Themenwochen Privatschulen: „Wir stellen uns der Kritik“ – Wie (offen) der Bund der Freien Waldorfschulen auf Vorwürfe reagiert

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BERLIN. Waldorf ist ein Phänomen: Auf der einen Seite sind die Schulen der über 100 Jahre alten Reformbewegung beliebt wie nie – auf der anderen prasseln immer wieder Vorwürfe auf die Einrichtungen ein, unlängst öffentlichkeitswirksam in der Sendung des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann (News4teachers berichtete). Wie geht der Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS), der in Deutschland über 250 Schulen sowie 37 Seminare/Hochschulen zur Aus- und Weiterbildung von Waldorflehrkräften vertritt, damit um? Wir sprachen darüber mit Nele Auschra, Vorstandsmitglied und Sprecherin des Verbands. 

Die Sinne von Kindern anzusprechen, das gehört zum Konzept von Waldorf (und wird mit Materialien wie diesem Holz-Regenbogen gefördert). Foto: Shutterstock

News4teachers: Das ZDF-Magazin Royale von Jan Böhmermann hat der Waldorf-Bewegung zuletzt arg zugesetzt – mit einer Sendung, die mit Vorwürfen gespickt war. Was haben Sie für Reaktionen darauf erhalten, von außen, aber auch von den eigenen Einrichtungen?

Auschra: Thema im ZDF-Magazin Royale zu sein, ist ein Ausnahmephänomen. Wir von der Öffentlichkeitsarbeit des Dachverbands der Waldorf- und Rudolf-Steiner-Schulen in Deutschland, dem „Bund der Freien Waldorfschulen“ (BdFWS), haben die Sendung aufmerksam verfolgt und umgehend ein Statement dazu verfasst. Die Sendung war mit zahlreichen Klischees gespickt, bot aber auch Einblicke und Details, bei denen mir das Lachen im Hals stecken blieb. Ich will hier nichts schönreden oder abwehren – wir stellen uns der Kritik und sind schon seit einiger Zeit dabei, mit unterschiedlichen Methoden unsere Schulen, Ausbildung und Pädagogik zu durchleuchten und auf den Prüfstand zu stellen. Dass wir dies tun, war uns wichtig zu kommunizieren. Mit komplexen Themen und unseren Aktivitäten, sei es zur Gewaltprävention, zur pädagogischen Forschungsarbeit oder zur Aufarbeitung von kruden Aktivitäten in der Coronazeit, lässt sich jedoch keine pointierte Story kreieren.

Die Empörung in den eigenen Reihen hielt sich in Grenzen. Im Gegenteil, die Sendung bot Anlass für Schüler:innen, sich auf den Social Media Kanälen zu äußern, zu diskutieren und ihre Perspektiven und Erfahrungen zu teilen. Wir haben Beispiele, dass die Sendung sehr kreativ genutzt wurde, u.a. für die Bearbeitung des Themas Satire im Deutschunterricht. Und es gab an mich und einzelne Schulen von Redaktionen Anfragen, die fundierter über Waldorfschulen auch jenseits der in der Sendung bedienten Vorurteile und Klischees berichten wollten und wollen.

Quereinstieg Oberstufe an Waldorfschulen

Mit den Quereinsteigerprogrammen für Oberstufenlehrer:innen am Seminar Kassel kann ein vorhandener fachlicher akademischer Abschluss für die Unterrichtstätigkeit ausgebaut werden. Teilnehmende werden dort in 13 Intensivwochen fachdidaktisch für die Schule fit gemacht. Im Anschluss haben Sie die Möglichkeit den innovativen Lernort Waldorfschule mitzugestalten.

Waldorfschulen erreichen mit ihrem Epochenunterricht beides: Fachliche Vertiefung und Begeisterung. Dort arbeiten über drei bis vier Wochen Lernende und Lehrende täglich eine Doppelstunde im jeweiligen Fach gemeinsam. In fast allen Schulen im Bund der Freien Waldorfschulen in Deutschland können die staatlichen Abschlüsse bis zum Abitur erworben werden.

Quereinstieg Fachlehrer:innen an Waldorfschulen – Fortbildung Intensivkurs Oberstufe

  • Mit 25 Wochen Unterrichtspraxis und 13 Wochen seminaristischer Kursphasen durchlaufen die Studierenden schulnahe fachliche und didaktische Bildungsprozesse innerhalb eines Studienjahres.
  • Förderung mit Bildungsgutschein (Arbeitsagentur) möglich.
  • Auf Wunsch können die Lehrveranstaltungen in einen Masterstudiengang Pädagogik mit Abschluss Master of Arts an der Alanus Hochschule Alfter integriert werden.
  • Die Ausbildung kann auch berufsbegleitend über zwei Jahre erfolgen (Blockstudium Oberstufe).

Zugangsvoraussetzungen: Hochschulabschluss (Staatsexamen, Magister, Master, Diplom) in mindestens einem der Fächer Literaturwissenschaft, Geschichte, Kunstgeschichte, Biologie, Chemie, Geographie, Physik, Mathematik

Kontakt: Lehrerseminar für Waldorfpädagogik, Studienbüro: ammer@lehrerseminar-forschung.de, Tel.: 0561 207 5680

www.lehrerseminar-forschung.de

News4teachers: In der Sendung wurde dargestellt, dass die Ausbildung zur Waldorf-Lehrkraft esoterisch geprägt sei. An Ausbildungsinstituten der Waldorfpädagogik werde vermittelt, mit „Engeln zusammen zu arbeiten“, die Seele des Kindes „zu sehen“ oder aus dem Verhältnis von Kopf zu Rumpf Schlussfolgerungen über das sogenannte Temperament eines Kindes zu ziehen – wie Modulhandbüchern und Seminarbeschreibungen zu entnehmen sei. Was steckt dahinter?

Auschra: Mir zeigen solche Vereinfachungen, dass einige Grundlagen der Waldorfpädagogik sehr erklärungsbedürftig sind, und es noch nicht gelungen ist, hier eine einheitliche, dem heutigen Gebrauch adäquate Sprache zu finden. Nehmen wir zum Beispiel den Begriff Engel. Er ist uns aus vielen Religionen bekannt und begleitet uns seit Jahrhunderten auch in der Kunst und Kulturgeschichte ist dies ein bedeutendes Thema, nicht nur in Europa und der jüdisch-christlichen Tradition. So wird ganz alltäglich über „Schutzengel“ gesprochen; oder Menschen haben das Gefühl, von „unsichtbarer Hand“ in einer Entscheidung oder krisenhaften Situation geleitet worden zu sein. Der Engel kann als Bild dafür genommen werden, dass der Mensch nicht nur als materielles Wesen existiert.

Das Menschenbild der Waldorfpädagogik sieht in jedem Menschen eine Individualität, die nicht als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt, nach dem Tod ausgelöscht wird und ausschließlich durch Vererbung und Umwelt geprägt ist. Insoweit wird die Frage nach der einer Welt jenseits der materiellen offen gehalten. Wenn man also davon ausgeht, dass diese Individualität existiert, dass jeder Mensch ganz eigene Fähigkeiten und Möglichkeiten mitbringt, die es zu fördern gilt, dann kann dieses Engel-Bild herangezogen werden bzw. die Frage gestellt werden, ob man mit „den Engeln zusammenarbeiten“ könne, um dem jungen Menschen bestmöglich bei seiner Entfaltung zu helfen. Und genau so, nämlich als Frage, ist das Thema in der von Böhmermann und Co herangezogenen Quelle formuliert (es handelte sich dabei um eine Unterrichtseinheit an einem berufsbegleitenden Seminar für Waldorfpädagogik).

Es geht nicht darum, dass solche Überlegungen als Fakten vermittelt werden, oder Lehrer:innen die Seele des Kindes sehen sollen, geschweige denn aus der Kopf- oder Rumpfform persönlichkeitspsychologische Merkmale erkennen sollen, sondern es geht darum, Lehrer:innenhandwerkszeug wie Empathie und Einfühlungsvermögen zu üben, sowie eine gewisse Ehrfurcht vor dem jungen Menschen mit dem wir es in der Schule zu tun haben. Letztlich ringt in diesen Dingen die Waldorfpädagogik mit der großen, und zum Glück nie vollständig zu beantwortenden Frage: Was ist der Mensch?

News4teachers: Ein weiterer Vorwurf: Für einige Lehrkräfte von Waldorf-Einrichtungen sei die Ausbildung an einer anthroposophischen Hochschule nicht nur eine Zusatzausbildung, sondern die einzige pädagogische und fachliche Ausbildung, die sie hätten. Ist das so richtig?

„Wir vermitteln Kindern und Jugendlichen Zukunftskompetenzen für ein gelingendes Leben in einer sich ständig wandelnden Welt, wo Wissen recherchierbar ist und in hohem Maß kreative Flexibilität und Agilität gefordert wird“

Auschra: Das stimmt so nicht. Fakt ist, dass Lehrer:innen an Waldorfschulen durch die jeweilige Aufsichtsbehörde des Bundeslandes genehmigt werden müssen. Der Genehmigung liegen je nach Bundesland unterschiedliche Kriterien zugrunde, anhand derer die im Art. 7 des Grundgesetzes geforderte Gleichwertigkeit der Ausbildung anerkannt wird. Lehrkräfte an Waldorfschulen haben also entweder eine staatliche Lehrbefähigung oder eine durch einen staatlich akkreditierten Studiengang erworbene Waldorf-Lehrbefähigung (MA Waldorfpädagogik). Als Quereinsteiger haben sie einen fachlichen (Hochschul-)Abschluss plus einer pädagogischen Weiterbildung. Letztere kann berufsbegleitend oder in Vollzeit an Waldorfpädagogik-Seminaren erworben werden, die alle Mitglied im BdFWS sein müssen, um anerkannt zu sein. Natürlich erbitten wir auch von staatlich ausgebildeten Lehrkräften eine waldorfpädagogische Zusatzqualifikation.

News4teachers: Wie gehen Sie mit der historischen Person Rudolf Steiners um? Ein Vorwurf lautet ja: In der Waldorf-Bewegung werde Steiners Lehre – die auch rassistische Passagen enthält – unreflektiert als eine Art Heilslehre betrachtet… Gibt es denn genug kritische Distanz und Aufarbeitung der Person Steiners in der Waldorfbewegung?

Auschra: Da würde ich gerne als erstes klarstellen, dass Anthroposophie keine Lehre ist und auch kein Unterrichtsthema. Sie will vielmehr Anregung zur persönlichen Weiterentwicklung der Lehrpersonen geben. Die Aufmerksamkeit und das Interesse auf Phänomene jenseits der materiellen Welt zu lenken und die seelisch-geistigen Zusammenhänge in die Betrachtung der Welt mit einzubeziehen ist ein wichtiges Element hierbei. Einige Grundlagenwerke Rudolf Steiners behandeln zutiefst philosophisch die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis! Andere beschäftigen sich mit menschenkundlichen Aspekten, die helfen können, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung besser zu verstehen. Insgesamt wird in den Schriften und Vorträgen die Frage nach der Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen behandelt. Eine nach wie vor aktuelle und heute – siehe die Entwicklungen in dem Bereich der Künstlichen Intelligenz – entscheidende Frage.

An unseren Ausbildungsstätten wünschen wir uns eine kritische und zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem Werk Steiners und den Konsequenzen, die aus anthroposophischen Betrachtungen für die pädagogische Praxis heute gezogen werden können. Seit über 20 Jahren stehen unsere Hochschulen dazu in Austausch mit erziehungswissenschaftlichen Institutionen.

An unseren Verband ist eine pädagogische Forschungsstelle angegliedert. In zahlreichen Projekten werden Unterrichtsinhalte, Didaktik und Methodik empirisch beforscht, Materialien für die Praxis entwickelt und ganze Lehrplanabschnitte immer wieder angepasst und modernisiert – zurzeit geschieht dies z. B. mit dem Rahmenlehrplan für den Geschichtsunterricht in der Mittelstufe.

Ich spreche mich zusammen mit meinen Vorstandskolleg:innen klar dafür aus, Steiner als historische Person zu sehen und sein Werk würdigend, aber dennoch kritisch-historisch einzuordnen. Das ist notwendig, um seine wenigen – aber eben vorhandenen – rassistisch diskriminierenden Äußerungen einzuordnen und sich klar davon zu distanzieren, ohne seinen zutiefst humanistischen Standpunkt aus dem Blick zu verlieren, der sein Werk durchzieht. Der Kern der Steinerschen Sichtweise ist immer das Individuum, jenseits aller Gruppen oder Nationen.

In diesem Sinne arbeitet auch die Redaktion der vom BdFWS herausgegebenen „Erziehungskunst“, einer pädagogischen Zeitschrift für Eltern. Und unsere Tagungen für und von Lehrer:innen, Eltern und Schüler:innen thematisieren diese Auseinandersetzung in einem offenen Diskurs.

News4teachers: Das Thema Rassismus ist für Waldorf auch deshalb heikel, weil manche Einrichtungen offenbar von rechtsextremen Gruppen unterwandert wurden, wie der Bund der Freien Waldorfschulen selbst schon früher eingeräumt hat. Zuletzt gab es solche Vorwürfe auch im Zusammenhang mit der Coronaleugner-Szene. Wie gehen Sie damit um?

Auschra: Richtiggehend unterwandert wurden Waldorfschulen bislang nicht. Aber es gibt immer wieder Fälle, dass einzelne Menschen (Lehrkräfte, Mitarbeiter:innen oder Eltern) antidemokratisches Gedankengut vertreten. Dies geschieht in den meisten Fällen verdeckt. In einer weitgefassten internen Kommunikations- und Aufklärungskampagne haben wir – beginnend 2015 – Informationsmaterialien erstellt, führen Veranstaltungen und Vorträge zum Thema durch und kooperieren mit entsprechenden Anlaufstellen, um die Schulgemeinschaften für diese Thematiken zu sensibilisieren.

Im Vergleich zu staatlichen Schulen besteht bei Schulen in freier Trägerschaft die Möglichkeit, dass Menschen mit solchen, meist nicht offen kommunizierten Haltungen, verantwortliche Positionen einnehmen. Letztlich stehen dann vereins- oder arbeitsrechtliche Fragen im Raum, die die Schulverantwortlichen (Gremien aus Lehrkräften und Eltern) dann als Schulträger selbst lösen müssen. Der Dachverband bietet dabei Unterstützung, kann jedoch nicht der Akteur sein. Weshalb uns als letztes Mittel bleibt, bei offensichtlichem Fehlverhalten eines Schulträgers ein Verfahren zum Ausschluss aus dem Verband einzuleiten.

News4teachers: Ein weiterer Vorwurf lautet: Übergriffe durch Lehrkräfte seien an Waldorfschulen teils über Jahre unentdeckt geblieben. Wird Gewalt an Waldorf-Einrichtungen vertuscht?

Auschra: Wann immer in sozialen Gemeinschaften ein Machtgefälle existiert – und dazu gehören selbstverständlich alle Schulen oder auch Kindergärten – besteht die Gefahr, dass missbräuchliches Verhalten aufkommt. Dadurch wird Vertrauen massiv geschädigt, es können auch bei nur mittelbar Beteiligten extreme Emotionen aufkommen und diese bedrohen jede Gemeinschaft. Ich bezweifle, dass in solch einer Situation eine Waldorf-Einrichtung anders reagiert als andere Einrichtungen. Wir glauben daher, dass es absolut nötig ist, dass in jeder Einrichtung ganz klare Richtlinien vorliegen, wie in einem Verdachtsfall zu reagieren ist.

Seit letztem Jahr muss jede Waldorfschule ein Schutzkonzept zur Gewaltprävention erarbeitet haben. Wir begleiten unsere Mitglieder engmaschig mit Materialien, Foren und Eins-zu-eins-Betreuung. Außerdem haben wir eine Anlaufstelle eingerichtet. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass in den meisten Fällen inzwischen sehr professionell mit Verdachtsmomenten umgegangen wird. Vertuschung sollte nicht mehr möglich sein, in einem standardisierten und transparenten Verfahren ist für alle Beteiligten Aufklärung und Aufarbeitung gesichert.

„Natürlich vermitteln Lehrkräfte an unseren Schulen den gleichen Lernstoff wie andere Schulen, da am Ende für unsere Schüler:innen ein ganz normaler staatlicher Schulabschluss steht“

News4teachers: Trotz solcher Berichterstattung wie der von Böhmermann: Waldorf ist als pädagogische Bewegung höchst erfolgreich. Ihre Einrichtungen haben keine Probleme, genügend Schülerinnen und Schüler zu bekommen. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür?

Auschra: Zuletzt hat eine Untersuchung ergeben, dass 85 % der Menschen in Deutschland glauben, dass Schulen nicht gut auf das Leben vorbereiten. Genau das ist ja das Kernanliegen der Waldorfpädagogik: jedem Kind die Entfaltung seiner Potenziale zu ermöglichen. Eigenschaften wie Kreativität, sozialer und ökologisch bewusster Umgang mit Umwelt und Mitmenschen, Selbstständigkeit und Handlungskompetenz werden daher intensiv gefördert. Wir vermitteln Kindern und Jugendlichen Zukunftskompetenzen für ein gelingendes Leben in einer sich ständig wandelnden Welt, wo Wissen recherchierbar ist und in hohem Maß kreative Flexibilität und Agilität gefordert wird. Dieses Kernanliegen scheint Eltern bei der Schulwahl für ihre Kinder mehr denn je zu überzeugen.

News4teachers: Privatschulen – ein Vorwurf, der nicht nur Waldorf trifft – tragen angeblich zur Segregation der Gesellschaft bei, weil sozial starke Familien dort unter sich bleiben. Was entgegnet Sie dem?

Auschra: Zunächst sollte man in dem Zusammenhang die zahlreichen Studien berücksichtigen, die dem gesamten deutschen Schulwesen eine Segregation nach Einkommen und Bildung der Eltern vorwerfen, da es zu früh und nach oft eher subjektiven Kriterien in Schulformen separiert. Gleichwohl sollten wir an dieser Stelle ehrlich feststellen, dass Schulen in freier Trägerschaft, die nicht auskömmlich vom Staat finanziert werden und deshalb in der Regel von den Eltern einen Beitrag zum Schulbetrieb einfordern müssen, nicht den Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Genauso wenig wie beispielsweise ein Gymnasium.

Bei Waldorfschulen kommt hinzu, dass die Pädagogik von der Norm abweicht, Eltern also genau dies für ihr Kind wollen müssen. So wissen wir aufgrund einer in den 2010er Jahren durchgeführten Studie unter Waldorfeltern in Deutschland, dass sie zwar überdurchschnittlich gebildet sind, jedoch nach Einkommen betrachtet durchaus dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechen. Selbst wenn freie Schulen also öffentlich auskömmlich refinanziert würden, was eine unserer Forderungen ist, würde die Waldorfschule vermutlich leider immer noch nicht eine Schule für alle sein – was ihre ursprüngliche Intention war. Uns ist dies bewusst, und so gibt es auch einige sozial-integrative, interkulturelle Ansätze an Waldorfschulen – zum Beispiel in Mannheim, Leipzig, Berlin, Hamburg – und entsprechend aufbereitetes pädagogisches Material.

News4teachers: Den Lehrkräftemangel bekommen Sie allerdings ebenfalls zu spüren. Auch Waldorf-Schulen suchen Lehrerinnen und Lehrer. Warum sollte sich eine Lehrkraft dafür entscheiden, an einer Waldorfschule zu arbeiten – und nicht an einer staatlichen?

Auschra: Ich habe vorhin von unserem Kernanliegen gesprochen. Natürlich vermitteln Lehrkräfte an unseren Schulen den gleichen Lernstoff wie andere Schulen, da am Ende für unsere Schüler:innen ein ganz normaler staatlicher Schulabschluss steht. Sie haben aber auch die Chance, aufgrund unseres weit gefassten und gleichzeitig in die Tiefe gehenden Rahmenlehrplans situativ mit ihrer Klasse zu arbeiten.

Themen können vertieft vermittelt oder im Laufe des Schuljahres Querverbindungen zwischen den Hauptfächern hergestellt werden: In den Klassen 1 bis 6 oder bis 8 unterrichtet eine Lehrkraft alle Hauptfächer, jeweils in etwa dreiwöchigen Epochen jeden Tag 2 Stunden. Dazu kommen Fächer und Praktika, die es an anderen Schulen in der Regel nicht gibt: Gartenbau, Vermessungspraktikum, Landbau- und Forstwirtschaftspraktikum, Sozial- und Handwerkspraktikum. Außerdem sehr viele künstlerisch-handwerkliche Angebote, die auch in den täglichen Epochenunterricht integriert sein können – künstlerisch den Unterricht zu gestalten in dem Sinne, dass man sich als sich ebenfalls entwickelnde und lernende Person in den Prozess mit seinen Schüler:innen begeben kann – das sind Pluspunkte, die für eine Tätigkeit an einer Waldorfschule sprechen. Übrigens auch die Möglichkeit, ein familienfreundliches Teilzeit-Arbeitsverhältnis zu vereinbaren. Andrej Priboschek, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.

Themenwochen Privatschulen auf News4teachers: Nutzen Sie die Bühne, um Lehrkräfte für sich zu gewinnen

 

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Carsten60
11 Monate zuvor

Kann man wirklich die Waldorfschulen nicht irgendwie halbwegs objektiv beurteilen, ohne sich auf die Aussagen von Waldorf-Lobbyisten berufen zu müssen? Wozu haben wir eigentlich eine gut ausgebaute Bildungswissenschaft? Zumindest Umfragen unter Waldorf-Eltern sollten doch möglich sein, vielleicht auch Tests an Waldorf-Schülern. Die kath. Kirche beurteilt man doch auch nicht nach dem, was die Herren Kardinäle sagen.

Achin
11 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Liebe Redaktion,

bei aller Wertschätzung Ihrer Einwürfe und Antworten in anderen Kommentardiskussionen gegenüber Kolleg*innen, die ins Populistische driften:

Der von Ihnen oben genannten Studie fehlt der Bezug zu sozialen Vergleichsgruppen, in Waldorf-Schulen bleibt ein bestimmtes soziales Millieu weitgehend unter sich, wie ein anderes Qualitätsmedium in einem differenzierten Beitrag unlängst hervorhob:

https://www.deutschlandfunk.de/erste-waldorfschule-lehrer-als-eine-art-priester-des-wissens-100.html

Die Waldorf-Schulen sehen sich in ihrer Selbstdarstellung als ‚für alle“ offen an, da würde ich den dortigen Schulalltag gerne mit Kindern und Jugendlichen sehen, die tatsächlich repräsentativ für die bundesdeutsche Gesellschaft stehen.

Küstenfuchs
11 Monate zuvor
Antwortet  Achin

Da kann ich nur zustimmen! Die zwei Waldorfschulen in meinem Umfeld haben beispielsweise nicht einmal ansatzweise den Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und nicht deutschsprachigem Elternhaus wie Regelschulen, wobei ich in dieser Frage ausdrücklich die Gymnasien mit einschließe.

L.M.
11 Monate zuvor
Antwortet  Carsten60

Nach meiner Erfahrung ist das Thema “ Waldorfschule “ weder schwarz noch weiß. Es gibt gute Schulen, gute Lehrkräfte, guten Unterricht und natürlich gibt es auf der anderen Seite an (Waldorf-)Schulen kleine oder größere Probleme. Darin unterscheidet sich Waldorf nicht von anderen Schulformen.
Wirkliche Einblicke erhält man nur vor Ort.

Beli
11 Monate zuvor

„Das Menschenbild der Waldorfpädagogik sieht in jedem Menschen eine Individualität, die nicht als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt, nach dem Tod ausgelöscht wird und ausschließlich durch Vererbung und Umwelt geprägt ist. Insoweit wird die Frage nach der einer Welt jenseits der materiellen offen gehalten.“

Wieso offen gehalten? Ist doch klar beantwortet…

„Das ist notwendig, um seine wenigen – aber eben vorhandenen – rassistisch diskriminierenden Äußerungen einzuordnen und sich klar davon zu distanzieren, ohne seinen zutiefst humanistischen Standpunkt aus dem Blick zu verlieren…“

Wie passt rassistische Diskriminierung mit einem zutiefst humanistischen Standpunkt zusammen?

„Lehrkräfte an Waldorfschulen haben also entweder eine staatliche Lehrbefähigung oder eine durch einen staatlich akkreditierten Studiengang erworbene Waldorf-Lehrbefähigung (MA Waldorfpädagogik).“

Auf die Frage, ob einige Lehrkräfte womöglich ausschließlich eine (fachliche und pädagogische) Ausbildung an einer anthroposophischen Hochschule hätten…

Dies nur beispielhaft. Unfassbar, dass ich mit meinen Steuergeldern eine solche Veranstaltung mitfinanzieren muss.

Hannes
11 Monate zuvor
Antwortet  Beli

Es gibt viele „Veranstaltungen“, die ich (und alle anderen) als Steuerzahler mitfinanziere, ohne sie gut oder wichtig zu finden. Sonst gäbe es kein Gemeinwesen. Würden Schüler der in Schulen in freier Trägerschaft abgeschafft, wären die Schulplätze übrigens rund 50% teurer und die Bildungslandschaft ärmer.
Das Schulgeld ist (trotz Staffelung nach Einkommen) übrigens ein Grund, wieso der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund relativ gering ist. (von Ausnahmen wie den interkulturellen Schulen abgesehen.)

Warum gibt es eigentlich verschiedene Parteien, die ja auch aus dem staatl. Topf Geld erhalten? Wäre eine Einheitspartei mit der einzig wahren Meinung nicht viel besser? 🙂

Die Mehrheit der Bevölkerung beantwortet obige Frage anders als Sie (https://www.pro-medienmagazin.de/deutschland-jeder-dritte-nicht-religioes/ ), lassen Sie es doch einfach als Möglichkeit gelten.

Gregor Haustein
11 Monate zuvor
Antwortet  Beli

Die Empörung „unfassbar“ kann nur jemand schreiben, der weder das staatliche noch das Waldorf-Schulsystem kennt und überblickt! (Schon eher unfassbar ist die Mitfinanzierung der großen Kirchen in BRD und andere Privileg-Systeme!)
Empfehlenswert ist der Besuch von „Monatsfeiern“ Freier Waldorfschulen, meist an Samstagen! Erst gründliches Beobachten, dann pauschale Aburteilungen wäre empfehelenswert.

Küstenfuchs
11 Monate zuvor

So wirklich werden viele Vorwürfe eben nicht entkräftet bzw. es wird mit vielen Worten Nebelkerzen gezündet. Wenn ein Rassist wie Steiner weiter Grundlage für Waldorfpädagogik ist, weil es gilt „seinen zutiefst humanistischen Standpunkt aus dem Blick“ zu würdigen, dann bleibt das Problem: Wie kann man grundsätzlich der Pädagogik eines Rassisten folgen? Das ist für mich ein kompletter und unauflösbarer Widerspruch.
Dazu wird die Sache mit den Engeln einfach mit vielen Worten vernebelt. Der Hinweis auf den Sprachgebrauch des „Schutzengels“ ist eine Nebelkerze und stellt sich bei genauerer Betrachtung als dummes Zeug heraus.

Und wenn die Gute ehrlich wäre, dann würde sie sehen, dass die Eltern ihre Kinder zu einem großen Teil aus einem einzigen Grund dort anmelden: Weil sie Angst vor Noten und einem gewissen Leistungsanspruch haben. In nahezu allen Fällen zwar völlig unbegründet, aber es ist halt wie mit der bösen, bösen Schulmedizin, wenn doch Heilpraktiker alles viel sanfter machen.

Nach einem Vorwurf von Böhmermann wird leider überhaupt nicht gefragt: Die Abhängigkeit von einer Klassenlehrkraft und die Einteilung in völlig dubiose, esoterische Persönlichkeitscluster.

L.M.
11 Monate zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Anthroposophie und Rechtsextremismus? Zum Verhalten der Waldorfschulen im »Dritten Reich«
https://www.erziehungskunst.de/artikel/anthroposophie-und-rechtsextremismus-zum-verhalten-der-waldorfschulen-im-dritten-reich/
Waldorfschulen gegen Rassismus und Diskriminierung
https://www.waldorfschule.de/ueber-uns/printmedien/broschueren/erklaerungen/stuttgarter-erklaerung/

Mein Eindruck, viele Waldorf-Eltern möchten ihre Kinder ganz einfach vor den Problemen an staatlichen Schulen bewahren. Digitalisierung, Smartphones, Mobbing, Leistungsdruck, um nur einige zu nennen.

Indra Rupp
11 Monate zuvor
Antwortet  L.M.

Viele Waldorf Eltern meckern in ihrer Schule rum, weil ihnen der fehlende Leistungsdruck gar nicht passt und sie auch gar nicht wegen dem Konzept dort sind, sondern weil sie was besseres sein wollen und eine Schule ohne den „Pöbel“ haben wollen.
Im Bezug auf Rassismus wird immer wieder die Karte gezogen, dass diese Schulen in der Nazi Zeit verboten waren. Das ist im Nachhinein also äußerst praktisch, hat aber nichts damit zu tun, dass die Schulen „Anti-Nazi“ waren, sondern damit, dass die Schulen grundsätzlich anders und vor allem „Anti-Drill „waren.
Mir fällt zwar das andere Beispiel nicht ein, aber die Waldorfschule ist nicht die einzige Einrichtung, die bei entsprechender Kritik mit dem Argument kommt, in der NS – Zeit verboten gewesen zu sein.

L.M.
11 Monate zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Während der NS -Zeit hatten bekanntlich alle dem Nationalsozialismus zu dienen. Dannach distanzierte man sich von der früheren Meinung.

Die Eltern wünschen sich oftmals einfach etwas „besseres“ als eine (schlechte) staatliche Schule für ihre Kinder, ja. Sie wollen ihren Kindern etwas gutes. Vielen wird erst durch eigenes Erleben bewusst, dass auch an Waldorfschulen Probleme autreten.

Carsten60
11 Monate zuvor
Antwortet  L.M.

Soweit ich weiß, wurden Waldorfschulen in Nazi-Deutschland schließlich verboten, obwohl man versuchte, sich mit Rassen-Sprüchen etwas anzubiedern und obwohl die Waldorfschulen keine Bedrohung darstellten. Irgendwie passten beide Ideologien überhaupt nicht zusammen.

Achin
11 Monate zuvor
Antwortet  L.M.

Sehr geehrte*r L.M.,
schade, dass Ihre Belegquellen zu den offiziellen Seiten dieser Bewegung führen, Qualitätsmedien und historische Untersuchungen zeichnen ein etwas vielschichtigeres Bild.

Eine gewisse Anschlussfähigkeit lässt sich nur schwer leugnen, die Ablehnung der Moderne, die Verklärung des Landlebens (einhergehend mit einer ausgeprägten Antiurbanität), die Betonung einer umrissen Gemeinschaft (als Abgrenzung zur Gesellschaft) oder die ins religiöse driftende Veehrung einzelner Heldengestalten.

L.M.
11 Monate zuvor
Antwortet  Achin

Natürlich gab es eine gewisse Anschlussfähigkeit, der nationale Sozialismus hat sich doch als Sammelbecken für allerhand damals populärer Sichtweisen präsentiert, wie sich ja in den Wahlergebnissen zeigte.

Das Publikum auf den Waldorf-Schulen von heute empfinde ich als bürgerlich bis alternativ. Jedenfalls ist eine „Nazi“-Keule fehl am Platze.
Wie in anderen Reformschulen ist und war ein Motiv bspw. die Integration von Kindern, die an staatlichen Schulen nicht zurechtkommen. Stichwort Camphill.

Das Thema Gemeinschaft ist ein positiver Aspekt, schön besonders für Kinder im Grundschulalter. Die oft genannte Fixierung auf eine Lehrkraft hingegen problematisch, da erlebe ich des Öfteren eine hausgemachte Überforderung.

A. J Weidenhammer
11 Monate zuvor
Antwortet  L.M.

Nicht zu vergessen: vor eventuell problematischen, Verzeihung, originellem Mitschülerklientel.

Johann F.
11 Monate zuvor

Wie man es auch dreht und wendet, das Werk von Rudolf Steiner enthält rassistische Ausfälle, zudem entwickelte er explizit eine „Rassenlehre“, er selbst sah sich als Auserwählter, der mit „Hellseherorganen“ (!) ausgestattet war. Sowohl seine Menschen in Gruppen einteilende „Temperamentenlehre“ oder die Vorstellung der „Jahrsiebte“ der humanen Entwicklung sind zentrale Pfeiler der Waldorf-Pädagogik. Beide Ideen sind wissenschaftlich längst widerlegt.

Warum grenzen sich die Waldorf-Schulen nicht endlich eindeutig von einer solchen Person ab? Mit vollem Recht werden heute Namen von Bildungseinrichtungen, Abi-Lektüren oder Politiker-Äußerungen kritisch hinterfragt, auch in diesem Bildungsmagazin. Warum geschieht dies nicht mit den zahlreichen Rudolf-Steiner-Schulen oder Rudolf-Steiner-Kindergärten?

Dieser Mann zitiert das sog. N-Wort nicht nur oder verwendet es im künsterlichen Kontext, nein, er bezeichnet Menschen wegen ihrer Hautfarbe so, in eindeutig diskriminierender Absicht. Ich möchte diese hier nicht aufzählen, in wenigen Sekunden sind Beispiele im Internet auffindbar

Eine zeitgemäße Pädagogik benötigt schlicht keinen Personenkult.