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Freies Lernen, Coaching, intensive Beziehungsarbeit: Was preiswürdige Schulen ausmacht

BERLIN. Insgesamt sechs Schulen – zwei aus Berlin, vier aus Nordrhein-Westfalen – sind in Berlin mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet worden. Was macht deren pädagogische Arbeit aus? Die Hauptpreisträgerschule, die Bonner Siebengebirgsschule, stellen wir in einem eigenen Beitrag vor (hier geht es hin). Warum die übrigen fünf ausgezeichnet wurden, berichten wir im Folgenden. So viel vorweg: Selbstgesteuertes Lernen und Beziehungsarbeit sind wichtige Kriterien.

“Beeindruckende, aktive Beziehungsarbeit”: Unterricht an der Friedenauer Gemeinschaftsschule. Foto: Vera Loitzsch / Robert-Bosch-Stiftung

Vielfalt, Wertschätzung und aktive Beziehungsarbeit an der Friedenauer Gemeinschaftsschule

„Eine Schule, die Leidenschaften fördert: An der Friedenauer Gemeinschaftsschule in Berlin stehen die Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt. Dort lernen sie leistungsorientiert und im eigenen Tempo“, so heißt es in der Laudatio.

Die Schülerschaft ist heterogen: An der Schule werden 22 Sprachen gesprochen. 61 Prozent der Schülerschaft sind nichtdeutscher Herkunftssprache. 64 Prozent haben eine Lernmittelbefreiung, 10 Prozent haben einen anerkannten sonderpädagogischen Förderbedarf, wobei deutlich mehr eine spezifische Förderung erhalten.

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„Im Schulalltag ist eine beeindruckende, aktive Beziehungsarbeit zu beobachten“, berichtet Jurymitglied Udo Michallik, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz. „Die Lehrkräfte sind sehr aufmerksam und jede Lehrperson kann etwas zum biografischen Hintergrund der Kinder sagen. Diese Haltung zeigt sich auch im Unterricht. Jedes Kind hat einen persönlichen, altersunabhängigen Lernweg, lernt selbstständig im eigenen Tempo und in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen.“

Bis zur 8. Klasse gebe es keine Noten, sondern kompetenzorientierte Rückmeldungen. „Regelmäßiges Feedback sowie halbjährliche Bilanz- und Zielgespräche ermöglichen Eltern und Kindern Orientierung und Selbstreflexion. Im Unterricht der Hauptfächer wechseln sich klassische Instruktionsphasen mit Gruppenarbeit sowie projekt- und themenorientiertem Arbeiten ab. Die hohe Unterrichtsqualität zeigt sich durch intensive fachliche Arbeit der Schülerschaft mit einer hohen aktiven Lernzeit.“

Projektförmiges Lernen und nachhaltige Bildungsprozesse am Thomas-Morus-Gymnasium

„Das Thomas-Morus-Gymnasium zeigt: Wer sich auf den Weg macht, kann wirklich etwas verändern. Am Thomas-Morus-Gymnasium in Oelde kann man erleben, wie Nachhaltigkeit in Lern- und Bildungsprozessen aussehen kann. Es gibt projektförmige Lernarrangements, innovative Ideen und Schüler:innen, die fürs Leben lernen“, heißt es in der Laudatio.

Michaele Geweke, stellvertretende Kollegleiterin und pädagogische Leiterin am Oberstufen-Kolleg Bielefeld, hat als Jurymitglied die Schule besucht. „Sowohl im Fachunterricht als auch in projektförmigen Lernarrangements wie dem Phänomenbasierten Lernen (PBL), das einen Experimentierraum für selbstgesteuertes, fächerübergreifendes, kooperatives und kreatives Lernen eröffnet, waren die Tiefenstrukturen von Unterricht sehr gut sichtbar“, berichtet sie. „Im Informatikunterricht etwa entwickeln Schüler:innen ein eigenes Computerspiel. In der wöchentlichen PBL-Doppelstunde setzen sich Schüler:innen der Klassen 7 bis 9 mit selbst gewählten Fragen aus dem Themenspektrum der 17 Nachhaltigkeitsziele auseinander und arbeiten dazu in Projekten.“

Gelernt werde nicht nur im Klassenraum. „Auch die Pausenhalle, die Foren im Flurbereich oder der Wald können Orte sein, an denen Formen individuellen und sozialen Lernens stattfinden. In innovativen Unterrichtsformaten erwerben Schüler:innen 21st Century Skills, die sie später in der Berufswelt und in gesellschaftlichen Zusammenhängen brauchen – etwa in Arbeitsgruppen wie TMG for Future, in der aktuell ein Leitfaden für eine nachhaltigere Schule entwickelt wird.“

Innovativer Unterricht und Wertschätzung für Vielfalt an der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule

„An der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg lernen Schüler:innen jahrgangsgemischt und fächerübergreifend bis zum Abitur gemeinsam. Der Unterricht ist offen und ermöglicht entdeckendes, handelndes und differenziertes Lernen. Die individuellen Arbeitszeiten der Schüler:innen wechseln sich ab mit gemeinsamen Plenumsgesprächen oder unterstützenden, strukturierenden Inputphasen durch die Lehrkräfte“, so heißt es in der Begründung der Jury.

Jurymitglied Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV), berichtet von ihren Eindrücken: „Rund 990 Schüler:innen lernen in 35 Lerngruppen fächer- und jahrgangsübergreifend von der 1. bis zur 10. Klasse gemeinsam. Die Oberstufe wird aktuell im Modellversuch mit einer Beruflichen Schule in Berlin angeboten. Noten gibt es erst ab der 9. Klasse, vorher dient ein Kompetenzraster zur Einordnung individueller Entwicklungsstände, das sich zum Beispiel an den Kategorien Empathie und Selbstbewusstsein orientiert. Ein Konzept, das aufgeht: An der Schule herrscht ein respektvoller Umgangston, sowohl unter den Kindern und Jugendlichen als auch zwischen Schüler:innen und Pädagog:innen. Er zeugt von einer beeindruckenden Beziehungsarbeit. Zudem ist überall spürbar, wie aufgeklärt und selbstsicher die Schüler:innen sind. Das Gespräch mit einem souveränen Schüler, der erst seit zwei Jahren in Deutschland lebt, blieb in besonderer Erinnerung. Diese Begegnung zeigte, dass an der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule Empowerment gelebt wird.“ Lernerfolge würden regelmäßig evaluiert.

Rund 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler waren 2023 nicht-deutscher Herkunftssprache, 17 Prozent lernmittelbefreit und 8 Prozent mit Inklusionsstatus. Weiterhin gehörten zunehmend Kinder mit psychischen Belastungen und chronischen Krankheiten zur Schulgemeinschaft.

Selbstorganisiertes Lernen und schulweites Coachingangebot am Joseph-DuMont-Berufskolleg

„Lerntheoretisch anspruchsvoll, bildungswissenschaftlich fundiert: Am Kölner Joseph-DuMont-Berufskolleg lernen die Schüler:innen in wertschätzender Atmosphäre selbstorganisiert, stressfrei und praxisnah“, urteilt die Jury.

Unterricht verläuft hier berufs- und realitätsnah“, so sagt Jurymitglied Thomas Häcker, Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Rostock und Gründungsdirektor des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung. „Problemorientierte Aufgabenstellungen werden durchgängig nach der Think-Pair-Share-Methode bearbeitet. Das heißt: Die Schüler:innen setzen sich mit einer Aufgabe auseinander, tauschen sich dann mit eine:r Mitschüler:in und schließlich in der gesamten Gruppe aus. Das ist ein sehr professionelles Grundgerüst fürs Lernen, weil es eine tiefe kognitive Verarbeitung sichert, die zudem von Lehrkräften als Expert:innen vielfältig konstruktiv unterstützt wird. Ein schulinternes Kompetenzteam entwickelt hierfür Materialien und Lernarrangements, die den Lehrenden digital zur Verfügung stehen. Diese werden mittels transparenter Zielvereinbarungen in den einzelnen Bildungsgängen durch ein permanentes Qualitätsmanagement gesteuert. Kompetenzraster – sie heißen hier Kann-Listen – bieten den Lernenden Orientierung und Transparenz. Das wird sehr geschätzt.“

Und sei wirksam:Es gibt gute Vermittlungs- und Abschlussquoten. Diese sind in der jährlichen Statistik der Industrie- und Handelskammer belegt: 2023 gab es in acht von 13 Bildungsgängen eine fast immer 100-prozentige Bestehensquote. In Gesprächen mit Kooperationspartnern wurde klar, dass diese mit der Ausbildungsqualität sehr zufrieden sind.“

Eigenverantwortliches Lernen und konstruktive Unterstützung am St.-Pius-Gymnasium Coesfeld

„Die Absolvent:innen des St.-Pius-Gymnasiums haben eine Idee davon, wer sie sind, was sie können und wo sie hinwollen. Diese Art von Wirksamkeit ist extrem wertvoll und lässt sich nicht in Zahlen messen“, so schreibt die Jury.

Mitglied Isabella Keßler, Landesfachberaterin im Bildungsministerium Saarlandes, antwortet auf die Frage, was besonders innovativ an der Schule sei: „Die Form der konstruktiven Unterstützung, die von Anfang an eine große Rolle spielt. Hat jemand wiederholt Probleme im Lernprozess, bieten Lehrkräfte frühzeitig Lerncoachings an. Tagesziele helfen, das eigene Leistungsvermögen realistisch einzuschätzen. In vier sogenannten Sternstunden pro Woche erkunden Kinder der 5. und 6. Klasse etwa, wie sie sich am besten selbst organisieren können. Für Schüler:innen ab Stufe 7 stehen stärkenorientierte „Profile im Angebot“ zur Auswahl, die sogenannten PiA-Kurse. Hier probieren sie sich in Schwerpunkten wie kreativem Schreiben oder forensischer Chemie aus.“

Unterrichtsmaterialien und Lernpakete seien so aufbereitet, dass die Schülerinnen und Schüler selbst damit arbeiten können. Keßler: „Das ist kein reines Abarbeiten von Aufgaben, sondern inhaltlich vielfältig und anregend – einige Schüler:innen führten Interviews, andere testeten eine App. Auch die Tiefenmerkmale von Unterricht begegneten uns überall. So führten Lehrkräfte mit Schüler:innen Diskurse auf Augenhöhe, und es wurde gemeinschaftlich nach dem Warum gefragt.“ Bei der Abschlussquote liege das Gymnasium über dem Landesdurchschnitt. „Doch die viel stärkere Wirksamkeit sehe ich in der sehr geringen Abbruchquote.“ News4teachers

Hier gibt es Informationen zu allen 108 bisherigen Preisträgerschulen.

Jurymitglied: „Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus“ – warum eine Förderschule für ihren Unterricht den Deutschen Schulpreis erhält

 

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