SCHWERIN. Darf eine Lehrkraft im Klassenzimmer klar gegen Rechtsextremismus Stellung beziehen – oder muss sie sich „politisch neutral“ auch gegenüber radikalen Positionen verhalten? In Mecklenburg-Vorpommern will die Landesregierung nun Lehrkräften mehr Sicherheit geben: Der Beutelsbacher Konsens soll ausdrücklich ins Schulgesetz aufgenommen werden. Während Bildungsministerin Oldenburg das als Stärkung für die Demokratieerziehung versteht, spricht die AfD von „Gesinnungspolitik“.
Plötzlich rückt der Herbst 1976 ganz dicht an den Herbst 2025 heran. Damals wurde im baden-württembergischen Beutelsbach ein Minimalkonsens für den Politikunterricht formuliert, der seither als Orientierung für politische Bildung in Deutschland gilt. Nun will die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern diese Grundsätze ausdrücklich im Schulgesetz verankern – und stößt damit auf Zustimmung und Widerstand zugleich.
Die Pläne der Landesregierung
„Um Lehrkräften Handlungssicherheit zu geben“, will Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) den Beutelsbacher Konsens mit seinen drei Prinzipien – Überwältigungsverbot, Kontroversität und Schülerorientierung – ins neue Schulgesetz aufnehmen lassen. Dies berichtet der „Nordkurier“. Die geplante Änderung solle „mehr Klarheit und Sicherheit für die Lehrkräfte schaffen, gerade in diesen Zeiten, in denen kontrovers über Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt gestritten wird“, so Oldenburg.
Die Ministerin betont dabei: „Grundsätzlich muss das Missverständnis ausgeräumt werden, dass der Beutelsbacher Konsens ein Neutralitätsgebot beschreibt. Das heißt, Lehrkräfte müssen politisch nicht neutral sein. Sie dürfen ihre eigene politische Meinung ausdrücken. Aber sie müssen dafür sorgen, dass auch andere Auffassungen, die für den Unterricht erheblich sind, zur Geltung kommen.“
Die Grenze sei klar: „Die äußere Grenze findet sich in den Grundsätzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Auch unsere Verfassung ist nicht neutral, sie ist wertebasiert“, betonte Oldenburg. Neutralität bedeute also kein politisches Schweigen, sondern lediglich das Verbot einer ideologischen Beeinflussung.
„Schule ist kein Kampagnenraum, sondern der Ort solider Fach- und Allgemeinbildung“
Scharfe Kritik kommt von der größten Oppositionspartei im Schweriner Landtag: der vom Bundesverfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften AfD. „Mit den angestrebten Veränderungen droht eine Verschiebung des Schwerpunktes von der Bildung hin zur Gesinnungspolitik. Schule ist kein Kampagnenraum, sondern der Ort solider Fach- und Allgemeinbildung. Wertebildung entsteht durch Wissen, Urteilskraft und Vorbild, nicht durch politisch gerahmte Belehrung“, erklärte Enrico Schult, bildungspolitischer Sprecher der Partei (der im Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das für die Einstufung „rechtsextremistisch“ grundlegend war, namentlich genannt wird).
Schult kritisiert weiter: „Der Beutelsbacher Konsens ist als Schutz vor Überwältigung und Indoktrinierung gedacht; seine gegenwärtige Auslegung darf nicht zur Ermunterung parteilicher Positionierung werden. Wer es mit Demokratie ernst meint, sorgt für echte Kontroversität und lässt Pluralität zu, einschließlich kritischer und oppositioneller Auffassungen, ohne tendenziöse Vorgaben und ohne Etikettierungen.“ Die AfD wende sich entschieden gegen „die fortschreitende Politisierung und Ideologisierung des Unterrichts“.
GEW: Lehrkräfte dürfen und müssen Haltung zeigen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) widerspricht solchen Forderungen nach angeblicher Neutralität entschieden – und verweist auf den klaren Bildungsauftrag in allen Bundesländern. „Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland müssen nicht politisch neutral sein. Es ist ihre durch das Grundgesetz und die Landesschulgesetze festgelegte Aufgabe, Schüler*innen demokratische Werte wie Menschenrechte und Toleranz zu vermitteln“, erklärt der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller.
Eine strikte Neutralität könne, so Keller, wichtige Diskussionen verhindern und die Bildung der Schülerinnen beeinträchtigen. „Es ist daher entscheidend, dass Lehrkräfte in der Demokratieerziehung politische Werte vermitteln, um Schülerinnen auf eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft vorzubereiten.“ Demokratieerziehung sei in den Landesschulgesetzen aller 16 Bundesländer verankert – und damit „zentrales Element des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags“.
Auch GEW-Chefin Maike Finnern hat sich wiederholt klar positioniert: „Die AfD ist eine Partei mit verfassungsfeindlichen Tendenzen. Das dürfen und sollen Lehrerinnen und Lehrer auch im Klassenraum so sagen.“ Wichtig sei dabei, so Finnern, nicht pauschale Wertungen vorzunehmen, sondern mit den Schülerinnen und Schülern konkrete Aussagen und Vorgänge der Partei zu analysieren und zu diskutieren.
Die GEW betont zudem, dass die Berufung auf ein vermeintliches Neutralitätsgebot in sozialen Medien und von rechten Aktivisten gezielt eingesetzt werde, um die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Klassenzimmer zu unterbinden. Dagegen sei klarzustellen: „Lehrkräfte haben die Pflicht, Haltung zu zeigen – gegen Antisemitismus, Rassismus, Gewaltverherrlichung und menschenverachtende Äußerungen“, so Keller.
Diese Haltung gelte auch über den Unterricht hinaus: „Lehrkräfte haben eine besondere Verantwortung, sich für Demokratie und Vielfalt stark zu machen – auch abseits der Schule,“ erklärte der GEW-Vize. Dazu gehöre ausdrücklich auch die Teilnahme an Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. News4teachers
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