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“Sitzen ist das neue Rauchen”: Bewegungsmangel beginnt mit der Grundschule

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BERLIN. Die Deutschen sitzen so viel wie nie zuvor: Im Schnitt mehr als zehn Stunden täglich – das zeigt eine neue Umfrage der Deutschen Krankenversicherung (DKV). Besonders alarmierend: Nur ein Drittel der Vielsitzer bewegt sich ausreichend, um die gesundheitlichen Risiken auszugleichen. Das Problem beginnt früh. Denn auch Kinder sitzen zu viel – vor allem in der Schule. Experten schlagen Alarm: Bewegungsmangel macht krank, schon in der Grundschule.

Langes Sitzen ist ungesund. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Zehn Stunden – so lange sitzen Menschen in Deutschland durchschnittlich an einem Werktag. Das ist ein historischer Höchstwert. Die Deutsche Krankenversicherung (DKV) hat diesen Wert gemeinsam mit der Sporthochschule Köln und der Universität Würzburg ermittelt. Zwar beziehen sich die Daten auf Erwachsene, doch Fachleute schlagen auch mit Blick auf Kinder Alarm: Der Trend zur „Generation S“ – S wie „sitzender Lebensstil“ – setzt bereits in der Grundschule ein.

Die Studie verdeutlicht: 3,5 Stunden sitzen Erwachsene im Schnitt bei der Arbeit, 2,5 Stunden verbringen sie vor dem Fernseher, dazu kommen Fahrzeiten, Zeit am Tablet oder Computer – und das alles ohne nennenswerte körperliche Aktivität. Nur 30 Prozent der sogenannten Vielsitzer gleichen das durch eine Stunde Bewegung am Tag aus – was laut WHO das absolute Minimum ist, um gesund zu bleiben.

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„Sitzen ist das neue Rauchen“, sagte Ingo Froböse, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln während einer Pressekonferenz. Er nannte die Ergebnisse „tragisch“ und „gesundheitsgefährdend“. Auch zwei bis drei Sporteinheiten pro Woche könnten die langen Sitzzeiten nur bedingt ausgleichen. Nötig für diese Menschen seien mindestens 60 Minuten körperlicher Aktivität pro Tag, erklärte die wissenschaftliche Leiterin der Studie, Birgit Sperlich von der Uni Würzburg.

Übergewicht bei Grundschülern: Rekordwert 2024

Dass sich die Folgen dieses Bewegungsmangels längst auch in der Schule zeigen, dokumentiert das Fitnessbarometer 2025 der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg (News4teachers berichtete). Mehr als 45.000 Kinder aus dem Bundesland wurden dafür getestet. Das Ergebnis ist alarmierend: 15 Prozent der Drei- bis Zehnjährigen gelten als übergewichtig, 6,5 Prozent sogar als adipös. Studienleiter Prof. Klaus Bös vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sagt: „Im Jahr 2024 wurde ein neuer Höchststand erreicht.“

Besonders kritisch ist laut Bös der Übergang von der Kita zur Schule: „Ab dem Alter von sechs Jahren steigt der Anteil übergewichtiger Kinder deutlich an – und bleibt dann hoch.“ Der Ludwigsburger Kinderarzt Thomas Kauth formuliert es drastisch: „Unsere Kinder sitzen sich in der Grundschule krank.“

Bewegung? Fehlanzeige im Schulalltag

Warum ausgerechnet die Schule hier eine Schlüsselrolle spielt, macht das vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Projekt „GrundGesund“ der Universität Osnabrück deutlich. Kinder verbringen morgens täglich mehrere Stunden im Sitzen – frontal unterrichtet, still und konzentriert. In der Freizeit setzen sich die sitzenden Aktivitäten dann fort: Fernsehen, Computer, Handy oder Spielekonsole.

„Bewegung sollte ein zentraler Bestandteil jeder Schule sein“, heißt es bei „GrundGesund“. Doch davon ist vielerorts wenig zu spüren. Zwar gibt es Sport- und Schwimmunterricht – aber zu selten, zu kurz und oft auch zu leistungssportlich geprägt. Die Folge: Kinder verlieren die Freude an Bewegung und entwickeln stattdessen schlechte Gewohnheiten, die sich dauerhaft einprägen.

Körperliche Folgen: Schon Grundschüler mit Bluthochdruck

Der Bewegungsmangel bleibt nicht folgenlos. Kinderarzt Kauth warnt: „Übergewichtige Kinder werden krank – wir müssen endlich wirksam dagegen vorgehen.“ Bereits Grundschüler litten unter Gelenkproblemen, Bluthochdruck oder ersten Stoffwechselstörungen. Hinzu kommen psychische Belastungen wie geringes Selbstwertgefühl oder Ausgrenzung.

Und: Wer in jungen Jahren übergewichtig ist, hat ein deutlich höheres Risiko, auch als Erwachsener gesundheitliche Probleme zu bekommen. Studienleiter Bös fordert deshalb: „Kinder müssen frühzeitig für Bewegung begeistert werden.“ Ein möglicher Einstieg sei Kinderturnen oder die Mitgliedschaft im Sportverein – aber dafür brauche es vor allem eines: Zeit und Unterstützung durch Eltern, Schule und Kommune.

Wie Schulen Bewegung fördern können

Lösungen für bewegungsfreundlichere Schulen gibt es längst. Das Projekt „GrundGesund“ empfiehlt zum Beispiel sogenannte Laufdiktate, bei denen Kinder Texte von Stationen im Klassenraum abschreiben, oder Stationslernen, bei dem sich Lern- und Bewegungsaufgaben verbinden. Auch kleine Bewegungspausen zwischen Unterrichtseinheiten könnten helfen – oder eine tägliche Sportstunde, wie sie viele Fachleute fordern.

Susanne Weimann von der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg betont: „Die Angebote sind da – sie müssten nur die Kinder erreichen, die sie am meisten brauchen.“ Es gehe nicht darum, den gesamten Unterricht umzukrempeln, sondern Bewegung als selbstverständlichen Teil des Schulalltags zu begreifen.

Hier geht es zum Projekt „GrundGesund“. 

Immer mehr Übergewichtige: “Unsere Kinder sitzen sich in der Grundschule krank”

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