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Migrationsquote an Schulen deckeln – Chance für Integration oder Symbolpolitik? Zwei prominente Stimmen im Streitgespräch

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BERLIN. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) will über eine Migrationsquote an Schulen nachdenken – und stößt damit eine alte Debatte neu an. Die Journalistin Hatice Akyün sagt: Ja, bitte! Der Bildungsforscher Kai Maaz hält dagegen: Nein, das ist pädagogisch unsinnig. Wir haben ihre jeweiligen Argumente mal gegeneinander gesetzt.

Pro oder contra? (Symbolfoto) Foto: Shuttertock

In der deutschen Bildungspolitik sorgt die Idee einer Migrationsquote an Schulen regelmäßig für Kontroversen – zuletzt vor zwei Wochen, als Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) anregte, über eine Begrenzung des Anteils von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund nachzudenken. Eine Verteilung könne womöglich die Lernbedingungen für alle verbessern (News4teachers berichtete).

Zwei, die sich dazu öffentlich in Stellung gebracht haben, sind die Journalistin Hatice Akyün und der Bildungsforscher Prof. Kai Maaz. Akyün, selbst Tochter türkischer Einwanderer und Preisträgerin des Theodor-Wolff-Preis sowie des Publizistenpreises der Deutschen Bibliotheken, hat sich in einem Beitrag für die „Zeit“ unter dem Titel „Migrationsquote? Ja, bitte!“ klar positioniert – und spricht dabei aus biografischer wie bildungspolitischer Perspektive.

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Auf der anderen Seite steht Maaz, geschäftsführender Direktor des DIPF | Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt und Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz. In einem Interview mit dem „Focus“ warnt er nachdrücklich vor einer Migrationsquote – aus pädagogischen, sozialen und verfassungsrechtlichen Gründen.

Wir haben die Argumente aus den beiden Beiträgen gegeneinandergestellt:

Integration gelingt durch kulturelle Anpassung (oder?)

Pro: Akyün beschreibt Integration als Erfahrungsprozess in einer heterogenen, aber deutsch geprägten sozialen Umgebung. Sie betont, wie wichtig der Kontakt zu deutschen Kindern für ihre persönliche Entwicklung war. „Ich wuchs in Duisburg-Marxloh selbstverständlich mit deutschen Kindern auf. Das Dazugehören habe ich mir nicht erarbeiten müssen, es wurde mir zuteil, weil meine Eltern es zugelassen haben – und ich es wollte. […] Meine Grund- und Hauptschulklassen mit mehrheitlich deutschen Kindern öffneten erst meinen Blick für alles, was jenseits der türkisch-muslimisch-traditionellen Erziehung meiner Eltern war. Es gab mir die Chance, unser Familienkonstrukt zu hinterfragen, eigene Wünsche zu entwickeln, die zu meinen Überzeugungen reifen konnten.“

Contra: Maaz hingegen hält die Vorstellung einer Umverteilung von Kindern für realitätsfern und warnt vor negativen sozialen Folgen, wenn Kinder aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen würden. „Eine künstlich gesetzte Quote wäre realitätsfern und organisatorisch kaum zu bewältigen. […] Stellen Sie sich einen Stadtteil mit 70 oder 80 Prozent Zuwandereranteil vor. Sie müssten große Gruppen von Kindern in andere Bezirke fahren. Die Kinder würden aus ihren sozialen Räumen herausgerissen werden.“

Sprachkompetenz entwickelt sich spielerisch (oder durch frühkindliche Förderung?)

Pro: Für Akyün war die sprachliche Integration ein Nebeneffekt der alltäglichen Begegnung mit deutschen Kindern. Sie betont, wie viel sie durch den zwanglosen Kontakt gelernt hat. „Dass ich im wahrsten Sinne des Wortes ‚spielend‘ die deutsche Sprache lernen konnte, weil mir – umgeben von deutschen Kindern – gezwungenermaßen nichts anderes übrigblieb, ist die Kirsche auf meiner Integrationstorte.“

Contra: Maaz hält frühkindliche Sprachförderung für den entscheidenden Schlüssel – systematisch organisiert und professionell durchgeführt, nicht abhängig vom Zufall sozialer Zusammensetzung. „Wichtig wäre, Strukturen in Kitas und Grundschulen aufzubauen, um Kinder in ihrer sprachlichen, aber auch sozialen und emotionalen Entwicklung zu unterstützen. […] Sprachbildung ist kein Zusatzangebot, sie ist integraler Bestandteil pädagogischer Qualität – gerade auch in den Kitas. […] Das gelingt nur, wenn pädagogische Fachkräfte dafür qualifiziert sind und die strukturellen Bedingungen passen: kleinere Gruppen, ausreichend Zeit, eine reflektierte Haltung und kommunikative Kompetenz.“

Kulturelle Homogenität fördert Abschottung (aber: Ist Migration ein sinnvolles Kriterium?)

Pro: Akyün warnt vor Klassenzusammensetzungen, in denen Kinder ausschließlich unter ihresgleichen bleiben – das begünstige die Entstehung von Parallelwelten. „Wenn in Klassen nur Kinder sitzen, die aus dem gleichen kulturellen Umfeld stammen, dann wächst in manchen Schulen eine Generation heran, die sich fast zwangsläufig in Provokation und Abwertung mit denen aufschaukelt, die den Werten und Traditionen dieser Gruppe nicht entsprechen. […] Wo Kinder aber ‚unter sich‘ bleiben, entstehen Parallelwelten und sie leben das Leben ihrer Eltern weiter.“

Contra: Maaz widerspricht der Relevanz des Merkmals „Migrationshintergrund“ an sich. Für ihn ist es weder trennscharf noch praxistauglich – entscheidend seien sozioökonomische Unterschiede, nicht kulturelle Herkunft. „Migration ist kein einheitliches, sondern ein hochdifferenziertes Merkmal – es sagt wenig über Sprachstand oder Bildungsnähe aus. […] Es gibt Kinder mit Zuwanderungsgeschichte, die einwandfrei Deutsch sprechen – und zugleich Kinder ohne Migrationshintergrund mit erheblichen sprachlichen Defiziten. […] Entscheidend sind sozioökonomische Faktoren – nicht die regionale Herkunft.“

Politik muss handeln (oder geht’s hier nur um Symbolpolitik)?

Pro: Akyün kritisiert, dass politische Vorschläge wie der von Karin Prien vorschnell diskreditiert werden – und dass so reale Chancen verspielt werden. „Dass eine Quote auch für migrantische Schülerinnen und Schüler ein großer Vorteil wäre, ging im großen Aufschrei der Bildungsverbände (‚Stigmatisierung‘), SPD (‚Ausgrenzung‘) und Linkspartei (‚populistische Plattitüden‘) unter. […] Deutsche Bildungspolitik bleibt also auch nach Jahrzehnten so, wie sie immer war: Glückssache.“

Contra: Maaz sieht den Vorstoß hingegen als Ausdruck einer verkürzten Symbolpolitik, die weder rechtlich noch pädagogisch zu verantworten sei. „Der Vorschlag ist nicht zu Ende gedacht worden. […] Eine Migrationsquote in der Schule wäre mit einem enormen organisatorischen Aufwand verbunden, sie ist praktisch nicht umsetzbar, pädagogisch nicht sinnvoll und menschlich fragwürdig. […] Ein System, das auf Ausgrenzung basiert, kann keine Zukunft haben.“

Kultur ist das entscheidende Kriterium (oder nicht?)

Pro: Akyün hält kulturell gemischte Klassen für bereichernd – sie fördern die Offenheit aller Beteiligten und relativieren kulturelle Wahrheiten. „Klassen, in denen deutschtürkische, deutsche, deutschsudanesische und syrische Kinder zusammensitzen, haben für alle nur Vorteile. Denn allen ist in einem solchen Kontext klar: Die Verkehrssprache ist Deutsch und die Kultur ist immer relativ.“

Contra: Maaz hält dem entgegen, dass nicht die kulturelle Herkunft, sondern familiäre Bildungsnähe über schulischen Erfolg entscheide. „Auch in Klassen ohne Kinder mit Migrationshintergrund treten Leistungsprobleme auf. […] Häufig fehlt in den betroffenen Familien das Bewusstsein dafür, wie wichtig Bildung ist. […] Oft stehen hinter Problemen nicht Merkmale, die sich auf die Migration beziehen, sondern auf den sozialen Hintergrund der Familie.“

Verwaltungssteuerung als Lösung (oder verfassungsrechtlich bedenklich?)

Pro: Akyün schlägt ein differenziertes Steuerungssystem durch Schulämter vor, das auf individuelle Bedarfe eingeht und transparent ist. „Schulämter könnten die Verteilung der Schülerinnen und Schüler übernehmen – orientiert am Sprachstand, Integrationsbedarf und Leistungsniveau. […] Voraussetzung dafür wäre eine vorherige Differenzierung, damit gut integrierte Kinder nicht benachteiligt werden. […] Auch die Eltern müssen einbezogen werden. Gerade sie müssen verstehen, dass es hier um eine Chance geht – für ihr Kind.“

Contra: Maaz warnt, dass eine solche Steuerung rechtlich problematisch sei – und soziale Wohnlagen ließen sich nicht einfach umsortieren. „Eine Quote für Kinder aus bildungsfernen Haushalten ist in meinen Augen genauso wenig vereinbar mit dem Grundgesetz wie eine Obergrenze für Kinder mit Migrationshintergrund. […] Wohnlagen und soziale Räume lassen sich nicht per Verordnung auflösen.“

Quoten als Impuls zur Veränderung (oder ein völlig falscher Hebel?)

Pro: Für Akyün sind Quoten keine perfekte Lösung – aber ein realistischer Schritt, um Bewegung ins Bildungssystem zu bringen. „Auch eine gut umgesetzte Migrationsquote würde Aufwand bedeuten, das ist mir klar. Und ich weiß als Frau auch nur zu gut, dass Quoten kein Allheilmittel sind. Aber sie sind eine erste Maßnahme mit einer Perspektive für die Zukunft, und diese hier würde das Schulumfeld aller Kinder direkt verändern und damit so viel in Bewegung bringen.“

Contra: Maaz sieht dagegen in Quoten keine tragfähige Strategie – echte Bildungsreformen müssten weit über das hinausgehen. „Wir brauchen realistische, umsetzbare Lösungen, die jedes Kind dort abholen, wo es steht – unabhängig von Herkunft, Sprache oder sozialem Status. […] Bildungspolitik darf nicht zur symbolpolitischen Stellschraube werden – wir brauchen realistische, umsetzbare Lösungen.“ News4teachers

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