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Die neue Bildungslüge: Wenn (schlechter bezahlte) Schulassistenten unterrichten

DRESDEN. Lehrermangel? Sachsen reagiert – aber nicht mit mehr Lehrerbildung, sondern mit einem Systembruch: Sozialpädagogisch qualifiziertes Personal übernimmt zunehmend Unterrichtsaufgaben. Für Prof. Ralf Tenberg, Technik-Didaktiker an der TU Darmstadt (und selbst ehemaliger Lehrer), ist das ein „toughes Geschäftsmodell“: billig, bildungspolitisch schädlich und zulasten der Schwächsten im System. In seinem Gastbeitrag fordert er: Schluss mit dem Etikettenschwindel – wo bleiben die Proteste?

Hauptsache billig? Illustration: Shutterstock

Reziproke Qualitätsoffensive für die Bildung in Sachsen

Von Prof. Dr. Ralf Tenberg

Ähnlich wie in Sachsen-Anhalt hat auch Sachsen nun einen richtungsweisenden Schritt in der Bekämpfung des akuten Lehrermangels getan. Angeblich, um die Lehrpersonen an den Schulen zu entlasten, de facto aber, um sie auch zu ersetzen, wurden und werden sogenannte Schulassistentinnen und Schulassistenten eingestellt, also Menschen mit sozialpädagogischer Qualifizierung, ohne Lehrer-Ausbildung. Sie übernehmen die Aufsicht in Ausfallstunden oder „auch mal nen Unterricht“ und erfüllen damit in etwa die Aufgaben des guten alten Amalgams im Gebiss: Löcher werden mit anpassungsfähigem Material gestopft, darunter geht die Karies aber weiter. Es steht in keiner Schulordnung, dass man bei Unterrichtsausfall einfach ein Beschäftigungsprogramm anstatt eines Ersatzunterrichts einsetzen darf, es ist aber die weit verbreitete Praxis und dazu braucht man wirklich keine ausgebildeten Lehrpersonen.

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Der Benefit für das Bundesland ist dabei reziprok zu jenem der Schüler und Eltern. Anstelle von Bildung steht nun Beschäftigung und Aufsicht, wenn unterrichtet wird, dann fachlich fragwürdig und didaktisch grenzwertig. Sachsen aber spart mit jeder dieser Stellen ca. 2.000€ im Vergleich zu einem ausgebildeten Lehrer. Hier wird einfach eine niedrige TVL-Einstufung im Angestelltenverhältnis anstatt einer höheren Beamten-Einstufung umgesetzt, was sich später zusätzlich in der Altersversorgung gewinnbringend auswirkt. Hinzu kommt, dass hier nicht einmal das bezahlt wird, was die ehemaligen Sozialarbeitenden oder Erziehenden dort verdient hätten, wo ihre Professionalität passen würde: in Kitas und Sozialeinrichtungen.

Um dieses toughe Geschäftsmodell nun noch einmal zu verbessern, versucht Sachsen aktuell die Mittel für die Schulassistenten auf den Bund umzulegen. Ansatzpunkt ist das Startchancenprogramm des Bundes, welches speziell für benachteiligte Schulen bzw. Schülerinnen und Schüler zentral finanziert wird. Hier gibt es allerdings Widerstand, was angesichts der teilweise bizarren Projekte, die in den anderen Bundesländern damit finanziert werden, erstaunt. Wahrscheinlich ist das unserer Bundesbildungsministerin Karin Prien doch ein zu offensichtlicher Mittelmissbrauch, aber vielleicht findet man auch eine Einigung.

“Anstatt in eine bessere Lehrerbildung zu investieren, bessere Arbeitsbedingungen vor Ort, moderne Schulen, innovative Fortbildungen, baut man einfach die Schulassistenz aus”

Fest steht, dass es sich hier um ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell handelt. Das Kultusministerium reduziert die Bildungsausgaben deutlich und verbessert dabei maßgeblich die Kennzahlen, denn der Unterrichtsausfall wird so ja wirksam bekämpft. Nachdem absehbar alle Kinder der Regierungsmitglieder und der hier involvierten Bildungsbeamten in Schulen untergebracht sind, in denen es (noch) genügend gut ausgebildete Lehrpersonen gibt, ist auch nicht zu erwarten, dass sich hier jemand in den Weg stellt; diejenigen, die nun noch mehr und noch deutlicher um ihre Bildung betrogen werden, haben keine Lobby. Wie die Zukunft in Sachsen aussieht, kann man auch absehen, denn gute Geschäftsmodelle wirken nachhaltig. Anstatt in eine bessere Lehrerbildung zu investieren, bessere Arbeitsbedingungen vor Ort, moderne Schulen, innovative Fortbildungen, baut man einfach die Schulassistenz aus. Dann bleibt mehr Geld für „wichtigere“ Dinge.

Ein bislang ungeklärtes Phänomen ist hier aber die Tatsache, dass Erzieherinnen, Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bei niedrigerer Bezahlung an einen Arbeitsort wechseln, für den sie nicht qualifiziert sind. Aber auch diesbezüglich sollte man nicht vergessen, dass genau diese Menschen mit Ihren tatsächlichen Kompetenzen in Kitas und sozialen Einrichtungen dringend gebraucht werden. Für die Kompensation von Ausfallstunden, für das Verschönern bildungspolitischer Kennzahlen, aber auch für eine Menge Geld wird so beginnend in der Elementarbildung durch alle Schulsegmente die ohnehin nun mittelmäßige Qualität vorsätzlich verschlechtert.

Wo bleiben die Proteste der Schüler und der Elternverbände? Wie positionieren sich hier die Lehrerverbände? Was sagt dazu unsere Bildungsministerkonferenz bzw. deren Ständige Wissenschaftliche Kommission? News4teachers

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