BERLIN. Als die frischgebackene SPD-Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas vor wenigen Tagen vorschlug, künftig auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, schlug das Thema wie ein Blitz in die Lehrerzimmer ein. Rund 650.000 verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland wären von einem solchen Systemwechsel betroffen – und finden sich damit plötzlich im Zentrum einer politischen Debatte wieder, die sich bisher meist um andere Berufsgruppen drehte.
Kaum hatte Bas ihren Vorschlag öffentlich gemacht, hagelte es Kritik. Besonders aus den Reihen der Union kommt massiver Gegenwind. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann spricht laut „tagesschau“ von einem „Versuch, alte SPD-Ideen als Zukunftsstrategie zu verkaufen“, und CDU-Politiker Christoph Ahlhaus nennt dem Bericht zufolge die Pläne schlicht „populistischen Unfug“. Ein neuer Rentenweg, der Selbstständige und Beamte zwingend einbeziehe, sei keine Lösung, sondern ein Rückschritt, so der Tenor.
Dabei wäre der Systemwechsel einer der größten Eingriffe in die Altersversorgung des öffentlichen Dienstes seit Jahrzehnten – und träfe ausgerechnet den Bildungssektor mit voller Wucht. Denn ein Drittel aller Beamten in Deutschland arbeitet im Schulwesen. Für viele Lehrkräfte ist die Aussicht auf eine lebenslange Versorgungssicherheit ein zentraler Grund für den Einstieg in den Staatsdienst – und oft auch ein Trostpflaster für übervolle Klassen, Bürokratiemarathons und hohe psychische Belastung.
„Es ist komplett aus der Zeit gefallen, dass sich Beamtinnen und Beamte der solidarischen Rentenversicherung entziehen“
Doch das Thema trifft einen Nerv. Eine repräsentative Umfrage der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zeigte zuletzt, dass mehr als 80 Prozent der Bevölkerung wollen, dass neu eingestellte Beamte künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Auch Lehrkräfte sind davon nicht ausgenommen: 64,9 Prozent der Befragten bevorzugen für Lehrer ein normales Angestelltenverhältnis gegenüber der Verbeamtung (News4teachers berichtete).
SPD-Ministerin Bas greift damit ein Reformthema auf, das in der Rentenpolitik schon lange schwelt, aber bislang nie ernsthaft umgesetzt wurde. Ihre Argumentation: „Wir müssen mehr Leute an der Finanzierung der Rentenversicherung beteiligen.“ Gemeint ist: Wer den demografischen Wandel abfedern und das Rentenniveau langfristig sichern will, darf vor Privilegien im öffentlichen Dienst nicht Halt machen.
Die Alterung der Gesellschaft setzt das Rentensystem unter Druck, weil immer weniger Beschäftigte in die Rentenkasse einzahlen, aber immer mehr daraus Altersbezüge erhalten. Experten fürchten, dass die Versorgung der Boomergeneration die jüngeren Beitragszahler überfordern wird. Beispielsweise der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hatte deshalb zuletzt eine Renten- und Steuerreform gefordert, bei der das Renteneintrittsalter angehoben wird und die Rentenerhöhungen in der Zukunft geringer ausfallen. Die junge Generation dürfe nicht noch stärker belastet werden, verlangte er.
Während die Union blockt, erhält Bas Rückendeckung von ungewohnter Seite. Sahra Wagenknecht, Vorsitzende des neu gegründeten Bündnisses BSW, bezeichnet die Idee als „überfällig“ – auch wenn sie bezweifelt, dass sie mit der aktuellen Koalition umsetzbar ist. Und auch der Sozialverband VdK stellt sich demonstrativ hinter die Ministerin. VdK-Präsidentin Verena Bentele spricht von einem „mutigen Start ins Ministeramt“ und fordert ein gerechteres System, in dem „alle einzahlen – auch Beamte und Politiker“.
Die Rentenversicherung stehe unter Druck, so Bentele, und die Lösung könne nicht darin bestehen, weiterhin Kürzungsdebatten zu führen. Stattdessen müssten die Einnahmen stabilisiert und auf mehr Schultern verteilt werden – etwa durch eine sogenannte Erwerbstätigenversicherung. „Es ist komplett aus der Zeit gefallen, dass sich Beamtinnen und Beamte der solidarischen Rentenversicherung entziehen.“
Die Frage, wie die Altersvorsorge künftig aussehen soll, ist keine theoretische Grundsatzdebatte mehr
Für viele Lehrerinnen und Lehrer ist die Debatte mehr als ein mediales Sommerlochthema. Sie geht an die Grundpfeiler ihres Berufsverständnisses. Die Aussicht auf eine Pension, die sich vom Gehalt ableitet und im Ruhestand eine solide Lebensgrundlage bietet, war bislang ein zentrales Argument für die Verbeamtung (und nicht selten für den Lehrerberuf). Nicht wenige sehen sich durch den aktuellen Vorstoß nun in einem Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und persönlicher Planungssicherheit.
Ein Systemwechsel hätte weitreichende Folgen: Die Bruttobezüge müssten bei Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung angepasst werden, die Dienstherren müssten Arbeitgeberbeiträge leisten – und gleichzeitig stünde das gesamte Alimentationsprinzip des Beamtentums auf dem Prüfstand.
Ob Bas’ Initiative eine politische Mehrheit findet, ist angesichts des Widerstands aus der Union mehr als fraglich. Kurzfristig jedenfalls. Doch Lehrkräfte sollten sich darüber im Klaren sein: Die Frage, wie die Altersvorsorge künftig aussehen soll, ist keine theoretische Grundsatzdebatte mehr. Zwischen Rentenreform und Bildungssystem bahnt sich angesichts der demografischen Entwicklung eine der drängendsten Gerechtigkeitsfragen der kommenden Jahre an.
Zusätzliche Verunsicherung wird zum Teil der Lebensrealität im Schuldienst – kein starker Anreiz für den so dringend benötigten Nachwuchs, sich für den Schuldienst rekrutieren zu lassen. Andererseits wirft die Debatte ein Schlaglicht auf die verbreitete Ungleichheit in den Kollegien: Zwei Drittel der Lehrkräfte sind verbeamtet – ein Drittel eben nicht. Und angestellte Lehrerinnen und Lehrer beklagen seit langem, dass ihre Konditionen schlechter sind trotz gleicher Arbeitsbelastung (News4teachers berichtete). Und die Schule? Sie leidet, wie so häufig bei großen gesellschaftspolitischen Streitpunkten, mal wieder einfach nur am Rande mit. News4teachers / mit Material der dpa
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