GREIFSWALD. Ein Schüler zeigt in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz eine Geste, die im Netz als rassistisches Erkennungzeichen kursiert. Doch die Intention ist laut Gericht nicht eindeutig belegt. Dem schließt sich das Schulamt nun an – und hebt einen bereits verhängten Schulverweis auf. Das Internationale Auschwitz Komitee (in dem Überlebende des Konzentrationslagers zusammengeschlossen sind) hatte dagegen von «rechtsextremen Entgleisungen» gesprochen.
Der Schulverweis eines Greifswalder Schülers wegen seines Verhaltens in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz ist nach einer Gerichtsentscheidung aufgehoben worden. Das teilte das Bildungsministerium in Schwerin mit. Im Fall eines zweiten betroffenen Schülers laufen noch Gespräche, wie ein Ministeriumssprecher auf Anfrage erklärte. Die Eltern des zweiten Jungen haben Widerspruch gegen den Schulverweis eingelegt, wie es hieß.
Beide waren als Schüler einer neunten Klasse im Mai auf Gedenkstättenfahrt in Auschwitz. Dort soll der Junge, dessen Schulverweis jetzt aufgehoben wurde, eine Geste gezeigt haben, die das Staatliche Schulamt Greifswald als rechtsextreme White-Power-Geste interpretierte. Der andere soll den Vorfall gefilmt haben.
«Danach ist bei mehrdeutigen Äußerungen oder Gesten stets im Zweifel die Deutung zu wählen, die der Meinungsfreiheit größtmöglichen Raum lässt»
Das Verwaltungsgericht Greifswald, vor das die Eltern des einen Jungen zogen, interpretierte die Geste anders und entschied im Juni, dass der Schulverweis vorläufig nicht umgesetzt werden darf. Die von dem Jugendlichen gezeigte Geste erinnere an ein Zeichen, das auch von Tauchern verwendet werde, begründete das Gericht seine Entscheidung.
Das Schulamt legte dagegen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein. Dieses ließ nun laut Bildungsministerium in einem sogenannten Hinweisbeschluss erkennen, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit anzuwenden.
«Danach ist bei mehrdeutigen Äußerungen oder Gesten stets im Zweifel die Deutung zu wählen, die der Meinungsfreiheit größtmöglichen Raum lässt», erläuterte der Ministeriumssprecher. Aus Respekt vor der gerichtlichen Auffassung und um eine ungestörte Schullaufbahn des Schülers im Abschlussjahr zu ermöglichen, halte das Staatliche Schulamt Greifswald seine Interpretation der Geste nicht mehr aufrecht und habe seine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht zurückgenommen.
«Mit dem Zeigen des ‘White-Power-Grußes’ in der Gedenkstätte Auschwitz haben sich die Schüler aus Greifswald bewußt für die Vorherrschaft der weißen Rasse eingesetzt»
Wie das Bildungsministerium weiter erklärte, soll extremistischen Tendenzen an Schulen weiter entschlossen entgegengetreten und bei Verfehlungen mit Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen reagiert werden. Nach dem Vorfall in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz sei ein Handlungsleitfaden für ein respektvolles Verhalten beim Besuch von Mahn- und Gedenkstätten erarbeitet worden. Er soll den Angaben zufolge spätestens nach den Herbstferien den Schulen im Land zur Verfügung stehen.
«Mit dem Zeigen des ‘White-Power-Grußes’ in der Gedenkstätte Auschwitz haben sich die Schüler aus Greifswald bewußt für die Vorherrschaft der weißen Rasse eingesetzt und sich damit – gerade an diesem Ort – für die weitere Vernichtung und Ermordung sogenannter ‘Untermenschen’ ausgesprochen», erklärte Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees nach Bekanntwerden des Falls im Juni.
Und weiter: «Auschwitz-Überlebende bewerten die Haltung und das Handeln dieser jungen Menschen als agressiv, herzlos und infam: Am Tatort des Völkermordes beleidigen diese Jugendlichen die dort ermordeten Angehörigen der Überlebenden und sie verhöhnen die Erinnerungen und Empfindungen der Überlebenden selbst, indem sie ihre Aktion in den sozialen Medien öffentlich demonstrieren. Dass nun auch die Eltern der betroffenen Jugendlichen scheinbar überhaupt nicht verstehen, welche Dimension von Gewalt und Hass der Aktion ihrer Kinder innewohnt, und sich gegen erzieherische Strafmaßnahmen verwehren, ist für die Überlebenden von Auschwitz unverständlich und besonders bedrückend.»
Der Fall der beiden Schüler aus Greifswald ist nicht der erste dieser Art. Vier Neuntklässler aus Görlitz zeigten im März den White-Power-Gruß in Auschwitz – und posteten ein Foto von ihrer Aktion auf Instagram. Berichte über die Provokationen erschienen in internationalen Medien wie der britischen «Times». News4teachers / mit Material der dpa
Rechtsextreme Provokationen von Schülern in Auschwitz – fast schon normal?