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Weg mit dem mehrgliedrigen Schulsystem! – Schüler streiken für Bildungsreformen

DÜSSELDORF. So wie es ist, kann es nicht bleiben – das ist die zentrale Botschaft, mit der sich der gestrige Bildungsprotest zusammenfassen lässt. In fünf Städten Nordrhein-Westfalens gingen Schüler*innen auf die Straße. Ihr Widerstand richtet sich gegen das gegliederte Schulsystem, Leistungsdruck und Investitionsstau. Sie zeigten eindeutig: Die Jugend will mitbestimmen.

„Eine Schule für uns – eine Schule für alle!“, forderten die Schüler*innen beim Bildungsprotest in Düsseldorf, Essen, Eitorf, Gummersbach und Münster. Foto: LSV NRW

Unter dem Motto „Eine Schule für uns – eine Schule für alle!“ demonstrierten in Düsseldorf, Essen, Eitorf, Gummersbach und Münster laut der Organisator*innen über 1.000 Schüler*innen – und das, während der Schulzeit. Zum Protest aufgerufen hatte die Landesschüler*innenvertretung NRW (LSV NRW), inklusive eines umfangreichen Forderungspapiers.

Unter anderem in der Kritik: das Schulsystem und Ziffernnoten

Die Kritik der Schülerinnen und Schüler ist fundamental. Vor allem das gegliederte Schulsystem stößt auf Ablehnung. „Wir wollen nicht länger in einem System lernen, das Ungleichheit verstärkt und soziale Klassen reproduziert“, sagt Elias Bala, Landesvorstandsmitglied der LSV NRW. „Das mehrgliedrige Schulsystem muss weg – wir brauchen eine Schule, in der alle gemeinsam und ohne Druck lernen können.“ An die Stelle des aktuellen Systems soll eine Inklusive Ganztagsgesamtschule mit maximal 15 Schüler*innen pro Klasse treten.

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Ebenfalls kritisch sehen die Schüler*innen das derzeitige Bewertungssystem mit Ziffernnoten. Dieses sei nicht in der Lage, Lernfortschritt wirklich abzubilden und die Vielfalt der Wissensformen anzuerkennen. „Außerdem dient das bestehende Notensystem zu Vorbereitung auf die Leistungsgesellschaft und schafft somit unnötige Konkurrenz zwischen den Schüler*innen, anstatt Zusammenhalt zu fordern.“ Sie wünschen sich alternative Bewertungssysteme, die sowohl auf mündlichem als auch schriftlichem Feedback basieren. „So können die Schüler*innen besser wahrnehmen, wo Probleme bestehen und aktiv mit der Lehrkraft an Fortschritten arbeiten.“

Forderung nach mehr Mitbestimmung

Weitere Forderungen umfassen „Unterricht nur bis 16 Uhr, kostenloses und gesundes Mensaessen, keine Bundeswehr an der Schule, sowie ein Ende der Abschiebung von Schüler*innen – kein Mensch ist illegal“. Darüber hinaus setzt sich die LSV NRW für mehr „Mitbestimmung über den eigenen Lernort“ ein – und zwar aber der Grundschule. Die Schüler*innenvertretungen sollen beispielsweise mehr Rechte bekommen, aber auch insgesamt „an Einfluss gewinnen“. „Dabei soll sie auch den Unterricht und seine Methodik mitbestimmen können, auch die Schüler*innen in der Klasse oder Kurs sollen mitentscheiden können.“

Ein weiterer Kritikpunkt in diesem Zusammenhang: Die Hürden, während der Schulzeit an politischen Aktionen teilzunehmen, seien zu hoch. Viele Schüler*innen seien von der Teilnahme abgehalten worden. Ruth Paschmanns, ebenfalls im Landesvorstand der LSV NRW, fordert daher ein Demonstrationsrecht für Schüler*innen – auch während der Schulzeit.

„Die Schuldenbremse muss aus unserer Sicht abgeschafft werden.“

Nicht zuletzt verweist die LSV NRW auf den Investitionsstau im Bildungsbereich, der für viele Schüler*innen tagtäglich sichtbare Realität ist. „Insbesondere die Sportanlagen sind marode, aber auch viele Klassenräume und natürlich die Schultoiletten sind in keinem guten Zustand. All das schafft ein Lernumfeld, in dem gutes Lernen und gute Bildung kaum möglich sind.“ Um diese Mängel zu beheben, seien massive Investitionen notwendig. Der LSV NRW kommt daher zu dem Schluss: „Die Schuldenbremse muss aus unserer Sicht abgeschafft werden.“

Zustimmung – aber auch Widerspruch

Das Engagement der Jugendlichen ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. Unterstützung erhalten sie vom Verband Bildung und Erziehung NRW. Die Vorsitzende des VBE NRW, Anne Deimel, erklärt: „Wenn die Schulen nicht über zu viele Jahre ausgelaugt worden wären, müssten die Schülerinnen und Schüler heute auch nicht auf die Straße gehen.“ Die Lernenden und Beschäftigten bräuchten bessere Gelingensbedingungen. Dazu gehörten unabdingbar kleinere Lerngruppen.

Ebenfalls solidarisch äußerte sich die Landeselternschaft der integrierten Schulen NRW (LEiS): „Es gehört zu einer lebendigen Demokratie, dass junge Menschen sich einmischen – insbesondere dann, wenn es um ihre Zukunft geht.“ Man teile zwar nicht jede Forderung der Schülervertretung, doch grundsätzlich bestehe Konsens darüber, „dass unser Bildungssystem mutige Reformen, mehr Investitionen und vor allem mehr Offenheit für Wandel braucht“.

Vor diesem Hintergrund kritisierte die LEiS explizit die Äußerungen des Philologenverbands NRW zum Bildungsprotest. Diese seien „symptomatisch für ein Denken, das allzu oft Wandel mit Untergang verwechselt“. Wer Schülerproteste reflexhaft als „realitätsfern“ abtue, verkenne den Wert demokratischer Teilhabe. „Es lässt damit den nötigen Respekt genau vor denjenigen vermissen, die die eigentliche Zielgruppe und die Hauptbetroffenen des Bildungssystems sind. Wer diese Zielgruppe, die er täglich unterrichtet, vom eigenen Konzept nicht mehr überzeugen kann, hat vielleicht selbst Probleme mit der Realität.“

Deutlicher Widerspruch kommt vom Philologenverband NRW

Vorausgegangen war eine Mitteilung des Philologenverbands NRW, in der dieser die Forderungen der LSV NRW als „realitätsfremd und aus bildungspolitischer Sicht völlig kontraproduktiv kritisiert“ hatte. Die geforderte Abschaffung bewährter Strukturen werde keine der Herausforderungen im Schulsystem lösen, so die Vertretung der Gymnasialschullehrkräfte. „Der schon seit Jahren erhobenen Forderung, die Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen durch die Einheitsschule zu ersetzen und somit den Elternwillen faktisch abzuschaffen, treten wir weiterhin entschieden entgegen“, betonte die PhV-Landesvorsitzende Sabine Mistler.

Auf die Eltern verweisen die Philologen auch im weiteren Verlauf ihrer Mitteilung. Diese wünschten sich „eine valide Rückmeldung über die von ihren Kindern erbrachten schulischen Leistungen“. Der Verzicht auf Noten laufe Gefahr, das Leistungsprinzip auszuhöhlen. „Wir distanzieren uns von den Wunschträumen einer Schule ohne Noten und ohne Anstrengung. Hohe Leistungsanforderungen tragen auch dazu bei, Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf die Welt von heute und morgen vorzubereiten“, so Mistler.

Sorge um „das Leistungsprinzip“

Mit einer vergleichbaren Position – und sogar teils ähnlicher Wortwahl – kommentierte auch die Landeselternschaft der Gymnasien NRW (LE Gym NRW) den Bildungsprotest. „Die Forderung nach einer Einheitsschule für alle geht an der Lebensrealität vieler Familien vorbei“, so der Vorsitzende Oliver Ziehm. Auch Ziffernnoten seien unverzichtbar: „Wir als Eltern möchten gerne wissen, auf welchem Leistungsstand unsere Kinder sind, damit wir sie gezielt unterstützen können.“ Überdies gebe es genügend Kinder und Jugendliche, die sich gerne für gute Noten anstrengen wollen. Ziehm: „Ohne Noten laufen wir auch Gefahr, dass das Leistungsprinzip ausgehöhlt wird.“

Zugleich erkennt auch die Landeselternschaft der Gymnasien an, dass es grundlegende Probleme gibt: „von maroden Schulgebäuden über Lehrkräftemangel bis hin zur Modernisierung von Unterrichts- und Prüfungsformaten“. Diese Herausforderungen müssten dringend angegangen werden.

Unabhängig der Kritik zieht die Landesschüler*innenvertretung NRW (LSV NRW) ein positives Fazit: Die Proteste zeigten, dass viele Schüler*innen unzufrieden sind und Veränderungen fordern, so Landesvorstandsmitglied Juliana Hoffmann. „Nun sind die demokratischen Parteien gefragt, unsere Forderungen anzunehmen und in konkrete Politik umzusetzen.“ News4teachers

Widerstand aus dem Klassenzimmer: Wenn sich Schüler gegen Schulpolitik wehren (leider meist vergeblich)

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