BERLIN. Es steht schlecht um die MINT-Bildung in Deutschland, also um die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Ein neuer Bericht – das MINT Nachwuchsbarometer – benennt Probleme und zeigt Lösungen auf. Dabei rückt auch die Unterrichtsqualität insbesondere in Mathe in den Fokus.
Mathematik ist das MINT-Fach, in dem sich die Schülerinnen und Schüler in Deutschland besonders schwertun – mit beunruhigender Tendenz: Laut PISA haben die mathematischen Leistungen bei der Gruppe der 15-Jährigen zwischen 2012 und 2022 um 39 Punkte abgenommen. Das entspricht einem Kompetenzrückstand von einem kompletten Schuljahr.
Das hat Gründe, wie das MINT Nachwuchsbarometer (herausgegeben von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Joachim Herz Stiftung) feststellt. Das Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler in Deutschland ist zum einen besonders schlecht durch die Corona-Pandemie gekommen. Zum anderen gibt es aber auch problematische Entwicklungen, die tiefer reichen:
- „Die mathematischen und naturwissenschaftlichen Leistungen der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler an deutschen Gymnasien sind in den vergangenen zehn Jahren erheblich abgefallen, die Schülerinnen und Schüler verloren durchschnittlich eineinhalb Lernjahre.“
- „Während vor zehn Jahren die sogenannten Spitzen- und Risikogruppen in den PISA -Studien noch etwa gleich groß waren, hat sich seitdem die Spitzengruppe halbiert und die Risikogruppe verdoppelt. Besonders Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zählen häufig zur Risikogruppe und werden nicht gut in das deutsche Schulsystem integriert.“
- „Der Mathematikunterricht an deutschen Schulen ist oftmals wenig kognitiv aktivierend und ermöglicht den Schülerinnen und Schülern wenig Transfer des erlernten Wissens in ihren Lebensalltag.“
„Wir müssen uns mehr um die Mathematik kümmern“, fordert deshalb Prof. Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK – und Studienleiter des MINT Nachwuchsbarometers: „Eine Untersuchung von Prüfungsaufgaben aus dem Mathematikunterricht hat gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler bei 75 Prozent der Aufgaben keinen Bezug zu ihrem Alltag oder ihrem Umfeld herstellen konnten. Ein stärkerer Lebensweltbezug, eine bessere Verknüpfung der Lerninhalte über die Jahrgangsstufen hinweg oder eine größere Orientierung des Unterrichts an den Lernständen der jeweiligen Schülerinnen und Schüler sind Qualitätsmerkmale, die wir im Mathematikunterricht unbedingt konsequenter durchsetzen müssen.“
Insgesamt identifiziert die Studie fünf Qualitätsmerkmale für guten Mathematikunterricht:
- „Kognitive Aktivierung: Schülerinnen und Schüler zur vertieften Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten motivieren.
- Verstehensorientierung: Mathematisches Verständnis aufbauen.
- Durchgängigkeit: Nachhaltiges Lernen mathematischer Konzepte und Leitideen über die Klassenstufen hinweg mit stetiger Verknüpfung der Lerninhalte, so wie es die Lehrpläne und Bildungsstandards vorsehen.
- Adaptivität: Orientierung des Unterrichts an den jeweiligen Lernständen der Schülerinnen und Schüler.
- Kommunikationsförderung: Die Bedeutung der Mathematik in der Welt erkennen und sie bei der Beschreibung alltäglicher Phänomene benutzen.“
Eine Unterrichtsmethode, die im MINT Nachwuchsbarometer vorgestellt wird, setzt hier an: Beim kollaborativen problembasierten Lernen werden die Schülerinnen und Schüler mit realitätsnahen Problemen konfrontiert – zum Beispiel mit der Frage, wie sich Offshore-Windparkanlagen so bauen lassen, dass sie die Meeresflora und -fauna möglichst geringfügig stören. Die Aufgaben sind stets so komplex, dass sie nur unter Zuhilfenahme des Wissens und Könnens der Mitschülerinnen und Mitschüler sowie weiterer Quellen in der vorgegebenen Zeit bearbeitet werden können. Die Lehrkräfte übernehmen lediglich eine unterstützende Rolle. Die Begleitforschung zeige: „Mit der Methode des kollaborativen problembasierten Lernens können doppelt so große Lernfortschritte erzielt werden wie in einem Jahr Mathematikunterricht in der Sekundarstufe I.“
„Ohne gut qualifizierte MINT-Lehrkräfte werden die in dieser Studie ausgeführten Mängel in der MINT-Bildung nicht zu schließen sein. Hier droht ein Teufelskreis“
„Mit MINT-Kompetenzen können wir ein tieferes Verständnis unserer Welt erlangen – und dafür sorgen, dass sie uns – Stichwort ‚Klimawandel‘ – als lebenswerter Ort erhalten bleibt. Das müssen wir gerade jungen Menschen deutlicher vor Augen führen, beispielsweise indem wir im Bildungssystem mehr Anwendungsbezug und Anschaulichkeit herstellen. Hier sollten auch außerschulische Lernorte stärker in den Fokus rücken: Museen, Schülerforschungszentren und Schülerlabore bieten vielfältige Möglichkeiten im Bereich der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung und präsentieren aktuelle Befunde naturwissenschaftlicher Forschung“, so acatech-Präsident Jan Wörner.
Der Haken an der Sache: Ohne genügend Lehrkräfte kann ein besserer Unterricht kaum in der Fläche angeboten werden. Gerade in den MINT-Fächern macht sich aber zunehmend Lehrkräftemangel bemerkbar. „In den Lehramtsstudiengängen für allgemeinbildende Schulen zeigt sich auch im Jahr 2022, dass der demografische Effekt (vergleichsweise kleine Geburtskohorten) zu relativ stagnierenden bis sinkenden Zahlen bei den Studienanfängerinnen und -anfängern führt. Gegenüber dem Vorjahr ist in den MINT -Fächern (1. Schulfach, 1. Fachsemester) ein weiterer Rückgang um rund 1,5 Prozent zu verzeichnen, gegenüber 2020 sind es zwölf Prozent“, so heißt es in dem Bericht. „Ohne gut qualifizierte MINT-Lehrkräfte werden die in dieser Studie ausgeführten Mängel in der MINT-Bildung nicht zu schließen sein. Hier droht ein Teufelskreis.“
Mögliche Lösung hier: für Mangelfächer wie beispielsweise Physik oder Informatik an den Universitäten Ein-Fach-Lehramtsstudiengänge einzurichten. News4teachers
Hier lässt sich das vollständige MINT Nachwuchsbarometer herunterladen.