DÜSSELDORF. Selbst der ignoranteste Kultusminister dürfte mittlerweile erkennen: Er kommt an der Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte nicht vorbei. Was auf den ersten Blick wie eine bürokratische Reform wirken mag, wird das Schulsystem grundlegend verändern. Denn wenn Schule sich nicht mehr nur über Unterrichtsstunden organisiert, steht auch das Prinzip „Lehrer, Fach, Klasse“ zur Disposition. Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
Die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte wird kommen. Nicht irgendwann. Sondern bald. Und zwar nicht, weil es sich so nett in einem Forderungskatalog der GEW liest – sondern weil es nach zwei Grundsatzurteilen rechtlich unausweichlich ist. Das erkennen mittlerweile auch Kultusministerinnen wie Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), die das Thema offen mit der Gewerkschaft diskutieren will. Ein Dammbruch. In ihrer Zeit als KMK-Präsidentin hatte sie gegenüber dem Bundesarbeitsministerium noch auf eine Ausnahmeregelung für Lehrkräfte gepocht (und sich eine Abfuhr eingehandelt).
Was bei der Diskussion gern übersehen wird: Mit der Arbeitszeiterfassung fällt das Deputatsmodell, wie ein Gutachten im Auftrag der Telekom Stiftung schon vor einiger Zeit ergeben hat (News4teachers berichtete). Und das ist mehr als eine technische Korrektur – es ist ein tektonisches Beben. Denn das Deputat ist das Fundament der bisherigen Schulorganisation: Lehrer, Fach, Klasse. Unterricht zählt, alles andere läuft nebenbei. Wer heute Dienst nach Vorschrift machen will, muss Überstunden leisten. Absurder geht’s kaum.
Damit ist bald Schluss. Wenn Arbeitszeit wirklich erfasst und anerkannt wird – die Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche, Korrekturen, Klassenfahrten, Konferenzen, Teamsitzungen, Fortbildungen, Orga –, dann wird klar: Das geht nicht mehr im Einzelkämpfermodus. Dann braucht es multiprofessionelle Teams, gemeinsame Verantwortung, geteilte Aufgaben, ein Unterstützungsystem für Lehrkräfte. Dann braucht es neue Strukturen. Und endlich auch andere Erwartungen.
Was das bedeutet? Schule wird sich mehr verändern als durch jede Bildungsreform der vergangenen Jahrzehnte. Und zwar grundlegend. Ein bisschen Digitalisierung hier, ein bisschen Kompetenzorientierung dort – das alles war Kosmetik. Jetzt geht’s ans Eingemachte.
Und noch etwas steht damit zur Disposition: die Stoffhuberei. Wenn die Arbeitszeit endlich einen realistischen Rahmen bekommt, dann kommt zwangsläufig die Frage auf den Tisch, wie viel von dem, was heute in die Lehrpläne gestopft wird, eigentlich noch vermittelbar ist – ohne die Lehrkräfte und die Schülerschaft zu ruinieren. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Uhr tickt. Und diesmal ist es keine pädagogische Vision, die Veränderung bringt – sondern das Arbeitsrecht. Schule muss sich neu erfinden. Und zwar schnell. News4teachers
