DRESDEN. In Sachsen läuft das Anti-Mobbing-Programm „Gemeinsam Klasse sein“ seit zwei Jahren – und die Evaluation zeigt: Es wirkt. Das Angebot an Schulen gibt es nicht nur im Freistaat. Das Präventionsangebot wird inzwischen in allen 16 Bundesländern eingesetzt und stärkt Lehrkräfte dabei, Mobbing und Cybermobbing wirksam vorzubeugen.
In einer 6. Klasse kursiert plötzlich ein Bild im WhatsApp-Gruppenchat: Eine Fotomontage zeigt einen Mitschüler mit einem Kothaufen auf dem Kopf, versehen mit spöttischem Text. Kurz darauf folgt eine Sprachnachricht mit einer massiven Drohung. Für den Betroffenen ist das zu viel – er bleibt dem Unterricht fern. Der Vorfall stammt aus einer Fallgeschichte der Präventionsplattform klicksafe.de und steht beispielhaft für das, was Cybermobbing für Kinder bedeuten kann: Angst, Rückzug und ein zerstörtes Sicherheitsgefühl – nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause.
Was lässt sich womöglich schon im Vorfeld tun, um solche Konflikte, die den Unterricht massiv beeinträchtigen können, gar nicht erst entstehen zu lassen? Seit zwei Jahren läuft das Anti-Mobbing-Programm „Gemeinsam Klasse sein“ in Sachsen – und die Bilanz ist positiv: 48 Schulen im Freistaat setzen bereits auf das digitale Präventionsangebot. Laut Evaluation fühlen sich Schülerinnen und Schüler deutlich gestärkt im Erkennen von Mobbingsituationen und in ihrem Handlungsspielraum. Lehrkräfte und Sozialarbeiter attestieren der begleitenden Online-Plattform hohe Praxistauglichkeit, und Klassen berichten von einem merklich besseren Klima.
Lehrkräfte erhalten kostenfreie Materialien und können bis zu fünf Projekttage gestalten – ein klares Signal gegen das Dulden von Mobbing. Patrick Schreiber, Präsident des Landesamts für Schule und Bildung in Sachsen, unterstreicht: „Mobbing ist seelische Gewalt, vor der wir Kinder und Jugendliche schützen müssen.“
„Gemeinsam Klasse sein“ bundesweit – digital, präventiv, wirkungsvoll
Ursprünglich in Hamburg entwickelt, wird das Programm seit dem Schuljahr 2019/2020 flächendeckend in allen 16 Bundesländern angeboten – in Kooperation mit den jeweiligen Fachbehörden. Lehrkräfte absolvieren eine Fortbildung und erhalten Zugang zur Online-Plattform: ein digitaler Werkzeugkasten mit Filmen, Tutorials, Arbeitsblättern, Leitfäden – ideal für eine Projektwoche oder modulare Integration im Unterricht.
Basis der Evaluation sind Befragungen von rund 1.800 Schülerinnen und Schülern in fünf Bundesländern – vor und sechs Monate nach Teilnahme:
- 90 Prozent gaben an, ihr Wissen über Mobbing und Cybermobbing deutlich erweitert zu haben.
- 87 Prozent fühlten sich besser darin, Mobbing zu erkennen.
- Die Bereitschaft, Hilfe bei Erwachsenen zu suchen, stieg auf 77,1 Prozent bei eigener Betroffenheit und 80,6 Prozent beim Beobachten von Mobbing.
Auch Lehrkräfte berichten, dass sie Mobbing besser erkennen, angemessener reagieren und professioneller mit Eltern und Kollegien darüber kommunizieren können. Maren Puttfarcken von der TK-Landesvertretung Hamburg betont die heutige Brisanz von Cybermobbing: „Früher konnten Jugendliche dem Mobbing in der Schule zuhause entkommen. Heute verfolgt Cybermobbing sie online rund um die Uhr bis ins Kinderzimmer. Umso wichtiger ist es, Kinder und Jugendliche so früh wie möglich aufzuklären.“
Der Sozialpädagoge Holger „Holly“ Hülsemann vom Hamburger Gymnasium Finkenwerder war von Anfang an dabei und beschreibt, warum er das Projekt für so wirksam hält: „Mobbing ist eines der großen Themen auf dem Schulhof. Hohe Fehlzeiten, Krankmeldungen, frühes Gehen – oft steckt Mobbing dahinter. Deshalb ist es wichtig, früh präventiv tätig zu werden – nicht nur als Sozialpädagoge, sondern als gesamte Schule.“
Er schildert den Ablauf: „Die Schüler lernen erst einmal, was Mobbing und Cybermobbing ist – und dass Worte verletzen können. Wir üben, worauf es im Umgang miteinander ankommt, und machen deutlich, dass Mobbing auch strafrechtlich verfolgt werden kann. Am Ende steht für alle der Satz: ‚Hilfe holen ist kein Petzen, sondern dient der Gerechtigkeit!‘“
Besonders wichtig sei das Modul zum Cybermobbing: „Hier wird den Schülern klar, welche rechtlichen Konsequenzen das haben kann und welche Auswirkungen es auf die Betroffenen hat. Sie nehmen das Projekt sehr ernst – viele berichten, dass sie die Inhalte zu Hause umsetzen, etwa ‚keine Handys beim Abendessen‘. Manche wollen nach der Projektwoche nicht aufhören, sondern bringen das Thema weiter im Klassenrat oder in Projekten ein.“
Wenn Prävention und Intervention zusammenkommen
„Gemeinsam Klasse sein“ setzt auf Vorbeugung, vermittelt aber auch Lehrkräften das Rüstzeug zur Intervention – manchmal ist dann doch akutes Eingreifen nötig. Genau das zeigt der eingangs geschilderte Fall aus der klicksafe-Dokumentation: Die Schule reagierte sofort. Die Klassenlehrerin informierte das Kollegium, organisierte ein Gespräch mit allen Beteiligten und nahm die Drohung ernst. Der Täter – in der Fallbeschreibung „Mika“ genannt – musste eine schriftliche Gewaltverzichtserklärung abgeben. Für das Opfer wurden Schutzmaßnahmen vereinbart. In der Klasse wurde das Geschehen moderiert aufgearbeitet, um das Miteinander neu zu ordnen.
Ergebnis laut klicksafe.de: Die Attacken hörten auf, das Klassenklima verbesserte sich spürbar. News4teachers / mit Material der dpa
Schulen aus allen Bundesländern, die am Projekt teilnehmen wollen, können sich an ihre jeweiligen regionalen Ansprechpersonen wenden. Hier geht es zu einer Liste dieser Ansprechpersonen.