BRAUNSCHWEIG. Über 500 Kinder nahmen am „Glücksunterricht“ in Braunschweig teil. Erste Ergebnisse zeigen positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden. Dennoch seien nicht alle erwarteten Effekte eingetreten.
Kann man Glück trainieren? Ja, kann man! Und je früher, desto besser, sagt der Glücksforscher Tobias Rahm. Um das auch in der Praxis zu beweisen, hatte der Psychologe der Technischen Universität Braunschweig gemeinsam mit der Buchautorin Carina Mathes das Projekt „Glückskompetenz in der Grundschule“ (GlüGS-Projekt) ins Leben gerufen. Mehr als 500 Kinder an Braunschweiger Grundschulen haben im Schuljahr 2022/23 am „Glücksunterricht“ teilgenommen.
Ziel des Projekts war es, mehr Glückserleben und Wohlbefinden in die Schulen zu bringen. Deshalb standen von November 2022 bis Januar 2023 und von April bis Juni 2023 neben Mathe, Deutsch und Sport auch insgesamt elf Stunden „Glücksunterricht“ auf dem Stundenplan der Viertklässlerinnen und Viertklässler. Für die „Glücksstunden“ verantwortlich waren angehende Lehrerinnen und Lehrer sowie Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der TU Braunschweig, die jeweils zu zweit an einer der 16 teilnehmenden Braunschweiger Grundschulen gemeinsam mit der Klassenlehrkraft im Unterricht mitgewirkt haben.
Grundlage für die Unterrichtsentwicklung war das „Curriculum Schulfach Glückskompetenz” der Autorin Carina Mathes, das den Studierenden ein Curriculum mit anregenden Geschichten, Elterninformationen, Arbeitsblättern und Bastelanleitungen zur Verfügung stellte. Zu jeder Unterrichtsstunde gab es für die Studierenden ein neues Lernvideo von der Autorin und eine Reflexionsstunde mit Rahm, der pensionierten Schulleiterin Barbara Steinau-Giesert und der online zugeschalteten Carina Mathes.
In die Inhalte flossen Erkenntnisse der positiven Psychologie, der Resilienzforschung und der Lern- und Gehirnforschung ein. Themen waren beispielsweise Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit, Entspannung und Achtsamkeit, Stress und Angst, Selbstbewusstsein oder die Wahrnehmung von Gefühlen. Diese wurden den Schülerinnen und Schülern im „Glücksunterricht“ spielerisch vermittelt, zum Beispiel indem die Kinder Postkarten mit Komplimenten schrieben.
Im Rahmen des Projekts hat Tobias Rahm auch die Effekte des Unterrichts untersucht. Zu vier Messzeitpunkten wurden Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und die Studierenden zu Effekten und Erfahrungen mit dem „Glücksunterricht” befragt.
„Die Resonanz der teilnehmenden Kinder, Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen war durchweg positiv“
Vor Beginn der Glücksstunden füllten die teilnehmenden Kinder und ihre Parallelklassen Fragebögen zum eigenen Wohlbefinden aus. Die Ergebnisse ergaben ein gemischtes Bild. Signifikante Effekte zeigten sich bei den Kindern vor allem in einem Punkt: Negative Emotionen nahmen nach einem Monat ab. Die Fragebogendaten der Eltern wiesen auf einen mittleren positiven Effekt auf das psychische Wohlbefinden ihrer Kinder hin.
Nicht zuletzt hätten sich Hinweise darauf ergeben, dass Kinder, die zu Beginn zu Hause weniger Unterstützung erfuhren oder ein geringer ausgeprägtes Selbstbild hatten, stärker von den Glücksstunden profitierten. Obwohl die quantitativen Ergebnisse begrenzt waren, hätten die qualitativen Rückmeldungen eine hohe Zufriedenheit mit dem Programm und seinen Wirkungen gezeigt. Kinder und Eltern berichteten insbesondere von Verbesserungen des Sozialverhaltens und des Klassenklimas. Auch in Gesprächen mit Schulleitungen und Lehrkräften wurden positive Erfahrungen hervorgehoben.
„Die Resonanz der teilnehmenden Kinder, Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen war durchweg positiv“, fasst Tobias Rahm zusammen. „Alle Beteiligten berichten von positiven Auswirkungen“. Dennoch seien einige erwartete Effekte, wie beispielsweise eine verbesserte Stimmung, ausgeblieben. Dies führt der Psychologe vor allem auf die relativ geringe Intensität des Glücksunterrichts zurück. Mit elf Unterrichtsstunden à 45 Minuten über drei Monate sei diese deutlich geringer gewesen als bei vergleichbaren, aber umfangreicheren Programmen, die überdies von intensiv ausgebildeten Lehrkräften durchgeführt worden waren. Die in Braunschweig gefundenen Effekte könnten daher als Teilerfolg gewertet werden.
„Das GlüGS-Projekt entlastet die Lehrkräfte und benötigt nur geringe finanzielle Ressourcen, was im Schulalltag natürlich sehr von Vorteil ist“, so Tobias Rahm. „Anders als umfangreiche Programme, die stark vom Engagement und der Vorbereitungszeit der Lehrerinnen und Lehrer abhängen, kann dieser Ansatz viel unkomplizierter in den Schulalltag integriert werden.“
„Wenn wir uns eine Gesellschaft mit mehr Wohlbefinden und weniger Stress und psychischen Erkrankungen wünschen, ist unser Bildungssystem aber weiterhin der beste Ansatzpunkt“
Einen weiteren Nebeneffekt sieht Tobias Rahm in der Ausbildung der Lehramtsstudierenden, die am Projekt teilgenommen hatten. Bereits in einer frühen Phase ihrer Ausbildung lernten sie, wie wertvoll die Förderung des Wohlbefindens von Kindern in der Schule sein kann und wie sie dies in der Praxis umsetzen könnten. Der schrittweise Aufbau einer glücksorientierten Schulkultur könnte langfristig durch erfahrenere Lehrkräfte und andere an der Schule tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorangetrieben werden.
„Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass das Wohlbefinden von Kindern von vielen Faktoren beeinflusst wird, einschließlich genetischer Dispositionen und familiärer Variablen wie elterliche Fähigkeiten und Gesundheit. Diese können das Wohlbefinden stärker beeinflussen als positive Bildungsprogramme“, betont der Glücksforscher. „Wenn wir uns eine Gesellschaft mit mehr Wohlbefinden und weniger Stress und psychischen Erkrankungen wünschen, ist unser Bildungssystem aber weiterhin der beste Ansatzpunkt.“ Seine Vision: Schulen zum Aufblühen mit Selbststärkungsprogrammen in jedem Jahrgang, in positiver Bildung trainierten Kollegien und motivierenden Angeboten für Eltern.
Mit Blick auf eine hohe Verbreitung von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen hält es Rahm für dringend nötig, die Förderung von psychischer Gesundheit und Wohlbefinden an Schulen verbindlich zu machen. Wissenschaftliche Belege, dass diese Maßnahmen nicht nur wirksam gegen die Entstehung psychischer Erkrankungen seien, sondern auch zu besseren akademischen Leistungen beitragen, gebe es genug. „Der Blick in die skandinavischen Länder, oder auch nach Australien, Neuseeland oder England zeigt, dass Deutschland hier hinter den Möglichkeiten zurückbleibt“, sagte Rahm. (zab, pm)
„Positive Education“: Wie Grundschülern im Unterricht vermittelt wird, glücklich zu sein