länger an einer anderen Schule gearbeitet habe. Ich könnte mir aber vorstellen, dass das Besondere speziell an unserer Schule ist, dass man in den Klassenstufen, in denen ich unterrichte und wovon ich auch wirklich Ahnung habe, besonders ernsthaft auf die Wünsche und Vorstellungen der Schüler*innen eingeht.

News4teachers: Welche Vorteile sehen Sie in der Waldorfpädagogik im Gegensatz zu anderen pädago­gischen Konzepten?

Sebastian Großkreutz: Ich äußere mich ungern zu Sachverhalten, von denen ich keine Ahnung habe. Da ich noch nicht an anderen Schulen – egal mit welchem pädagogi­schen Konzept – arbeiten musste, kann ich die Frage auch nicht fachkompetent beant­worten, sondern nur darüber spekulieren, wie es mir persönlich erginge, wenn ich z. B. als Beamter an einem Gymnasium arbeiten würde. Und diesbezüglich vermute ich, dass ich mich zu sehr von äußeren Vorgaben, die mich nicht überzeugen, z. B. Lehrplan, vorgeschriebene Anzahl an Klassenarbeiten, Bedeutung der Noten usw., eingeschränkt fühlen würde. Abgesehen davon überzeugt mich auch nicht die Art, wie die Lehrpläne für sogenannte Regelschulen festgelegt werden. Was da drinsteht, erscheint mir doch sehr oft von kontingenten Faktoren bestimmt.

News4teachers: Einige Kritiker*innen werfen der Waldorfpädagogik vor, dass sie zu esoterisch sei. Was würden Sie einer solchen Kritik entgegnen?

Sebastian Großkreutz: DIE Waldorfpädagogik gibt es nicht. Es gibt diverse Schulen, die sich nach waldorf­pädagogischen Prinzipien richten, mit mehr oder weniger Erfolg. Zu bestreiten, dass es an diesen nicht auch Lehrer*innen geben könnte, die Aussagen von Rudolf Steiner oder zumindest solche, die sie dafür halten, so anwenden, dass man das als esoterisch bezeichnen kann, wäre wohl vermessen, zumal ich nicht jede*n Waldorflehrer*in auf der Welt kenne. In dem Bereich an unserer Schule, wo ich arbeite, ist mir das, was ich unter Esoterik verstehe, aber noch nie untergekommen bzw. nicht in dem Ausmaß, dass es für mich irgendeine ernstzunehmende negative Relevanz hat. Hierbei stellt sich auch noch noch die Frage, was man unter „Esoterik“ versteht. Manche würde schon die Vorstellung als esoterisch bezeichnen, dass der Zusammenhang von Worten bzw. Buchstaben und Begriffen nicht – wie es die Strukturalisten betrachten – zufällig sein soll. In der Eurythmie oder in der waldorfpädagogischen Sprachlehre (zumindest in der Unterstufe) sieht man das aber so. Von mir aus kann man diese Ansicht gerne als esoterisch ansehen, wenn man es möchte. Trotzdem erscheint mir diese Vorstel­lung pädagogisch nicht als problematisch.

News4teachers: Wie sieht es mit sehr leistungsbereiten Schüler*innen und Hochbegabten aus? Kön­nen diese an einer Waldorfschule eine für ihre Bedürfnisse optimale Förderung erhal­ten?

Sebastian Großkreutz: Auch diesbezüglich habe ich zu wenig Kenntnisse, weil ich die sehr leistungsbereiten Schüler*innen ja nur an unserer Schule und nicht an anderen unterrichten durfte. Hin­sichtlich meiner Unterrichte kann ich aber behaupten, dass ich mich schon allein des­halb sehr bemühe, diese Schüler*innen ins Boot zu holen, weil es mir große Freude bereitet, am Intellekt von jungen Menschen teilzuhaben. Dafür gibt es in meinen Fä­chern zahlreiche Möglichkeiten, nicht nur im Unterricht, sondern auch durch Empfeh­lungen hinsichtlich Büchern, Filmen und Veranstaltungen, die nicht direkt den Unter­richt betreffen, sondern worüber man dann auch in der Pause oder nach dem Unter­richt reden kann. Dieser sehr effektiven Art der Förderung wird leider wenig Beach­tung geschenkt, da man sie nicht im Lehrplan verankern kann, sondern weil sie von der individuellen seelischen Produktivität des*der Lehrers*in abhängt. Nina Odenius führte das Interview.

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