BERLIN. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die „harten“ Schulschließungen während der Pandemie als Fehler bezeichnet. In Deutschland seien mehr Schulen geschlossen worden als in anderen Ländern, sagte der Regierungschef im Sommerinterview der ARD. „Und das war sicherlich nicht die richtige Entscheidung.“ Pikant: Der Virologe Prof. Christian Drosten bestätigte erst in dieser Woche die Wirksamkeit der Schulschließungen, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen.
Scholz gestand Fehler in Sachen Corona-Politik ein. Der Bundeskanzler gab zu, ein paar Entscheidungen seien „drüber“ gewesen. „Warum man zu bestimmten Zeiten nicht draußen spazieren gehen konnte, wenn man eine Maske trug und niemandem begegnete – im Wald –, das habe ich nicht verstanden. Und das, glaube ich, hätte nicht sein müssen“, so Scholz.
Der Interviewer wollte wissen: „Würde man die Schulen noch mal so hart schließen?“ Der Kanzler (seinerzeit Finanzminister im Kabinett von Angela Merkel) antwortete wörtlich: „Das ist ein Thema, das mich die ganze Zeit – auch während der Corona-Krise – bewegt hat. Und ich habe ja zu denen gehört, die für Vorsicht geworben haben. Und wenn man jetzt nachträglich die Bilanz anschaut, dann haben wir in Deutschland die Schulen mehr geschlossen als in anderen Ländern. Und das war sicherlich nicht die richtige Entscheidung.“
War sie nicht? Drosten erklärt in einem Interview mit dem „Spiegel“ die wissenschaftliche Sicht auf das Thema: „Wir wissen im Nachhinein, dass sowohl die Maßnahmen an den Arbeitsstätten als auch die Maßnahmen in den Schulen sehr stark zur Infektionskontrolle, also zur Verhinderung von Todes- und Krankheitsfällen beigetragen haben. Es war aber eine politische Balancierung, welchen Bereich man stärker gewichtet. Manche Staaten haben die Schulen fast nicht geschlossen. Dort wurde aber viel stärker auf verbindlich reglementierte Arbeitsplatzmaßnahmen gesetzt. In Deutschland ist die Politik nicht so stark an die Arbeitsstätten herangegangen.“
Heißt also: Wenn die Schulschließungen falsch waren, hätte es anderer Schutzmaßnahmen bedurft, um das Coronavirus einzudämmen. Oder man hätte mehr Tote in Kauf nehmen müssen. Welche Schutzmaßnahmen stattdessen möglich gewesen wären, dazu schweigt sich der Kanzler aus – und erweckt so den Eindruck, dass die Schulen ohne Weiteres hätten offen bleiben können. Eine allzu schlichte Deutung, die sich allerdings immer mehr durchzusetzen scheint.
„Wir sollten nicht vergessen, dass es das sogenannte Präventionsparadox gibt“
Drosten beschreibt einen psychologischen Effekt, der das Phänomen erklären könnte: „Wir sollten nicht vergessen, dass es das sogenannte Präventionsparadox gibt“, sagte er. „Das, was die Politik erfolgreich verhindert, wird nicht als Leistung anerkannt, weil nichts Schlimmes passiert ist. Wir sind in Deutschland sehr gut durch die erste Welle gekommen (nach den schnellen Schulschließungen, d. Red.). Wir hatten im Vergleich zu anderen Ländern keine besonders hohe Todesrate. In diesen Ländern ist die Umdeutung, also die Verharmlosung der Gefahr durch die Erkrankung ohne Impfschutz nicht so leicht möglich wie hierzulande.“ News4teachers / mit Material der dpa
