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Schülern Palästinensertücher verbieten? “Das ist eine Einladung zur Provokation”

BERLIN. Sanktionen und Verbote sind nach Einschätzung der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus keine ausreichende Reaktion auf Judenhass und Israelfeindlichkeit – auch in der Schule nicht. «Antisemitismus wurde lange ignoriert. Man hat das Thema köcheln lassen», sagte der Vorsitzende der Initiative, Dervis Hizarci. «Jetzt kocht es über, und dann heißt es, schnell den Deckel drauf. Aber wenn man den Deckel drauf macht, fliegt dir der Topf um die Ohren.» Prävention sei weiterhin das A und O. Die Bildungsverwaltung meint hingegen, dass Schulen die aufgezeigten Verbotsmöglichkeiten nutzen.

Palästinensertücher dürfen in Berliner Schulen seit vergangener Woche verboten werden – auch wenn sie lockerer als auf dem Foto getragen werden (Symbolbild). Foto: Shutterstock

«Aber sie gelingt nicht allein mit Sanktionen. Sie gelingt vor allem mit offenem und ehrlichem Austausch», sagte Hizarci, der sich seit vielen Jahren gegen Antisemitismus engagiert und 2021 das Bundesverdienstkreuz erhalten hat. Ganz klare antisemitische oder israelfeindliche Äußerungen etwa in der Schule müsse man unterbinden.
«Dann muss man die Jugendlichen, die sich so äußern, zu sich holen und mit ihnen sprechen, gegebenenfalls auch mit den Eltern», sagte Hizarci. «Und zweitens nutzt man einen solchen Vorfall als Anlass, um in der Klasse über den Nahostkonflikt zu sprechen – und hört sich dabei unterschiedliche Perspektiven an.»

Hizarci befürchtet, dass sich die Situation vor dem Hintergrund des Kriegs zwischen Israel und der islamistischen Hamas weiter verschärft. «Es hat dieses Mal eine andere Qualität. Die, die Antisemitismus in sich schlummern hatten, sind jetzt bereiter, ihn zu zeigen. Bei anderen, bei denen er schon sichtbar war, wird er sich noch verstärken.»

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«Sanktionen und Verbote allein sind meiner Meinung nach eine hilflose Aktion und kein wirklich zielführendes Angehen der Ursachen»

Die Aufmerksamkeit für das Thema werde abebben. «Aber das Problem wird bleiben und sich noch mehr bemerkbar machen als in der Vergangenheit. Und wir haben noch nicht den richtigen Umgang damit gefunden», so der ausgebildete Lehrer und ehemalige Antidiskriminierungsbeauftragte des Berliner Senats.

«Die Standardreaktion “Wir verurteilen Antisemitismus und sind auf der Seite Israels” ist nicht ausreichend, weil sowohl die Brutalität der Hamas als auch die Reaktionen hierzulande eine andere Qualität haben», sagte der Experte.

Skeptisch sieht er aber auch die Forderung, nun klare Kante zu zeigen: «Sanktionen und Verbote allein sind meiner Meinung nach eine hilflose Aktion und kein wirklich zielführendes Angehen der Ursachen.» So funktioniere Pädagogik und politische Bildung nicht. Die Schule sei ein Lernort.

«Als ich gelesen habe, dass Schulen das Tragen von Palästinensertüchern untersagen können, habe ich gedacht: Das wird ganz klar nach hinten losgehen.» Das sei wie eine Einladung zur Provokation. «Wird Antisemitismus bekämpft, wenn ich sage “Tragt keine Palästinensertücher”?» Sein Anliegen sei, einseitige, problematische, gefährliche Einstellungen und Denkweisen bei Menschen zu ändern. «Wo hat man gesehen, dass man das durch solche Sanktionen hinbekommt?»

Es sei aktuell insgesamt eine äußerst schwierige Situation. «Und ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass ich das Gefühl habe, nicht dort weiterzumachen, wo man zuletzt stehengeblieben ist, sondern zurückfällt. Das ist bitter.»

«Wir gehen davon aus, dass Schulen, an denen sich Probleme geballt haben, das auch nutzen»

Die Berliner Bildungsverwaltung glaubt unterdessen, dass Schulen von der Möglichkeit eines Verbots palästinensischer Symbolik Gebrauch machen. «Wir gehen davon aus, dass Schulen, an denen sich Probleme geballt haben, das auch nutzen», sagte ein Sprecher auf Anfrage. Daten dazu lägen noch nicht vor.

Von Schulleitungen gebe es aber grundsätzlich positives Feedback im Hinblick auf die rechtliche Möglichkeit von Verboten, auf die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am vergangenen Freitag hingewiesen hatte. Es sei der Wunsch vieler Schulen gewesen, mehr Klarheit und Rechtssicherheit für Fälle zu erhalten, bei denen sie eine Gefährdung des Schulfriedens sehen.

Günther-Wünsch hatte klargestellt, dass Schulen Symbole, Äußerungen und Handlungen verbieten dürfen, wenn diese als Befürwortung oder Billigung der Terrorangriffe auf Israel oder als Unterstützung der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas gewertet werden können. Solche Handlungen stellten in der aktuellen Situation eine Gefährdung des Schulfriedens dar, hieß es in einem Schreiben der Politikerin an Schulleitungen. Rechtsgrundlage sei das Schulgesetz.

Laut dem Schreiben betrifft das Verbot nicht nur Hamas-Zeichen oder die Verbreitung von Hamas-Videos, was ohnehin strafrechtlich relevant sein könne. Vielmehr gehe es auch um «Symbole, Gesten und Meinungsäußerungen, die die Grenze zur Strafbarkeit noch nicht erreichen». Als Beispiele wurden das Tragen des Palästinensertuchs genannt, Aufkleber und Sticker mit Aufschriften wie «Free Palestine» oder eine Landkarte Israels in den Farben Palästinas.

Politiker der SPD, also des Koalitionspartners der CDU, hatten Günther-Wünschs Vorgehen als nicht zielführend kritisiert. Sie äußerten zudem verfassungsrechtliche Bedenken. News4teachers / mit Material der dpa

Alle Palästina-Symbole in Schulen verbieten? Streit um Schreiben von Bildungssenatorin

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