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Leben die Alten auf Kosten der Jungen? Schülervertreter beklagt Ungerechtigkeit: “Wir sind eine Geber-Generation!”

BERLIN. Während die Kultusminister über Social-Media-Verbote für Jugendliche diskutieren, warnt Quentin Gärtner vor einem viel größeren Problem: einer Schieflage in der Generationen-Gerechtigkeit. Der 18-jährige Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz spricht von einer „Krise der psychischen Gesundheit“ und sieht seine Altersgenossen als „Geber-Generation“, die immer mehr Lasten trägt – ohne ausreichende Unterstützung. Wir haben seine Kritik mit den Einschätzungen namhafter Wissenschaftler aus jüngster Zeit abgeglichen.

Noch fair? (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

In diesen Tagen beginnt in vielen Bundesländern das neue Schuljahr. Für Quentin Gärtner, 18 Jahre alt, frisch gebackener Abiturient und Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, ist das kein Grund zur Freude. „Wir erleben eine Krise der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Millionen von Schülern geht es nicht gut. Jeden Tag melden sich Jugendliche bei mir, die von Mobbing, Diskriminierung oder Panikattacken im Unterricht berichten. Viele von ihnen schaffen es nicht mehr, dauerhaft am Schul-Leben teilzunehmen. Leider sind das schon lange keine Einzelfälle mehr“, so sagt er in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

„Schulen sind keine Orte, die das auffangen“

Die Pandemie hat Spuren hinterlassen. Gärtner sagt: „Depressionen, selbst verletzendes Verhalten, Angst- und Essstörungen haben sich mit der Corona-Pandemie rasant in meiner Generation verbreitet. Mittlerweile beschreibt mehr als jeder vierte Schüler seine eigene Lebensqualität als gering. Schulen sind keine Orte, die das auffangen, ganz im Gegenteil. Wir werden strukturell von Staat und Gesellschaft vernachlässigt.“

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Auch Wissenschaftler sehen diese Entwicklung. Laut dem Deutschen Schulbarometer, das die Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit der Universität Leipzig veröffentlicht hat, bewerten rund 27 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen ihre eigene Lebensqualität als niedrig. Jugendforscher Prof. Klaus Hurrelmann erklärte noch unlängst: „Verschiedene Studien zeigen ein hohes Maß an subjektiv empfundener Belastung, an Stress, Angst und eine Zunahme an psychischen Störungen.“ Junge Menschen seien „psychisch, ökonomisch, sozial“ zunehmend überfordert.

„Uns fehlen flächendeckend Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter“

Nach Ansicht Gärtners ist klar, woran es mangelt: „Uns fehlen flächendeckend Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter. Das können die Lehrkräfte nicht leisten, dafür wurden sie nicht ausgebildet, dafür fehlen Fortbildungen.“

Doch seine Kritik geht noch weiter: „Wir brauchen Lehrpläne, die sich an den Bedürfnissen der Schüler orientieren und nicht einfach Bulimie-Lernen verordnen. Die Schule muss sich mehr am realen Leben ausrichten. Wir brauchen weniger Faust und Hexenverbrennung, mehr KI-Kompetenz und Demokratiebildung.“

Damit trifft er sich mit der Analyse des Dortmunder Soziologen Prof. Aladin El-Mafaalani, der fordert, Schulen stärker als Lebensorte zu begreifen: „Schulkinder verbringen heute mehr Zeit in der Institution Schule als mit ihren Eltern. […] Alles, was in unserer Gesellschaft eine Rolle spielt, muss erfahrbar sein in den Bildungsinstitutionen.“ Kinder seien in Deutschland „in der Minderheit. Eine Minderheit, die nachweislich in ganz vielen Bereichen besorgniserregende Befunde aufweist.“

„Wir brauchen 100 Milliarden für die Schulen“

Die Forderung an die Politik ist für Gärtner unmissverständlich: „Wir brauchen 100 Milliarden für die Schulen, denn WIR sind die kritische Infrastruktur. Wir müssen Kinder und Jugendliche unterstützen und resilient machen.“

Was das praktisch bedeutet, formuliert er so: „Wir müssen den Notendruck eliminieren und Schüler ernst nehmen, nach ihren Interessen schauen und sie dort fördern, wo sie stark sind. Also weg mit starren Lehrplänen und mehr Freiheit in den Klassenzimmern!“

Auch Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sieht Bildung als Schlüssel. Er schlägt vor, die Schuldenbremse umzuwidmen: „Sie muss generationengerecht werden. Sie sollte zwischen guten und schlechten Schulden unterscheiden. Ausgaben für Bildung sind meist sehr sinnvolle Schulden. Wenn wir 100 Euro mehr für Lehrer und Schulen ausgeben, bekommen wir langfristig 200 bis 300 Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen zurück. Für solche Schulden sollte es keine Begrenzung geben.“

„Die Verbote bringen rein gar nichts“

Statt Investitionen und Unterstützung rückt jedoch eine ganz andere Debatte in den Vordergrund: Social-Media-Verbote für junge Menschen. Für Schülervertreter Gärtner ist das der falsche Weg: „Das ist eine extrem frustrierende Entwicklung. Den Bildungsministern der Republik fällt offenbar nichts Besseres ein, als Verbote zu beschließen, die obendrein rein gar nichts bringen. Verbote werden immer umgangen, die lassen sich überhaupt nicht umsetzen.“

Seine Alternative: „Stattdessen sollten wir Kinder und Jugendliche fit machen für die Welt, in der sie leben – dazu gehören eben auch soziale Medien. Die richtige Antwort wäre eine altersgerechte Medienbildung in den Schulen. Aber Bildungsministerin Karin Prien holt uns nicht mal mit an den Tisch, wenn sie dazu eine Expertenkommission einsetzt. Fragt uns doch mal, was wir brauchen, um vernünftig mit sozialen Medien umzugehen! Wir sind die Experten für unser Leben.“

„Wir sind eine Geber-Generation“

Auch jenseits der Schule sieht Gärtner seine Generation in einer schwierigen Lage: „Die Rentenpläne der Bundesregierung zeigen, dass Generationengerechtigkeit für Schwarz-Rot scheinbar nur in eine Richtung funktioniert: Statt in die Generation zu investieren, die die Rente einmal tragen muss, gehen wir erneut leer aus. Um das klar zu machen: Wir wissen, dass wir weniger rausbekommen werden, als wir im Leben einzahlen. Wir wissen, dass wir es sind, die die Klimakrise lösen müssen. Und wir werden dieses Land verteidigen müssen. Wir sind eine Geber-Generation.“

Prof. Marcel Fratzscher bestätigt diese Sichtweise: „Junge Menschen haben heute deutlich schlechtere Möglichkeiten auf eine selbstbestimmte Zukunft, ihre Fähigkeiten und Talente zu entwickeln, als das vor 40 Jahren der Fall war. Ihnen werden Rechte vorenthalten, die zu einem Generationenvertrag gehören.“ Er spricht von einem „eklatanten Bruch des Generationenvertrags“.

Historisch, so Fratzscher, „versorgten in den Sechzigerjahren sechs Beitragszahler eine Rentnerin oder einen Rentner. Bald sind es nur noch zwei. Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen?“

Sein Fazit ist niederschmetternd: „Wir leben noch in einer Fantasiewelt. Viele wollen nicht wahrhaben, dass wir nicht mehr so weiterleben können wie bisher. Weder wirtschaftlich noch politisch oder gesellschaftlich sind wir auf einem nachhaltigen Pfad. Deutschland steht an einem Wendepunkt. Wegen der Alterung schrumpft Deutschlands Wachstumspotenzial. Rezession wird eher zur Norm werden.“

Und er warnt: „Mich stört an unserer Debatte, dass wir die Lösung unserer Probleme häufig schematisch den Jungen aufbürden.“

„Die Jungen sind hoffnungslos unterlegen“

Doch wer tritt für die Interessen junger Menschen ein? El-Mafaalani weist auf ein zentrales Problem hin: „Nur noch jeder zehnte Mensch in Deutschland ist zwischen 15 und 24 Jahre alt – so wenige wie nie zuvor.“ Ohne Zuwanderung wäre der Anteil noch niedriger. Er nimmt die Boomer in die Pflicht: „Wenn diese Generation jetzt einfach in den Ruhestand geht und sich nicht mehr engagiert für andere gesellschaftliche Bereiche, dann glaube ich nicht, dass es überhaupt funktionieren kann.“

Fratzscher ergänzt: „In unserer Demokratie haben die Jungen wenig Sichtbarkeit, sie werden wenig gehört. Zahlenmäßig sind sie hoffnungslos unterlegen. Nur 13 Prozent der Wähler waren bei der Bundestagswahl jünger als 30, aber 60 Prozent über 50 Jahre. Das ist aktuell die Grundlage ihrer Macht.“

Damit bleibt die Frage offen, ob Gärtners Appell gehört wird. Er selbst lässt keinen Zweifel, was für ihn Priorität hat: „Die Politik muss junge Menschen endlich mit ihren Sorgen und Nöten ernst nehmen, sie einbeziehen und in sie investieren.“ News4teachers

Leben die Alten auf Kosten der Jungen? Debatte um soziales Pflichtjahr für Senioren (in Schulen) kocht hoch

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