MÜNCHEN. Handschrift und Rechtschreibung gehören zusammen – und sie sind mehr als nostalgische Kulturtechniken. Eine aktuelle Studie aus Norwegen zeigt, dass Schreiben mit der Hand das Gehirn stärker aktiviert als Tippen. Lehrkräfte in Deutschland bestätigen das: Wer die Buchstaben nicht formt, verliert auch beim Rechtschreiben an Sicherheit. Der Philologenverband fordert deshalb ein entschiedenes Gegensteuern – und warnt: Ohne die Handschrift drohen Lücken im Fundament sprachlicher Bildung. Ein Beitrag zum Tag der deutschen Sprache am (heutigen) 13. September.
Die Szene wirkt zunächst unspektakulär: 36 Studierende sitzen in einem Labor in Trondheim, jeder mit einer Art Netz über dem Kopf – gespickt mit 256 kleinen Sensoren. Per EEG messen die Forschenden, was im Gehirn geschieht, während die Probandinnen und Probanden Wörter auf einen Bildschirm schreiben oder dieselben Wörter per Tastatur tippen. Der Versuchsaufbau ist simpel: Mal gleitet der digitale Stift in Schreibschrift über die Touch-Oberfläche, mal tippt ein einzelner Finger wiederholt dieselben Tasten. Doch die Ergebnisse sind deutlich: Schreiben mit der Hand führt zu einer intensiveren Vernetzung im Gehirn als Tippen.
Rechtschreibförderung – aber wie? Diese Frage stellt sich insbesondere an der weiterführenden Schule in den 5. und 6. Klassen immer wieder neu. Das Lernserver-Institut von Prof. Friedrich Schönweiss und seinem Team unterstützt Lehrkräfte mit einem wissenschaftlich fundierten, in der Praxis leicht einsetzbaren Konzept für die Sicherung von Rechtschreibkompetenzen.
Das Prinzip: Auf eine einfach durchzuführende Testung (Münsteraner Rechtschreibanalyse) folgen eine ausführliche Fehleranalyse und die Ermittlung des Förderbedarfs. Daraus erstellt das Tool, begleitet und überwacht von Sprachwissenschaftlern und Lerntherapeuten, individuelle Förderpläne mit konkreten Materialien und didaktischen Hilfestellungen; diese können dann von Lehr- und Förderkräften an der Schule, aber auch in der Nachhilfe oder zuhause gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen umgesetzt werden.
Mit den Lernserver-Materialien arbeiten Kinder ab der 1. Klasse bis hin zu Jugendlichen im Ausbildungsalter. Das Besondere: Die Materialien setzen genau dort an, wo der Schüler oder die Schülerin zuerst Unterstützung braucht – falls nötig noch vor dem orthographischen Bereich. Dadurch wird das notwendige Grundlagenwissen (auch für Kinder mit geringen Deutschkenntnissen oder Deutsch als Zweitsprache) sichergestellt. Mit einem B-Test lässt sich der Kompetenzzuwachs überprüfen und veranschaulichen.
Interessiert? Hier gibt es alle Informationen – schauen Sie vorbei: www.lernserver.de/deutsch.html
Der Lernserver veranstaltet außerdem regelmäßig Webinare rund um den Schriftspracherwerb: www.lernserver.de/der-lernserver/fortbildungen/webinare.html
„Wir zeigen, dass beim Schreiben von Hand die Muster der Gehirnkonnektivität weitaus komplexer sind als beim Tippen auf einer Tastatur“, sagt die Neurowissenschaftlerin Prof. Audrey van der Meer von der Norwegian University of Science and Technology. „Eine so weit verbreitete Konnektivität im Gehirn ist entscheidend für die Gedächtnisbildung und das Enkodieren neuer Informationen – und daher für das Lernen von Vorteil.“
Die Forschenden verweisen darauf, dass es nicht die Technik – digitaler Stift oder Papier – sei, die den Unterschied macht, sondern die motorische Tätigkeit selbst. Beim Schreiben werden feinmotorische Bewegungen ausgeführt, Buchstaben geformt und visuelle Reize stärker verarbeitet. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die visuellen und motorischen Informationen, die durch die präzise kontrollierten Handbewegungen beim Schreiben mit einem Stift gewonnen werden, wesentlich zu den Konnektivitätsmustern des Gehirns beitragen, die das Lernen fördern“, erklärt van der Meer.
Anders beim Tippen: Der immer gleiche Tastendruck mit einem Finger löst weniger komplexe Aktivitäten im Gehirn aus. Van der Meer illustriert die Folgen am Beispiel des Schriftspracherwerbs: „Das erklärt auch, warum Kinder, die gelernt haben, auf einem Tablet zu schreiben und zu lesen, Schwierigkeiten haben können, zwischen Buchstaben zu unterscheiden, die Spiegelbilder voneinander sind – etwa ‚b‘ und ‚d‘. Sie haben buchstäblich nicht mit ihrem Körper gespürt, wie es sich anfühlt, diese Buchstaben zu schreiben.“
Handschreiben fürs Gedächtnis
Das Experiment bestätigt, was viele Pädagoginnen und Pädagogen aus Erfahrung wissen: Wer von Hand schreibt, erinnert sich besser. Die Studie verweist auf zahlreiche Befunde, dass Handschrift nicht nur die Rechtschreibung fördert, sondern auch beim Abspeichern von Wissen hilft. „Es gibt einige Hinweise darauf, dass Studierende mehr lernen und sich besser erinnern, wenn sie handschriftliche Vorlesungsnotizen machen, während die Nutzung eines Computers mit Tastatur praktischer sein kann, wenn es darum geht, einen langen Text oder Aufsatz zu schreiben“, resümiert van der Meer.
Klagen aus der Schulpraxis
Dass die Handschrift zunehmend verdrängt wird – diese Entwicklung treibt auch Lehrkräfte in Deutschland um. „Im Digitalen ist das Tippen von Texten auf dem Vormarsch. Doch wie an so vielen Stellen haben analoge Methoden ganz besonders bei Lernprozessen ihre absolute Berechtigung!“, mahnt Dagmar Bär, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands (bpv). „Erst wenn ich die deutsche Sprache sicher in Wort und Schrift beherrsche, kann ich in der digitalen Welt methodisch, sachlich und souverän darauf aufbauen.“
Dabei geht es längst nicht nur um das Tempo und die Lesbarkeit. Auch die Rechtschreibkompetenz der Schülerinnen und Schüler bereitet Sorgen. „Wir beobachten, dass viele Kinder und Jugendliche beim Schreiben fast selbstverständlich auf die automatische Korrekturfunktion am Computer vertrauen. Wenn diese fehlt, treten eklatante Lücken zutage – von der Groß- und Kleinschreibung bis zur Zeichensetzung“, warnt Bär. „Rechtschreibung wird zu oft als Nebensache gesehen, dabei ist sie Grundlage für die klare schriftliche Kommunikation.“
Lehrkräfte berichten, dass das langsame Schreiben und ein unsicheres Schriftbild häufig mit Problemen in der Rechtschreibung einhergehen. Wer Buchstaben nicht bewusst formt, habe auch größere Schwierigkeiten, Laut-Buchstaben-Zuordnungen zu verinnerlichen. „Das zeigt sich dann sehr deutlich in Diktaten oder Aufsätzen, wo selbst grundlegende Regeln nicht mehr beherrscht werden“, so Bär.
Einige Schulen reagieren, indem sie Rechtschreibung wieder verstärkt trainieren und dabei auch klassische Methoden nutzen. „Es gibt sogar Lehrkräfte, die in der Unterstufe am Gymnasium erneut liniertes Grundschulmaterial einsetzen – nicht nur, um die Schrift zu verbessern, sondern auch, um Rechtschreibregeln sichtbar und greifbar zu machen“, berichtet Bär.
Politik und Verband auf einer Linie
Auch die Politik hat das Problem inzwischen erkannt. Der Bayerische Landtag verabschiedete im Sommer einen Beschluss, der die Bedeutung der Handschrift betont und fordert, den Schriftspracherwerb in der Grundschule didaktisch und fachlich neu zu stärken. Für den Philologenverband ist das auch ein Signal, die Rechtschreibung wieder stärker in den Fokus zu rücken. „Wir begrüßen diesen Beschluss ausdrücklich“, erklärt Bär. „Denn Handschrift und Rechtschreibung sind zwei Seiten derselben Medaille: Sie gehören untrennbar zusammen, wenn wir Schülerinnen und Schüler sprachlich fit machen wollen.“
Die Schlussfolgerungen der Neurowissenschaftlerin van der Meer gehen in dieselbe Richtung: Schulen sollten Schülerinnen und Schülern gezielt Gelegenheiten geben, mit der Hand zu schreiben. „Richtlinien, die sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler mindestens eine gewisse Menge an Schreibunterricht erhalten, könnten ein geeigneter Schritt sein“, sagt die Forscherin.
Hintergrund: Der Tag der deutschen Sprache wurde im Jahr 2001 vom Verein Deutsche Sprache (VDS) ins Leben gerufen. Ziel des Aktionstags ist es, die Bedeutung der deutschen Sprache ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Dabei geht es zum einen darum, die Ausdruckskraft und den bewussten Gebrauch des Deutschen zu fördern und unkritischen Anglizismen oder unnötigen Fremdwörtern entgegenzuwirken. Zum anderen soll der Tag verdeutlichen, wie wichtig solide Sprachkenntnisse für Bildung, Beruf und gesellschaftliches Miteinander sind. Der VDS möchte mit dem Tag auch ein Zeichen dafür setzen, dass Menschen ihre eigene Sprache wertschätzen – nicht zuletzt, um international ernst genommen zu werden. Darüber hinaus erinnert der Aktionstag an die Gleichwertigkeit aller Sprachen und lädt einmal im Jahr dazu ein, über Zustand, Entwicklung und Gebrauch des Deutschen öffentlich nachzudenken und zu diskutieren. News4teachers
