HAMBURG. Zwei Messerangriffe von Schülern auf Mitschüler an nur einem Tag, einer in Berlin, der andere in Remscheid, werfen ein Schlaglicht auf das Aggressionslevel unter Kindern und Jugendlichen. Um gegenzusteuern, soll die Prävention in der Kinder- und Jugendhilfe besser werden – und die Schulen stärker einbeziehen. Das haben die Jugend- und Familienminister*innen nun beschlossen. Der renommierte Sozialpsychologe Ulrich Wagner fordert vor allem eins: Messer aus Schulen herauszuhalten. Und die Polizeigewerkschaft: das Alter für die Strafmündigkeit herabzusetzen.
Angesichts einer zunehmenden psychischen Belastung von Kindern und Jugendlichen fordern die Jugend- und Familienministerinnen und -minister von Bund und Ländern mehr Prävention. Dabei sollen Kinder- und Jugendhilfe stärker mit Schulen, Sozialhilfeträgern und dem Gesundheitssystem zusammenarbeiten, wie Hamburgs Schul- und Familiensenatorin Ksenija Bekeris zum Abschluss einer zweitägigen Konferenz in der Hansestadt sagte. Einem entsprechenden Leitantrag stimmte die Konferenz zu.
«Kinder und Jugendliche sind heute großen Belastungen ausgesetzt, sei es infolge der Corona-Pandemie oder den aktuellen Geschehnissen wie Kriegen oder der Klimakrise», sagte Bekeris. «Wir müssen agieren, bevor Probleme sich dauerhaft verfestigen.»
Bundesbildungsministerin Prien von Gewalt unter Kindern bestürzt
Bundesjugendministerin Karin Prien zeigte sich angesichts aktueller Gewalttaten unter Kindern in Berlin und Remscheid bestürzt. «Es ist natürlich furchtbar, wenn sich Kinder gegenseitig verletzten», sagte die CDU-Politikerin. An einer Berliner Grundschule soll ein 13-Jähriger einen Mitschüler mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben, im nordrhein-westfälischen Remscheid ein Elfjähriger einen 13-Jährigen ebenfalls mit einem Messer schwer verletzt haben (News4teachers berichtete über beide Fälle, hier und hier).
Vor diesem Hintergrund brauche es eine stärkere Zusammenarbeit aller Systeme: «Aus der Kinder- und Jugendhilfe, aus der Eingliederungshilfe in den Schulen, aber auch mit Blick auf die Polizei und die Jugendgerichtshilfe», sagte Prien. «Und zwar am besten schon präventiv und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.» Man müsse solche Taten genau im Blick behalten, sagte die Ministerin. Seit Corona sei unter jüngeren Jugendlichen eine zunehmende Gewalt zu beobachten. «Ob das ein dauerhaftes Phänomen ist, wissen wir ehrlich gesagt noch gar nicht. Aber wir beobachten es.»
«Dass Kinder tatsächlich geplant gewalttätig gegen eine andere Person vorgehen, kommt sehr selten vor»
Die Konferenz habe auch gezeigt, dass man «Bildung und Kinder- und Jugendhilfe viel mehr zusammendenken muss», sagte Prien. Dabei müsse man insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bildung die Sprachkompetenz im Blick behalten, «wenn wir wollen, dass mehr Kinder – und zwar völlig unabhängig davon, welche Herkunft sie haben – einen erfolgreicheren Weg ins Leben schaffen».
Wie kommt es aber zu Gewalttaten wie denen von Berlin und Remscheid? «In den allermeisten Fällen ist so etwas nicht geplant», sagt der Sozialpsychologe Ulrich Wagner in einem Interview mit der «Berliner Morgenpost». Da gerate etwas aus dem Ruder. «Dass Kinder tatsächlich geplant gewalttätig gegen eine andere Person vorgehen, kommt sehr selten vor.» In der Regel geschehe so etwas aus konkreten Auseinandersetzungen heraus, die eskalierten. «Und das wird eben dann besonders gefährlich, wenn einer der Beteiligten eine Waffe dabeihat.»
Wenn sich 12-, 13-, 14-Jährige stritten, passiere das häufig vor Zeugen. «Dadurch geraten die Konfliktparteien in eine Situation, in der sie meinen, ihr Gesicht verlieren zu können», sagte Wagner. «Das kann besonders schlimme Folgen haben, wenn einer ein Messer bei sich trägt. Das Mitführen von Messern ist allgemein ein großes Problem.» Es erhöhe die Gefahr, dass Konflikte eskalieren.
«Möglicherweise kommt die Waffe auch gar nicht zum Einsatz, der Konflikt droht aber, brutaler zu werden.» Das müsse verhindert werden. «Es darf nicht zur Debatte stehen, ob Messer in die Schule mitgebracht werden dürfen. Es muss schlicht völlig ausgeschlossen sein und unterbunden werden», so der emeritierte Professor für Sozialpsychologie an der Universität Marburg.
Unterdessen ist erneut eine Diskussion darüber entbrannt, das Alter für die Strafmündigkeit herabzusetzen. Aus Sicht der Deutschen Polizeigewerkschaft muss sie mindestens auf das 12. Lebensjahr gesenkt werden. Es gehe nicht darum, Kinder ins Gefängnis zu bringen, betonte Gewerkschaftschef Rainer Wendt. Sie sollten aber von den «Segnungen eines Strafverfahrens» profitieren können, so Wendt. «Es ist schon ein Unterschied, ob irgendein Sozialarbeiter auf einen 12- und 13-Jähren, der mit einem Messer bewaffnet ist und durch die Gegend läuft, einwirkt – oder ob Polizei und Staatsanwaltschaft das tun», sagte Wendt der «Bild»-Zeitung.
Aus Sicht von Berlins Justizsenatorin, Felor Badenberg (CDU) bedarf es dafür einer wissenschaftlichen Betrachtung. «Es gibt sehr viele Argumente, die dafür sprechen, es gibt aber durchaus auch Argumente, finde ich, die man ernst nehmen muss, die dagegen sprechen», sagte Badenberg am Rande. Zu prüfen sei, jemand in dem Alter tatsächlich in der Lage sei, das Unrecht seiner Tat einzusehen.
Die Polizei warnt bereits seit Jahren vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft bei diesen Altersgruppen. Schon 2022 und 2023 hatte die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel gesagt, sie sei ganz persönlich besorgt durch den Anstieg von Taten, an denen Kinder und Jugendliche beteiligt sind. Die Angriffe würden häufig untereinander geschehen. Auch Messer spielten dabei häufiger eine Rolle. Oft werde damit gedroht, etwa bei Raubtaten oder zur Einschüchterung, aber sie würden auch eingesetzt. News4teachers / mit Material der dpa
